Herr Rabenalt, Sie waren nach dem 2. Weltkrieg in Ost-Berlin Intendant des Metropol-Theaters und haben dann sehr schnell für die Defa und die Berolina-Film in West-Berlin Filmregie geführt. Haben Sie gar keine Schwierigkeiten mit den alliierten Militärbehörden gehabt?
Sie meinen, wegen der Nazifilme? Nein, überhaupt nicht. Ich hatte seit 1941 nur Zirkusfilme und kammerspielartige Unterhaltungsfilme gemacht. Dar einzige Nazifilm, den man von mir kannte, war ...reitet für Deutschland (1941), und der wurde bewundert. Die ersten Filme von mir, die nach dem Krieg wieder verliehen wurden, waren Zirkus Renz (1943) und Regimentsmusik (gedreht 1944 unter dem Titel Die Schuld der Gabriele Rottweil kam der Film erst 1950 in die Kinos). Die Kontroverse um …reitet für Deutschland kam erst viel später.
Sie haben die erste Berolina-Produktion 1948 mit dem beziehungsreichen Titel Morgen ist alles besser inszeniert. Warum wurde der Film eigentlich nicht in Berlin gedreht?
Der Produzent Kurt Ulrich hatte Schwierigkeiten mit der Lizenz in Berlin; deshalb sind wir zunächst nach München gefahren, wo aber kein Atelier frei war. Wir drehten dann im Schloss von Wildbad Kreuth. Darin war noch aus der Kriegszeit eine Hotelschule untergebracht, wir wurden also für die damaligen Verhältnisse ganz vorzüglich verpflegt. Der Film selbst ist belanglos, wirklich nichts Besonderes.
Der erste Film, den Sie im blockierten Berlin gedreht haben, war Anonyme Briefe (1949). Hat man Ihnen in West-Berlin nicht Ihr Engagement am Metropol-Theater vorgeworfen?
Also es war so: An unserem Metropol-Theater wohnten von etwa 350 Schauspielern, Komparsen usw. nur etwa zehn im Osten. Das war ja völlig normal, da machen Sie sich ganz falsche Vorstellungen. Es gab keinen Stacheldraht, keine Sperren, es gab ja einen fließenden Verkehr zwischen Ost und West. Das spitzte sich dann bei der Blockade zu, aber vor allem auf der Seite der Funktionäre. Anonyme Briefe war ein kleiner Krimi, der in einer Schauspielschule spielt. Den machte ich gerne, und ich habe bei dieser Gelegenheit einer ganzen Reihe von jungen Schauspielerinnen Chancen geben können, die man heute nicht mehr kennt, die aber damals Karriere machten: Cornell Borchers beispielsweise und Jeanette Schulze. Beide habe ich dann auch für Martina (1949) wiedergewonnen. Überhaupt ist der Stab von Martina und Anonyme Briefe fast identisch.
Wie war denn der technische Zustand der Ateliers während der Blockade? Gab es überhaupt schon genug technisches Personal?
Das technische Personal, also die Bühnenarbeiter und die Handwerker, war nach dem Krieg natürlich verstreut. Aber es gab unter ihnen ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl, und als es nach dem Krieg mit der Filmproduktion wieder losging, strömten sie alle wieder an ihre alten Arbeitsplätze nach Babelsberg oder nach Tempelhof. Mit dem Beginn der Berliner Blockade waren aber gerade die Arbeitsplätze in den Union-Ateliers in großer Gefahr. Denn natürlich war die Filmproduktion durch die mangelnde Lichtzuteilung, durch die schwierigen Umstände, daß nur nachts gedreht werden konnte, und durch die dauernden Drehunterbrechungen erschwert. Aber wenn in den Union-Ateliers kein Film gedreht worden wäre, hätte sich das technische Personal natürlich nach anderen Arbeitsplätzen umsehen müssen. Und die gab es nicht nur in Babelsberg, sondern auch in den neugegründeten Ateliers in Bendestorf oder Göttingen. Für die Erhaltung der Produktionsmöglichkeiten in West-Berlin war es deshalb lebensnotwendig, daß während der Blockade weiter in Berlin Spielfilme gedreht wurden.
War nicht die Produktionsfirma von Martina eine Hamburger Firma?
Das war die Comedia, die sich auf das Kapital von Heinz Rühmann und die langjährige Produktionserfahrung von Alf Teichs stützte. Die Comedia gründete gleich im großen Stil drei Produktionsbüros in München, Hamburg und Berlin, denn Teichs hatte die Hoffnung auf einen ungeheuren Filmboom. Bekannterweise ging das später schief.
Dennoch wundere ich mich, dass eine junge Produktionsfirma das Risiko eingeht, im blockierten Berlin mit der politischen Unsicherheit einen Spielfilm zu produzieren.
