Gedenkblatt für Will Tremper

Das Großmaul

Es gibt unzählige Anekdoten über Will Tremper; die meisten davon hat er wahrscheinlich selbst produziert und auch selbst in Umlauf gebracht. Bei seinen Geburtstagen ließ er halbnackte Mädchen aus übergroßen Tortendeckeln springen, er hatte die Taschen voller Geld und war stets pleite, er war ein Kind des Wirtschaftwunders, ein genialer Journalist, ein Tausendsassa, wie ihn die Zeiten nur sehr selten hervorbringen.
Begonnen hatte Tremper als Pianist, wurde dann Pressefotograf, Ghostwriter und Journalist beim „Tagesspiegel“. Seinen größten journalistischen Erfolg hatte er in den 1950er Jahren beim „Stern“ mit der Serie „Deutschland, Deine Sternchen“. Die Auflage der Illustrierten stieg von Folge zu Folge. Dass er dabei auch gute Freunde verletzte, denunzierte und verleumdete kümmerte ihn wenig. Die Redakteure des „Stern“ standen vor seiner Haustür, verlangten neue Manuskripte und bekamen sie erst, nachdem sie die Geldscheine unter seiner Haustür durchgeschoben hatten. Seine Chuzpe war grenzenlos, sein Lebensstil masslos. Der spätere Erfolgsproduzent Wolfgang Rademann kam in den fünfziger Jahren aus Ost-Berlin zu Tremper, um für ihn als Rechercheur zu arbeiten. Er traf ihn nachmittags um fünf in einem Zimmer des Berliner Park-Hotels im Bademantel an, auf dem Bett sechzig Zeitungen und zwei hübsche Mädchen. Das also ist der Westen, dachte Rademann. Nein, das war Tremper, und es war nur eine seiner vielen Seiten.
Dem deutschen Film der fünfziger Jahre trieb er mit den Drehbüchern zu Die Halbstarken (1956), Endstation Liebe (1957) und Nasser Asphalt (1958) den Muff der Ufa-Dramaturgie aus. Horst Buchholz machte er mit diesen drei Filmen zum Star. Mit Flucht nach Berlin (1960) wurde Tremper als Produzent, Autor, Regisseur und Cutter Deutschlands erster Autorenfilmer. Auf Druck des Verleihs musste er das krasse Ende neu drehen – bis heute gibt es den Film, wenn man ihn überhaupt noch sehen kann, in zwei Versionen.
1962 folgte Die endlose Nacht (in schwarz/weiss und Cinemascope!), drei Jahre darauf Playgirl, zwei Spielfilme, für die Tremper Haus und Hof verpfändete. Über die spießige West-Berliner Atmosphäre vor 1968 gibt es im deutschen Film nichts Besseres.
1966 erschien Sperrbezirk, bei dem man ihm die Montage aus der Hand genommen hatte. Im selben Jahr erhielt Alexander Kluges Abschied von gestern in Venedig den Goldenen Löwen. Tremper, der Einzelkämpfer, galt jetzt als Vertreter von Opas Kino – ein groteskes Missverständnis. Er ging zurück zum Journalismus, wurde zunehmend bitter und schrieb gegen Ende seiner Karriere Filmkritiken, die man bestenfalls als bizarr bezeichnen konnte.
Enno Patalas stellte ihn in der „Zeit“ in eine Reihe mit dem Avantgardisten Jean Marie Straub, er selbst nannte sich in seinem letzten Memoirenband „Große Klappe“. Bis zum Schluss saß er zwischen allen Stühlen und genoss es. Er starb am 14. Dezember 1998.
Geschrieben im September 2008