Christian Bouchholtz: Der Lindwurm exerziert

Ich hörte: In den Wäldern nahe Wannsee ist ein Riesensaurier aufgetaucht. Zwei Stock hoch. Lang wie ein Haus. Und er hat sieben lebende Männer verschluckt.
Ich fuhr also hinaus, den Lindwurm zu besuchen. Er haust in Neu-Babelsberg. (Dort werden jetzt von Fritz Lang die Nibelungen gedreht.)
Der Zerberus des Nibelungenschatzes haust in einer Art Zeppelinhalle aus Holz, in einer Hundehütte von gigantischen Ausmaßen. Frisch lackiert, wie er ist, wird er herausgezogen und –geschoben. Dann öffnet man eine Bauchklappe. „Platz nehmen!“, kommandiert der Regisseur. Sieben Arbeiter steigen ein und schlagen die Bauchklappe wieder zu. Im Innern des Drachens sind feine Polstersitzplätze und eine Anzahl ruderartiger Hebel. An jedem Hebel hockt ein Mann und wartet auf Kommando.
Mit dem Vieh ist lange genug exerziert worden. Man schiebt es hinauf in eine Felsschlucht. Von dort aus hat es herunterzukriechen, um in einem See zu saufen.
Lang kommandiert kasernenhöfisch: (Trillerpfeife) „Achtung! Los! Vorderbein rechts! Hinterbein links! Vorderbein links! Kopfnicken! Nüstern blähen! Augen auf! Hinterbein rechts! Schwanzgewackel!“

Der Drache in Aktion

Und mit unsagbarer Pomadigkeit eines Kaltblütlers – faul wie ein Schlangenreptil oder ein Krokodil – bewegt es die schlappernden Beine (dicker als die von Mammuten) vorwärts, bis es am Wasser ist. Schaut sich mit geblähten Nüstern, Atem anhaltend, rundum, taucht dann langsam, ganz langsam den langhalsigen Ichtyosaurierkopf ins Wasser, hebt ihn nach einiger Zeit wieder hoch und guckt rundum nach rechts und links mit seinem drehbaren faltigen Kopf, und das Wasser schlabbert ihm von der giraffenhohen Schnauze in Strähnen herunter.
Die Sache wird oft genug geprobt. Und die Arbeiter verweilen lange genug in wenig bequemen Stellungen. Zumal der im Hals des Reptils steckt und beim Sabbern eine Karaffe voll Wasser aus dem Drachenrachen herauszuschütten hat.
Pause vor der zweiten Lidwurm-Aufnahme: Siegfrieds Kampf mit dem Drachen.
Ja, da erstarrt das unheimliche Reptil, schließt die Augen, konzentriert sich absolut auf sein Innenleben. Und sein Innenleben dokumentiert sich durch ein Rumoren in seinem Bauch.
„Prost Maxe!“ ruft es in dem Aas von Wurm zuerst. Es kullert in seinem Innenleben. Da scheint Alkoholisches umzugehen. Und eine Stimme: „ob der Dollar in den nächsten vierzehn Tagen steigt?“ – Eine andere: „Ach so, wegen Deiner Dresdner Gardinen? –“
Dann wird der auf sein Innenleben konzentrierte Drache anderswohin gestossen, gefahren, mitsamt den Insassen.

Paul Richter, Fritz Lang und der Drache

Bis jetzt hatte ich eine Art tief menschlichen Mitleids mit der Unschuld des Drachens, besonders wenn er sich einen Rückenstachel benagte, weil es ihn dort juckte. Jetzt aber überkam mich Grauen. Aus dem Innern des Ungeheuers, des schillernden, stachlichen, scholl es plötzlich:
„das Wandern ist des Müllers Lust“ (siebenstimmiger Chorus). Dann kam das Lied vom „Lindenbaum“ an die Reihe. Nichts rührte sich an dem Reptil, nur der Krokodilschwanz, – der schlug den Takt zu dem Lied.
Und es war gar nicht das Lied vom „Lindenbaum“, sondern vom „Lindwurmbauch“!
„Auf – nah – me!“
Wie elektisiert erwacht der Wurm aus seiner Innenschau. Seine „inneren Stimmen“ aber verstummen jählings, und er klappert mit den Augendeckeln.
„Los! Linkes Vorderbein! Rechtes Hinterbein! Schwanzgewackel! – Mehr Ausdruck in den Augen! So recht! Herr Richter! Aufspringen!“ (Paul Richter ist der Jungsiegfried-Darsteller). Er springt auf den Lindwurm.
Der Regisseur kommandiert weiter: „Schwertschwingen, Richter! Jetzt Lindwurm, Kopf nach hinten werfen! Schnauze auf! Weiter auf! Augen rollen! Zunge blecken! Richter! Schlag dem Aas den Kopf herunter! Genauso! Schluß!“

BZ am Mittag, 13.Mai 1923, Nr. 128 (Beilage Film-BZ)