Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigun der Marlene Dietrich Collection GmbH
Seit ich in dieser Stadt lebe und arbeite, ist kaum ein Tag vergangen, an dem man nicht die Frage an mich gerichtet hätte: „Was halten Sie von Hollywood?“ Meine Gegenfrage: „Welches Hollywood meinen Sie?“, stößt immer auf Verständnislosigkeit. Die Leute wissen nicht, was sie mit dieser Frage anfangen sollen.
Das Hollywood, zu dem ich Beziehungen habe, ist das arbeitende Hollywood. Das andere Hollywood begreife ich nicht und will es auch nicht begreifen.
Die Studios sind etwas Hinreißendes. Die Leichtigkeit, mit der große Dinge getan werden, ist immer wieder bewundernswert. Alles funktioniert wie am Schnürchen, es herrscht Disziplin wie in einer Armee. Aber trotz dieser Disziplin wird die künstlerische Tätigkeit nicht zur Routine. Denn Kunst ist ja der strikte Gegensatz von Methode und Drill.
Das arbeitende Hollywood ist vorbildlich. Aber die gesellschaftliche Struktur der Filmstadt bedrückt mich. Ich tadle mich, dass ich kritisiere, und ich versuche mir einzureden, dass es mein Fehler ist, wenn mir so viele Dinge nicht zusagen.
Ich kann es nicht verhindern, dass ich die bitteren Kontraste in dieser Stadt fühle und sie bedauere. Auf der einen Straßenseite erhebt sich ein prachtvolles Wohnhaus, das für eine gesellschaftliche Veranstaltung strahlend beleuchtet ist. Die Gäste kommen in prunkvollen Wagen, die Frauen zeigen beim Aussteigen die kostbarsten Toiletten und teuersten Juwelen.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite sitzen zwei abgehärmte Mädchen in einem freudlosen Zimmer. In dem Haus gegenüber der großen Halle lehnt ein kleiner Junge aus dem Fenster, um der Radiomusik zuzuhören, die aus einer andere Wohnung klingt. Zwei Türen weiter beugt sich ein alter Mann über einen Gaskocher, um sich sein Teewasser zu wärmen.
Luxus und Armut, Übermut und Verzweiflung – ich weiß, das sie überall zu finden sind, in jedem Lande, in jeder Stadt, und ich weiß, dass das Elend in der Welt sehr groß ist. Aber die schmerzenden Kontraste drängen sich nirgends so stark auf wie hier.
Die Hollywood-Interviewer sind merkwürdige Leute. „Was sind Ihre Lieblingsgerichte? – Welche Kleiderfarbe bevorzugen Sie? – Wen halten Sie für den Typ des idealen Liebhabers?“ Das sind nur ein paar Beispiele der Themen, die mir zu Beantwortung vorgelegt werden. Zuerst war ich verblüfft, mit welcher Unverfrorenheit man mich über privateste und belangloseste Sachen ausfragte. Aber dann wurde ich belehrt, dass das Publikum den brennenden Wunsch habe, meine Ansichten über dies und das kennenzulernen. Wenn ich aber einem Interviewer auseinandersetze. dass er über die Wünsche des Publikums falsch unterrichtet sei und dass er sich lieber erst genau informieren sollte, was seine Leser wissen wollen, so sieht er mich mit einem mitleidigen Blick an, als wolle er sagen: Junge Frau, Sie sind hier eine Fremde. Sie kennen die Leute nicht so gut wie ich. Eines Tages werden Sie schon dahinterkommen, dass ich recht habe.
Ich fürchte, ich werde ihm nie recht geben. Gewiss, ich bin eine Fremde in Hollywood, aber es scheint mir, dass alle anderen in Hollywood ebenfalls Fremde sind, auch wenn sie seit Jahren und Jahren hier gelebt haben. Eine Zeitlang hat mich dieses Fremdsein traurig gestimmt, seit ich aber mein kleines Töchterchen Heidede bei mir habe, ist alles viel leichter und besser geworden. Schließlich habe ich ja auch meine Arbeit, die mich glücklich macht. Und das Hollywood. mit dem ich während meiner Arbeit zu tun habe, ist ein liebenswertes Hollywood mit dem ich sehr, sehr befreundet bin.
Die Filmwoche, Nr. 5, 1932
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