Das Risiko war natürlich für die Produzenten sehr groß, und es gab auch Regisseure, die sich weigerten, im blockierten Berlin zu drehen. Wer in Berlin blieb, war in der Blockadezeit wirklich gefährdet. Teichs wusste, ein Film mit mir wird zuverlässig gearbeitet, der bleibt im Etat und bleibt in der Zeit. Auf mich konnte man sich verlassen; diesen Ruf hatte ich mir erarbeitet. Dann kam hinzu der unerhörte Überlebenswille der Stadt; ich weiß nicht, ob der Senat direkt an der Filmproduktion beteiligt war, aber man war zumindest interessiert daran, dass die Filmproduktion aufrecht erhalten blieb. Was wir im Westen aber nicht machen durften, das waren Trümmerfilme. Die Trümmerfilme wurden von der Defa gemacht. Bei Martina bestand ja thematisch die Möglichkeit, daraus einen Trümmerfilm zu machen. Tischendorf vom Herzog-Verleih hat mich daher auch kräftig ins Gebet genommen; im Westen wollte man Unterhaltung und nichts anderes.
Martina ist eigentlich keinem bestimmten Genre zuzuordnen, was daran liegen mag, daß er in sehr vielen verschiedenen Milieus spielt.
Die Verschiedenheit der sozialen Schichten und des Ambientes, das war Berlin. Ein Berlin, in dem alles zueinander spielt: Verbrechen, Zuhälterei, Prostitution, Mädchen aus früher reichen und bürgerlichen Verhältnissen. Und Sie haben eine Schilderung eines Trümmerfilms, eines soziologischen Trümmerfilms. Aber der Verleih hätte mich gesteinigt, wenn ich gesagt hätte, das ist ein Trümmerfilm.
Martina ist eine klare Entschuldungsfabel. Martina wird von dem Gefühl, schuldig zu sein, durch einen psychologischen Schock geheilt und kann nun unbelastet ihre Zukunft in die Hand nehmen. Nach meiner Meinung ist die Parabel eindeutig für das Nachkriegsdeutschland.
Unbeabsichtigt. Jetzt sage ich etwas Gefährliches, etwas, das leicht missverstanden werden kann. Wir dachten an szenische oder darstellerische Aufgaben, aber so gar nicht an den großen Hintergrund. Hier dreht es sich nicht darum, soziologische Studien zu treiben, sondern auf die Wirkungen zu gehen. Das versuche ich immer klar zu machen, dass wir wie Herr Hitchcock nur auf die Wirkung gesehen haben. Wie es eben auch Hitchcocks Hauptinteresse war, mit psychologischen Mitteln seinen Stoff spannend zu gestalten.
Aber der Stoff kann Ihnen doch nicht gleichgültig sein.
Da kommen also die Fragen nach der persönlichen Integrität oder des Charakters oder so was. Das ist für mich schwer verständlich, weil ich so lange und so früh schon ein Theatermann war, der immer mit der Lösung szenischer Aufgaben befasst war.
Nach meinem Verständnis funktioniert der Film als eine Entschuldungsparabel. Das ist keine Frage Ihrer Integrität.
Wenn das so ist, dann bin ich froh, dass der Film auch einen Sinn hat. Ich finde es aber doch erstaunlich, was man versucht, in unsere Filme hineinzudenken. Auf die Frage, was haben Sie sich dabei gedacht, kann ich nur sagen: Nichts, es war die beste Lösung. Ich wehre mich dagegen, daß wir Regisseure Soziologen oder Politiker sein sollen.
Sie berichten in Ihrem Buch „Ex Improviso“, dass der Film zensurfähig gemacht wurde. Was für Szenen sind der Schere zum Opfer gefallen?
Alle Szenen, an denen man eine Kritik an den Amerikanern hätte festmachen können. Die Amerikaner waren natürlich unsere Freunde, aber nicht alle waren die reinen Engel. Und da passierte natürlich auch einiges, was nicht so schön war, und was auch die Zeitungen nicht berichten durften. Der Reporter, eine der Hauptfiguren des Films, durfte nicht in Uniform erscheinen und war doch ursprünglich als Amerikaner gedacht. Aber diese Änderung wurde schon nach der Vorlage des Drehbuchs gemacht, das vom amerikanischen Filmoffizier gebilligt werden musste. Die Schnitte und Änderungen haben einfach alles entfernt, was auf die Gegenwart der Amerikaner in Berlin sich bezog.
Ich mache einen Sprung zu Alraune (1952) , im Untertitel „Geliebte zwischen Lust und Gier“.
