Nach zehntägigem Aufenthalt in Paris ist Fritz Lang zurückgekehrt. Ein erster Besuch bei ihm. Eine halbe Stunde in seinem Salon, unter den japanischen No-Masken und den indischen Seidenteppichen, gesammelt von dem leidenschaftlichen Liebhaber asiatischer Kunst.
Fritz Lang deutet auf die Pariser Zeitungen, die den blauen Rundtisch bedecken. Es sind die großen Formate der „Comoedia“, der „Temps“, der anderen. Voll von Photographien aus Siegfrieds Tod, von Berichten und Interviews. Man hat den deutschen Film mit mehr als Respekt aufgenommen. Der Eindruck ist tief und nachhaltig. „Das große kinematographische Ereignis“, sagt im „Temps“ Emile Buillermog.
„Ich habe über ein Jahr in Paris gelebt,“ so erzählt Lang, „in einem Maleratelier auf Montparnasse, bis der Krieg ausbrach. Ich habe es vor zwei Jahren wiedergesehen, bei der Premiere des Müden Tods. Französisch hieß er Les Trois Lumiéres. Schon damals war zu meiner Freude der künstlerische Erfolg sehr stark. La Mort de Siegfried wird im Marivaux gespielt, am Boulevard des Italiens, neben dem Credit Lyonnais. Der Besitzer ist Aubert, dem die meisten Kinotheater in Paris gehören. Delac und Vandal haben den Vertrieb.“
„Was sind wohl jetzt die hervorragendsten französischen Filme?“
„Interessant ist Crainquebille (1922) von Feyder. Sie wissen, nach dem kleinen Roman von [Anatole] France, der Fall des Gemüsehändlers. Da gab es Bilder mit einer phantastischen Optik, zum Beispiel mit der vergrößerten Figur des Schutzmanns, die drohend vor dem gehetzten Alten aufsteigt. Interessant ist auch ein, wenn man das Wort gebrauchen soll, expressionistischer Film L’Inhumaine (1924; R: Marcel L’Herbier), in dem es sich um eine Frau handelt, die von einer Giftschlange gebissen wird, ein Film mit Räumen in dem gespenstischen Dunkel des Dr. Caligari. Dann der historische Film Le Miracle des Loups (1924; R: Raymond Bernard).“
„Den die Ufa für Deutschland gekauft hat?“
„Ja, er wird in vierzehn Tagen im Ufa-Palast am Zoo zu sehen sein. Er spielt in der Zeit Ludwig des Elften, des tyrannischen Königs mit dem zerdrückten Filzhut. Sie erinnern sich an Novelli, nicht wahr? Da flieht ein junges Mädchen durch den Winterwald, und die Wölfe scharen sich schützend herum und wenden sich gegen die Verfolger des Kindes. Das sind unstreitig schöne, legendenhafte Bilder. Nachher kommen große kriegerische Massenszenen mit der Belagerung einer Burg und feurigen Pechkränzen.“
„Die Pariser Zeitungen propagieren einen französisch-deutschen Filmaustausch. Was denken Sie über dessen Möglichkeiten?“
„Da kann ich Ihnen sagen, dass das Wolfswunder nicht der einzige nach Berlin importierte Film sein wird. Die Ufa hat auch Paris (1924; R: René Hervil; Dt. Titel: Die Kinder vom Montmartre) gekauft, einen Film der Stadt mit dem Roman eines jungen Weibes – nein, anders als die „Louise“ von Charpentier. [Gemeint ist die Oper „Louise“ (1900) von Gustave Charpentier.] Die französische Filmindustrie erhofft durch ein Zusammengehen mit der deutschen eine Stärkung gegen die Konkurrenz Amerikas; und ich glaube auch diese Ideen von einem europäischen Film, wie die Pariser Presse das nennt, haben Zukunft.“
„Bitte, erzählen Sie noch etwas über die Nibelungen-Premiere!“
„Gespielt wurde die Musik Richard Wagners, adaptiert von Szyfer. Ich saß in einer Loge mit meinem französischen Kollegen Abel Gance, der jetzt an einem siebenteiligen Napoleon-Film arbeitet. Es waren viele Berühmtheiten da aus der Theater- und Filmwelt und aus den Kreisen der Literatur, so Antoine, [Lucien] Descaves, Gallipaux, Max Linder, der Filmtragöde Henri Krauss – da sehen Sie die lange Liste der ‚Comoedia‘.
[Gemeint ist die Kulturzeitschrift „Comoedia“. Die Kritik zu Siegfrieds Tod erschien in der Ausgabe vom 19. März 1925. Dort ist auch die Liste der prominenten Gäste. Online unter https:// gallica.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k7652776d/f2.item.r=Fritz%20Lang]
Zwei Tage nach der Premiere gab man uns ein kleines Bankett, ein Déjeuner, in der Ecrevisse. Erich Pommer und Jannings waren aus London gekommen, von der Premiere des Letzten Mann. Alles war auf den Ton der freundschaftlichsten Sympathie gestimmt. Im Herbst wird Kriemhilds Rache gespielt werden, im September oder Oktober.“
„Und Ihre neue künstlerische Arbeit? Und Metropolis?“
„Ende April werden wir in Neubabelsberg beginnen. Soeben hat Thea von Harbou das Filmmanuskript abgeschlossen, das mit ihrem großen Roman „Metropolis“ im Grundaufbau übereinstimmt und in der Einzelgestaltung unabhängig von ihm ist. Die Ziele, die es stellt, reizen in höchstem Grade meine Phantasie. Ich habe, als ich Mabuse inszenierte, die wirre, ruhelose Gegenwart zu erfassen gesucht. Metropolis wird die Stadt des nächsten Zeitalters sein, ragend in unerhörten Dimensionen. Eine riesenhafte Stadt aus Stahl, Beton und Glas. Ich will die Sinfonie der technischen Möglichkeiten geben, den Rhythmus blitzfunkelnder Maschinen, den Rhythmus der Menschheit, die morgen sein wird. Das scheint mir das Wesen der Filmästhetik: dieses Rhythmische. Die fabelhafte Entwicklung eines Jahrhunderts ist darin, von dem früheren Inbegriff der Schnelligkeit, der des Rennpferdes, über Eisenbahn und Flugzeug in unbekannte Steigerungen. Die ganze sausende Dynamik des Lebens möchte ich visuell einfangen, das Leben, wie es hastet und haftet, mit ihren Entladungen, die gewaltig sind wie ein Keulenschlag. Und schon in den Auftakt wird das Spiel der Personen hineingleiten, die die symbolischen Geschehnisse tragen.“
BZ am Mittag, 31. März 1925, Nr. 89 (Beilage Film-BZ)