Richtlinien für die Filmkritik
Wir haben in diesen Spalten oft und entschieden gegen jene Verquickung von Geschäft und Kritik Stellung genommen, die sich leider noch immer in mancher unserer Zeitungen und Zeitschriften breitmacht, sogar solcher, die sich als Fachblätter ausgeben. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß solche Gepflogenheiten nicht mit einer anständigen Geschäftspraxis und noch viel weniger mit den elementarsten Begriffen journalistischen Anstandes vereinbar sind.
Wir glauben auch nicht, daß der Redakteur eines Fachblattes in enger geschäftlicher Beziehung mit einer Produktionsfirma stehen und für sie den Presseempfang einer Aufnahme managen dürfte, über die er gleichzeitig in seinem Fachblatt berichtet, nicht ohne dabei seine bei dieser ganz bestimmten Gelegenheit nicht gerade sehr zuvorkommend behandelten Kollegen von der Presse auf das Taktloseste anzugreifen.
Wir haben aus diesem Grunde von jeher die auf die Säuberung des Filmjournalismus hinzielenden Tendenzen aufs nachdrücklichste unterstützt und haben es daher auch freudig begrüßt, als der Berliner Bezirksverein des Reichsverbandes der deutschen Presse ein Komitee ernannte, das sich mit der Ausarbeitung von Richtlinien für die Filmkritik beschäftigte. Diese Richtlinien, die die Genehmigung des Vorstandes des Bezirksverbandes gefunden haben und dem Vorstande des Reichsverbandes vorgelegt worden sind, haben folgenden Wortlaut:
- Wer in der Presse filmkritisch oder sonst filmjournalistisch tätig ist, darf keine irgendwie gearteten persönlichen geschäftlichen Beziehungen mit Film- oder Kino-Unternehmungen unterhalten. Ebensowenig darf er seine berufliche Tätigkeit dazu benutzen, derartige Verbindungen anzubahnen (!!) oder sich sonstige Vorteile zu verschaffen.
- Jede Verquickung filmjournalistischer Wirksamkeit mit dem Anzeigengeschäft ist geeignet, die Filmindustrie in die Annahme zu versetzen, sie könne die Presse durch Erteilung von Inseratenaufträgen beeinflussen. Deshalb ist solche Verquickung standesunwürdig und verboten.
3. Ein Journalist oder Schriftsteller, der als Presse- oder Propagandachef bei einem Filmfabrikationsunternehmen angestellt ist, darf unter keinen Umständen kritische Urteile über die Produktion eines anderen Fabrikanten in der Presse veröffentlichen, es sei denn unter seinem vollen Namen und unter ausdrücklicher Angabe seines Angestelltenverhältnisses. Schriftleitungen, die diesen Grundsatz verletzen, verstoßen gegen den journalistischen Ehrbegriff. - Es ist unstatthaft, wenn ein Filmkritiker oder Filmjournalist ein kritisches Urteil über den Film eines nahen Verwandten veröffentlicht.
Diese Richtlinien bedeuten ein deutliches Abrücken vom Geschäftsjournalismus und einen entschiedenen Trennungsstrich zwischen denen, die die Tatsache, dass ihnen allwöchentlich so und so viel Spalten redaktionellen Raumes zur Verfügung stehen, missbrauchen, und denjenigen Fachjournalisten, denen es mit der Sache der Filmkritik ernst ist..
LichtBildBühne, Nr. 20, 19. 5. 1923