Was? Den Titel kenne ich gar nicht. Also, den Film habe ich nicht gemacht.
Wer stand hinter der Carlton Produktion und der Styria?
Carlton war Stapenhorst, und dann gab es noch einen österreichischen Produzenten, der sein Geld vor allem mit Tankstellen verdiente und ein ganz sturer, geistloser, bäuerlicher Mensch war. Der hatte einen Vertrag mit der Knef und nach seiner Vorstellung sollte die Knef nach der Sünderin (1951) die Alraune sein und Erich von Stroheim der genial-verrückte Wissenschaftler. Allein die Ankündigung „Erich von Stroheim und Hildegard Knef in Alraune“ führte zu einem Skandal. Von den Kanzeln der Kirche wurde gegen den Film gesprochen, gegen das Thema der künstlichen Befruchtung; die Kirche hatte damals einen großen kulturpolitischen Einfluss. Stapenhorst war zwar froh über die Reklame, aber er fürchtete auch die Macht der Kirche. Nun bestand unsere Aufgabe darin, das magisch dämonische Element in dem Sex- and Horror-Stoff katholisch bejahend zu dramatisieren.
Das hört sich ziemlich schwierig an.
Das war wirklich eine Tortur, wir haben, glaube ich, 16 Drehbuchfassungen geschrieben und bis in die Dreharbeiten hinein noch geändert. Nun hatte Stapenhorst, der ja ein alter Profi war, wohl einmal einen Black-out gehabt und Stroheim das Recht zugestanden, seine Dialoge selbst zu schreiben. Und Stroheim, der ja früher ein großer Regisseur war, verstand sich jetzt als Schriftsteller und kam jeden Morgen mit vier Seiten neuem Text und aus der braven Fassung, auf die wir uns mit Mühe und Not zusammengerauft hatten, machte Stroheim wieder einen scharfen Horrorfilm. Aber das Publikum wollte doch keinen Horror, der Krieg steckte allen ja noch tief in den Knochen. Und die Kirche wollte keinen Sex.
Zu welcher Tendenz haben Sie den Stoff verändert?
Aus der bösen, nur ihrem Trieb folgenden Frau machten wir eine tragisch-sentimentale Figur. Aber diese Stimmung sollte sich nicht einfach mit Worten mitteilen. Unser Glück war Robert Herlth, der ganz fantastische, jugendstilartige Dekorationen baute und damit eine manieristische Kunstwelt schuf; allein wegen Herlth ist der Film schon sehenswert.
Die katholische Kirche hat den Film dann doch unter 4 = Abzulehnen eingestuft. Hatte das einen Einfluss auf den finanziellen Erfolg?
Ja, und zwar einen positiven. Das war ein Krach, aber kein Skandal. Den wollte Stapenhorst gerade vermeiden.
Eine politische Auseinandersetzung gab es um Die Ehe des Dr. med. Danwitz (1956), den Sie für Koppel und Trebitsch gemacht haben.
Danwitz stellte ganz andere, einfachere Aufgaben als Alraune. Die Milieus – armer Assistenzarzt, bürgerlicher Textilfabrikant, Modenschau etc. – waren Klischeesituationen der Restaurationszeit. Und so war auch das Thema aufgebaut: Allen ging’s gut, nur den Assistenzärzten geht’s schlecht.
Für Koppel und Trebitsch hatte ich schon vorher Unternehmen Schlafsack (1955) gemacht, einen antimilitaristischen Film, der allein des Stoffes wegen wirklich sehenswert ist. Für Danwitz war ursprünglich Kortner als Regisseur vorgesehen. Das zerschlug sich, und dann machte ich diesen Film. Der dramatische Angelpunkt war der Konflikt eines Assistenzarztes, der eine illegale Abtreibung vornehmen wollte, um seine junge Familie finanziell über die Runden zu bringen. Der Film endete damit, daß Karl-Heinz Böhm und seine Frau in der leeren Wohnung sitzen, die sie aus finanzieller Not nicht einrichten können; im Radio hält Adenauer eine Rede darüber, wie gut es jetzt allen geht, und der Assistenzarzt sagt: Dann hat unser Kind eben viel Platz zum Spielen.
Karl Heinz Böhm haben Sie auch schon in Alraune eingesetzt.
Den Böhm habe ich entdeckt. Bevor er bei mir spielte, war er in Wien Regieassistent bei Hartl und hatte vielleicht schon eine kleine Nebenrolle gespielt. Alraune war seine erste große Rolle. Seine Karriere hat er sich dann durch die Sissi-Filme verbrunzt, wie man auf österreichisch sagt. Aber er war ein wirklich guter Schauspieler, was man in dem verspätet entdeckten Film Peeping Tom (GB 1960; Regie: Michael Powell) auch gesehen hat.
