Paris, 11. November 1931
Geliebte, ich fange mit der wichtigsten Sache an: Dishonored, deutsch gedubbt. Man hatte es während meiner Abwesenheit in Amerika gemacht und es mir verschwiegen. Vor ein paar Tagen erfuhr ich es von Karol, erfuhr auch, dass der VI. Akt nach Hollywood geschickt worden sei zur Beurteilung.
[Jacob Karol war zu der Zeit Produktionsleiter der deutschsprachigen Filme der Paramount Produktion in Joinville]
Ich wollte den Film gern sehen, bekam ihn aber nicht zu sehen, da angeblich keine Kopie hier sei. Durch einen Angestellten (Cutter) erreichte ich es, dass ich auch den VI. Akt sehen konnte, musste aber mein Ehrenwort geben, niemandem davon etwas zu sagen! – Ich war entsetzt. Das ist ja unmöglich, so etwas in Deutschland laufen zu lassen. Du hast ihn ja auch gesehen ich hörte schon von Eurem Protest. Karol liegt mir jeden Tag in den Ohren, ich müsste das einrenken, dass Du und Joe keine Schwierigkeiten machen, der Film sei so erstklassig und Deine Stimme sei so wunderbar getroffen. Ich sage ihm immer, erst muss ich den Film sehen (er darf doch nicht wissen, dass ich den einen Akt gesehen habe), bevor ich dazu Stellung nehmen kann. Gestern rief mich Kane und erzählte mir von Eurem Protest und was ich dazu meine.
[Robert Kane, Leiter der Paramount in Joinville]
Ich sagte ihm, dass ich den Film noch nicht gesehen habe. Er wollte ihn mir gleich zeigen lassen, doch nun war wirklich keine Kopie da, sie wurde nach Deutschland geschickt. Ich soll ihn sofort sehen, sobald die Kopie zurückkommt. – Erika Helmke hat für Dich gesprochen und eine Karikatur aus Deiner Stimme gemacht – unnatürlich, unschauspielerisch, mit einem Wort lächerlich. „Gib mir ‚n’ Kuss!“ ist der größte Lacher in Berlin.
[Erika Helmke war Theaterschauspielerin in Berlin. Sie schreibt am 28. September 1931 an ihren Freund Carl Reinicke, sie habe für fünf Wochen in Paris Dishonored „auf deutsch gemacht“ – dieser Film wird aber leider nie herauskommen, weil SIE ihn verboten hat. Sie ist doch eine Deutsche und wird selber den Film verdeutschen. Na, soll se. Ich habe mein Geld und noch dazu Reklame – denn das ist natürlich schon in den Zeitungen besprochen worden.“]
Man kann ja die Amerikaner und Karol, weil er verantwortlich ist dafür, nicht überzeugen, wenn ich auch den Film gesehen haben werde. Ich muss und werde ehrlich meine Meinung sagen und mich noch unbeliebter machen hier. Ich bin unlängst erst wieder eingeschritten gegen den Haupttitel auf dem Stand „Marlene Dietrich und Victor MacLaglen in Dishonored“ statt nur M.D. in D. mit V.M.L. Das war so gemacht worden für die französische Fassung, die deutsche den Trailer [so im Original]. Alles wurde geändert, weil ich sagte, ich müsse das zu Euch berichten, wenn es so bleibe. Lasky hat angeblich begeistert geschrieben über deutsch Dishonored! – Wie kann er das verstehen, sie sehen ja nur das technische.-
[Jesse L. Lasky, zu der Zeit Produktionschef der Paramount]
Man kann deine Stimme nicht dubben, für Deutschland schon gar nicht. Man schadet Dir und indirekt der Paramount damit mehr, als wenn man den Film in Deutschland so laufen lässt und angeblich $100.000 mehr herausholt als aus einem Original mit deutschen Titeln. Man kann auch künstlerisch dubben, wie das wirklich bei der französischen Version geschah, wo ein hervorragender Schauspieler und Regisseur, der auch mit dubbt, die Dialoge textet. Aber hier bei deutsch Dishonored machte es J. Kirschner, der Schames von Karol, Sohn von Rachmann, der keine Ahnung hat von einer Schauspielerführung.
