Frauen wie du sind noch zu jung, um allein zu sein! – das ist der landläufige handfeste Zuspruch, den wohlwollende Freunde einer jungen Witwe nach angemessener Karenzzeit zuteil werden lassen. In den primitiveren Fällen ist die so Angesprochene innerlich dankbar, daß man ihrem eigenen Empfinden entgegenkommt und Ausdruck verleiht. Natürlich gibt sie das nicht gleich zu, aber bald zeigt es sich, daß das beiläufige Gespräch wie der Abschluss einer Gedankenreihe gewirkt hat, die sich nun, sozusagen von dritter Seite autorisiert, in Aktion umsetzen kann. Bei einer differenzierteren Frau aber kann man gar nichts Ungeschickteres tun, als jenen moralischen Rippenstoß, in wie zarter Form auch immer, anzuwenden. Er wird sie in die extremste Opposition treiben und noch mehr als bisher in sie selbst zurückscheuchen. Schon der übliche banale Trost, daß die Zeit den Schmerz lindern werde, ist hier denkbar unangebracht. Menschen, die sehr tief und sehr glücklich geliebt haben, lieben dann auch ihren Schmerz um den Toten. Und in den ersten Jahren verringert sich dieser Schmerz daher keineswegs, sondern wächst und wächst mit der immer unerbittlicher klar werdenden Erkenntnis, dass jenes Glück endgültig vorbei ist.
Mit einem großen inneren Erstaunen sehen sie dann sozusagen sich selber zu, wie sie allmählich doch aufhören, nur zurückzudenken und immer wieder die alten Wege einstiger Zweisamkeit zu gehen, wie das gegenwärtige Leben sie mehr und mehr in seine Kreise zieht, wie sie wieder Aufgaben für sich sehen, Interessen, Freuden, Freunde und schließlich vielleicht sogar den einen Mann, der ihnen wert erscheint, das Leben mit ihnen zu teilen. „Früher oder später wird jeder frei für eine neue Liebe“ – nur der, der sie liebt, darf einer solchen Frau das mit aller Behutsamkeit sagen, und vielleicht, wie in dem Film ,,Moselfahrt aus Liebeskummer“ auch nur einer, der selbst gerade eine ähnliche Wandlung an sich erfuhr und daher als Mitfühlender, nicht als außenstehender Ratgeber austritt.
Die anderen Frauen, wie diese Dorette, sind unkomplizierter, aber auch sie haben ihren Kummer. Im Grunde wünschen sie sich nämlich nichts sehnlicher, als auch einmal so geliebt zu werden und zu lieben wie Angela: ernst und ausschließlich und für ewig. Aber es gelingt ihnen nie. Vielleicht müssen sie so oft lieben, weil sie nicht imstande sind, einen Menschen ganz zu gewinnen- oder vielleicht geben sie sich nie ganz hin, weil sie Angst haben, zuviel dabei zu verlieren. Sind sie leichtfertig? Haben sie keinen Instinkt für den Wert oder Unwert der Menschen? Was es auch sei: trotz allem Umworbensein stehen sie letztlich doch nur am Rande des Daseins, wie diese Dorette. „Ich brauche dich doch!“ sagen sie in egoistischem Trotz, wenn der andere sie lächelnd verlässt. Und es ist schon viel, wenn sie wenigstens einen Teil ihrer Schuld einsehen. ,,Ach, man sagt vieles, solange man sicher ist“ – das ist ein bitteres Wort der Selbsterkenntnis, das nicht nur über dem Ende von Flirts und Freundschaften, sondern auch über mancher Ehekrise stehen könnte. Man sagt wirklich viel Tòrichtes, Böses, Absurdes – oft nur, um zu erproben, wie weit man gehen kann, wie groß die Macht ist, die man über den anderen hat. Aber oft haben Worte eine fatale Magie oder ist es nur so, dass man irgend einmal mit seinen mutwilligen Reden die Grenze überschritten hat, die unbedingt einzuhalten gewesen wärel Kurz, eines Tages wird man unverhofft, wie Dorette, tatsächlich beim Wort genommen. Man war zu sicher gewesen, und das ist nicht nur in großen Kriegen leichtsinnig und dumm. Nun gilt es nur noch, sich mit Anstand und Haltung zurückzuziehen oder besiegt, aber aufrecht das Feld zu räumen.
G. A. in Werbeheft der Columbia