Die Ehe des Dr. med. Danwitz hat auf dem Festival in Karlovy Vary einiges Aufsehen erregt.
Ja, er hat dort sogar einen Preis bekommen. Die Vertreter der Ostblockstaaten waren sehr erstaunt, dass so ein Thema in der Bundesrepublik verfilmt werden konnte. Ich wurde gefragt: Durften Sie das denn überhaupt, hat man Ihnen keine Schwierigkeiten gemacht? Die Schwierigkeiten kamen erst später, denn die bundesdeutsche Delegation war nicht ganz glücklich, dass dieser etwas kritische Film so ein Aufsehen erregte. Ein Journalist schrieb sogar, dass ein Film wie Danwitz nicht unkommentiert gezeigt werden dürfe. Es gab, glaube ich, ein Reglement, dass ein auf einem internationalen A-Festival ausgezeichneter Film auch einen Bundesfilmpreis bekommen musste. Da wendete man einen Trick an; weil es zwischen der Bundesrepublik und der CSSR noch keine offiziellen diplomatischen Beziehungen gab, bekam der Danwitz auch keinen Bundesfilmpreis.
Sofort nach Danwitz drehten Sie für Koppel Glücksrittter (1956/57), der von der Presse ziemlich zerrissen wurde.
Nachdem Danwitz einen Preis in Karlovy Vary bekommen hatte und auch „künstlerisch wertvoll“ wurde, sollte ich einen weiteren Film mit der Hatheyer machen mit dem Titel „Frauen ohne Männer“, das war der ursprüngliche Titel für Glücksritter. Es wurden viele Drehbücher geschrieben, die alle nichts taugten, und während der Zeit gab es diese Affäre um die angebliche Affinität Koppels zur kommunistischen Partei, die damit endete, dass Koppel in der Kantine des Studio Hamburg quasi als Rehabilitierung das Bundesverdienstkreuz am Band verliehen wurde. Wir sollten also mit unseren Stoffen möglichst keine kritischen Punkte berühren. „Frauen ohne Männer“ sollte die Frauen als starke Persönlichkeiten zeigen; die Trümmerfrauen hatten ja, wenn man so sagen will, ihren Mann gestanden und gleichzeitig die Kinder großgezogen. Diese Frauen konnte man doch im Film nicht einfach wieder in die Küche schicken. Dazu trat das Sujet einer Presse, die sich nach 1945 geschworen hatte, nie wieder in den Dienst einer Partei oder einer Ideologie zu treten. Also die Sauberkeit einer Presse, die irgendeine Schiebung aufdeckt, und der der Schneid abgekauft werden soll.
Wir hatten das große Problem, dass wir nicht wussten, was für eine Schiebung die Presse aufdecken sollte. Bis zum Schluss der Dreharbeiten fehlte der Aufhänger für die ganze Geschichte. Alle Vorschläge, die wir dem Produzenten machten, wurden abgelehnt. Man hatte in dieser Situation Angst vor Strauß, vor Adenauer, vor Bonn. Kurzum, der Film war fertig geschnitten, es war darin immer die Rede von einer Riesensauerei, aber keiner von uns wusste, worin diese Sauerei bestand. Kurze Zeit, nachdem ich wieder zu Hause war, war die Real-Film auf eine Lösung gekommen. Es gab in Hamburg ein politisches Kabarett von Peter Ahrweiler mit einem Sketch, der in ein paar harmlosen Andeutungen die Wiederbewaffnung thematisiert. Diesen Sketch drehten wir, und der wurde dann an irgendeiner Stelle im Film eingeschnitten. Für mich war das der schlimmste Film, den ich je gedreht habe, weil ich einfach nicht wusste, wo der Sinn dieser Geschichte war. Jede Operette hat ja noch irgendwo einen Sinn, aber bei Glücksritter wusste ich einfach nicht, wozu das Ganze dienen sollte. Und als der Film gezeigt wurde, wurde er von der Presse natürlich sofort verrissen. Das war ganz klar: Die Presse fühlte sich angegriffen, aber nicht getroffen. Jetzt, nach dreißig Jahren, wird der Film wiederentdeckt, und als das Fernsehen vor einiger Zeit eine Hommage an Walter Koppel gemacht hat, da wurden aus der ganzen Koppel-Produktion nur vier Filme gezeigt. Die waren alle von mir: Die Ehe des Dr. med. Danwitz, Tierarzt Dr. Vlimmen, Unternehmen Schlafsack und Glücksritter.
Werner Sudendorf führte das Gespräch am 20. Februar 1989 in Berlin.
Erstmals in SDK-Newsletter, Nr. 4, Juni 1993