Rudi Sieber an Marlene Dietrich über die Berliner Premiere von Dishonored

Vorbemerkung:
Rudi Sieber berichtet, dass die deutsche Fassung von Dishonored (USA 1931; Regie: Josef von Sternberg) schon vor der Premiere um zahlreiche Szenen gekürzt wurde. Die Länge der Originalfassung gibt der Katalog des American Film Institute mit 8.100 feet an. Umgerechnet sind das 2.469 Meter (Genauer: 2.468,88 Meter). In Deutschland wurde Dishonored 1931 unter dem Titel X -27 in einer Länge von 2.563 Metern freigegeben – damit ist die deutsche Fassung fast 100 Meter länger als die amerikanische Fassung. Wie sich die deutsche von der amerikanischen Fassung unterscheidet, ist unklar. Es scheint aber, als sei die deutsche Fassung nach der Freigabe durch die deutsche Zensur noch vor der Premiere in Berlin von der Paramount selbst gekürzt worden. Und selbst diese Version erregte noch Ärger.

Paris, 17. Januar 1932
Meine Liebste, mir geht es so wie Dir, ich weiß nicht womit anfangen. Ich danke Dir so für Deinen süßen langen Brief, auf den ich später noch zurückkomme. Jetzt will ich Dir erst mal von der Premiere schreiben. Am Dienstag war ich in der Paramount, sprach auch mit Reno – Schäfer war noch nicht aus Paris zurück – , der sehr pampig war, und fragte ihn, was geschnitten sei.
[Paul Reno war 1931 Aufnahmeleiter in den Paramount-Studios in Joinville;
C. J. Schaefer war Repräsentant der Paramount in Europa]
Ich erzähle Dir jetzt chronologisch, was vor der Premiere schon geschnitten war: Die österr. Volkshymne während des Balles (angeblich unmöglich, weil es auch das Deutschlandlied, jetzt die deutsche Hymne sei). Dadurch fiel natürlich auch die während der Hymne gesprochene Szene zwischen Dir, [Victor Mc] Laglen und [Warner] Oland heraus, mit den Krücken. Dann von den Kriegsbildern waren die mit den Franzosen und Engländern und den Tanks herausgeschnitten, mit der Begründung, dass es an der russischen Front keine Tanks gab. Dann am Schluss war aus „nationalistischen Gründen“ die ganze Weigerung des Leutnants, Dich zu erschießen, herausgeschnitten, so dass der andere Offizier gleich Kommando zum Feuern gibt. Dann waren Deine beiden Großaufnahmen, wo Du Dir die Lippen schminkst und den Strumpf richtest, herausgenommen worden. Das vorher! – Alles war gut, Vorreklame, großes Interesse, Außenfront des Capitol (ich habe Bilder davon machen lassen, die ich gestern bekam und mit gleicher Post schicke). Um 7 Uhr war Alles da, große Auffahrt. Alles war ruhig und gespannt. Der erste Lacher kam, als Laglen den Säbel gegen Dich zieht, nachdem Du ihm das Schlafmittel gegeben hast. Dann wurde es langsam unruhig. Bei der Szene, wo Du Klavier spielst, und die Noten wieder niederschreibst, ging es los, Lachen, Pfeifen und Applaus durcheinander. Dann wurde es wieder ruhig bis zu der Szene, wo Du in der Zelle Klavier spielst. Das war am tollsten, da pfiffen sie die Melodie mit und dann waren sie nicht mehr zu halten. Neue Proteste, wenn Du Deinen Spiegel verlangst und der Leutnant Dir den Säbel reicht, und dann größter Lacher, wenn Du ihm mit der Augenbinde die Augen trocknest. Dann wurde es wieder einen Moment ruhig, bis nach Deinem Fall Seyffertitz vor Deiner Leiche salutierte, ging es los bis zum Schluss. Dann großer Lärm, auch Applaus. Ich war so aufgeregt und so wütend. Betty Stern war mit Frau Pommer drin, dem „gütigsten“ Menschen, und Frau Pommer sagte noch, Marlene müsste eben hier in Deutschland Filme machen, wenn sie das auch nicht verdiene wie drüben.
[Betty Stern führte in Berlin einen Salon, in dem auch Marlene Dietrich verkehrte; Gertrud Pommer, Ehefrau des Produzenten Erich Pommer]
Diese Pute fehlte mir noch und ich glaube nicht, dass ich sehr höflich war. [Moritz] Seeler, den ich durch Betty kennen lernte, lief aufgeregt herum und schrie immer, das sei die genialst gemachte Kolportage, die er je gesehen habe.
Paramount-Leute kamen zu mir und sagten, dass ich schneiden solle. Ich wollte es schon tun, sagte aber, dass ich das nicht tun dürfe und könne, sagte nur, sie müssten doch wissen, was sie herausnehmen sollten , wenn sie nicht um 9 h dasselbe erleben wollten, und so wurde dann auch nach Schnitt des Degenziehens Laglens, Kürzungen der Klavierszene mit den Offizieren, Schnitt der ganzen Zellenszene mit Klavier und Schnitt der Szene mit der Augenbinde die 9 h Vorstellung ein voller Erfolg ohne jeden Protest. Nur Applaus zum Schluss. Ich glaubte nicht, bei demselben Film gewesen zu sein, so groß war der Unterschied. Ich war so glücklich, aber konnte man das voraussehen? Gemein ist ja die deutsche Presse zum Teil. Ich habe Dir alles geschickt, was ich nur irgendwie bekommen konnte. Heute schicke ich Dir die letzten Kritiken. Tagebuch, gemein!! – Weltbühne, noch gemeiner! Es ist eine solche Gemeinheit von den Kerlen, alles Neid! – Pfui Teufel! – Ich fuhr am nächsten Abend ab, hörte nur noch, dass es um 7 h wieder viel Applaus ohne Protest gab und bis jetzt ist es ein gutes Geschäft und läuft die 2. Woche. […]

Rudi Siebers Brief stammt aus der Marlene Dietrich Collection Berlin.
© Die Marlene Dietrich Collection GmbH. Published by permission.