[Sam Rachman, auch Rachmann, deutsch-amerikanischer Film-Manager]
Das ist Dilettantismus in höchstem Grade. Die schwule, weiche Stimme von [Alfred] Gerasch hat man McLaglen gegeben, den Kovrin spielt Harry Nestor !! – Beide zufällig in Paris, die niemand mehr in Deutschland beschäftigt. So wird hier gearbeitet!! Die französischen Versionen machen wenigstens erstklassige Pariser Schauspieler und wenn es auch nicht Deine Stimme ist, so ist es doch anständig natürlich gesprochen und empfunden.
Von der Paramount in Berlin habe ich noch nichts gehört, was sie dazu gesagt haben. Aber was versteht J. Schäfer schon davon.
[C. J. Schaefer war Repräsentant der Paramount in Europa]
Wäre es nicht das Beste, Du würdest Deine Sätze drüben selbst dubben? – Wenn Shanghai Express fertig geschnitten ist, dubbst Du einfach deine Sätze, d.h. Du lässt Deine Szenen, in denen Du sprichst, stumm laufen und sagst Deine Sätze nochmal in deutsch vor dem Mikrophon und lässt sie aufnehmen. Die deutschen Sätze müssen natürlich in der Länge so formuliert sein, dass sie mit der Länge des englischen Satzes ausgehen. Du probierst jede Szene vorher, sprichst sie vor dem laufenden stummen Film bis es übereinstimmt und dann sprichst Du sie in das Mikrophon, das vor der Leinwand steht und lässt sie aufnehmen. Auf dem „Playback“, der Wachsplatte, kannst Du sofort nachher kontrollieren, ob es gut ist. In einer Woche Arbeit kannst Du das gemacht haben und Ihr seid diese Sorge los. Das Tonnegativ wird dann nach Paris geschickt und mit den anderen Stimmen sollen sie machen, was sie wollen. Das ist mein Vorschlag, denn ich glaube nicht, dass die Paramount auf das Dubben verzichten wird, so lange sie sich nicht überzeugt haben, dass es für Deutschland mit einer Ersatzstimme für Dich unmöglich ist. Da sie in Frankreich gute Erfahrungen gemacht haben, werden sie es jedenfalls auch in Deutschland versuchen und ich kann wohl auch glauben, dass sie mit einem deutsch gesprochenen Film mehr Geld machen, besonders in der Provinz. Besprich das mit Joe, ich halte es für die beste Lösung. Auch für Französisch könntest Du es so machen, wenn es Dir wichtig genug erscheint. Ich schreibe Dir noch über die anderen Akte, wenn ich sie gesehen habe, werde Dir aber nichts Erfreulicheres mitteilen können. – Ich arbeite nun an Dishonored italienisch. Es wird bestimmt nicht so zerfitzelt sein wie Morocco, er ist bei mir bestimmt in den besten Händen. Ich werde alles tun, was ich kann und darf. Auf keinen Fall wird diesmal eine stumme Szene sein, wo nötig, wird gedubbt. Ich habe mir das Szenario für die eingeschnittenen Szenen allein gemacht, gehe auch den Schnitt an und inszeniere die neuen Szenen selbst. Es ist die schwerste Arbeit, die ich je gemacht habe, abgesehen davon, dass ich sie Euretwegen nicht gern mache. Aber es ist jetzt nichts anderes zu tun und es ist bestimmt besser, ich mache sie statt ein anderer. Kane gibt mir von dieser Woche ab Frs. 1000,- mehr, also $ 100 pro Woche, so dass ich jetzt ca. M 1600 im Monat verdiene.
Wenig genug für diese furchtbare Arbeit. Jeden neuen Film mache ich lieber. Die ganze Arbeit ist ja ein Blödsinn, aber Italien verlangt eingeschnittene Szenen mit italienischen Schauspielern. Das ist noch schlimmer als dubben, weil man ja den Film zerstört, aber was soll ich tun. Ich schicke Euch das Szenario, damit ihr seht, was das für eine Arbeit ist. – Von Electrola sind lt. Abrechnung per 30. Juni M 1299,54 eingegangen, die ich auf Muttis Konto überweisen ließ, weil sie doch immer Zahlungen für Dich und mich in Berlin leistet, ich also, bis das Geld verbraucht ist, keine Überweisungen von hier mehr vorzunehmen brauche. Wunderbar sind Deine neuen Bilder aus Shanghai Express – begeisternd.
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Der Brief von Rudi Sieber und der Brief von Erika Helmke stammen aus der Marlene Dietrich Collection Berlin; ebenso das Foto aus Joinville.
© Die Marlene Dietrich Collection GmbH. Published by permission.