Georg Jacoby: Napoleons kleiner Bruder

Die E.F.A. [Europäische Film-Allianz] hatte mir zu diesem Film einen Kameramann aus Amerika geschickt. Die Amerikaner waren bereits während des Krieges dazu übergegangen, die Schauspieler nicht so zu beleuchten wie es in Deutschland bis dahin üblich war, nämlich 2/3 Licht und 1/3 Schatten, sondern sie stellten ihre Schauspieler gegen die Sonne. Sie benutzten die Sonne sozusagen als Rückenlicht, und so gelang es ihnen, die Aufnahmen viel plastischer zu gestalten. Das Vorderlicht erzeugten sie mit Hilfe von Gold- und Silberblenden. Durch diese konnte man die Stärke des Lichtes regulieren und mit Hilfe von Schleiern, die über die Blenden gelegt wurden, sehr differenziert beeinflussen.

Gruppenfoto „Napoleons kleiner Bruder“ in Kassel. Der Kameramann Meyers sollte Snyder (Schneider) heißen. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Roberto Lindemann

 

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Für die Schauspieler war diese Beleuchtungsmethode nicht gerade sehr angenehm, weil es für sie schwer war, bei dieser Fülle von Licht die Augen offen zu halten. Aber es war möglich, Personen unter einem dunklen Baum zu fotografieren, indem man durch die Blenden auch hierhin genügend Licht werfen konnte. Es war eine große, umwälzende Umgestaltung der Filmfotografie. […] Auch im Atelier benutzten wir jetzt diese Spotlights und beleuchteten mit ihnen von rückwärts die Köpfe der Schauspieler, die dadurch eine Art Heiligenschein bekamen. […] Diese Spots wurden später durch große Scheinwerfer ersetzt, die ein weicheres Licht verbreiteten. Die deutschen Kameramänner standen dieser neuen Beleuchtung anfangs sehr skeptisch gegenüber. Mein amerikanischer Kameramann Mr. Snyder machte seine Großaufnahmen so, dass er durch die Irisblende das Bild derartig einengte, dass nur der Kopf des Künstlers in einem schwarzen Rahmen sichtbar blieb. Die Aufnahmen passten nicht ganz zu den Totalen, aber sie waren sehr wirksam. Nun hatte ich für diesen Film eine junge

Marlene Dietrich in einer Drehpause von „Napoleons kleiner Bruder“

Schauspielerin, die mir von der E.F.A. sehr empfohlen war, engagiert, ein junges Mädchen, das eben aus einem schweizer Pensionat kam. Sie entsprach äußerlich nicht gerade dem damaligen Ideal einer Filmschauspielerin. Sie hatte ein etwas eigenwilliges, aber interessantes Gesicht und eine blendende Figur. Die Herren der Paramount hatten mich gebeten, von dieser jungen Dame Probeaufnahmen zu machen. Ich sagte ihr: „Mein liebes Fräulein, es hat keinen Sinn, von Ihnen Probeaufnahmen zu machen, denn meine Regiekollegen werden Sie kaum beschäftigen. Ihr Gesicht ist zu eigenwillig und nicht fotogen genug. Heute bevorzugt man sogenannte Seifenschachtelgesichter. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Kommen Sie mit mir nach Wilhelmshöhe bei Kassel. Ich mache dort Außenaufnahmen für meinen Film „Napoleons kleiner Bruder“. Den König Jérôme spielt Paul Heidemann, die erste Hofdame Lia Eybenschütz. Sie können die zweite Hofdame spielen. Sie stehen dann immer neben dem König und sind bei seinen meisten Großaufnahmen mit im Bild.“

 

Erste Rolle im Film „Napoleons kleiner Bruder“

Als ich mir ein paar Tage später unsere Muster ansah, bemerkte ich, dass Mr. Snyder diese junge Dame derart in den Schatten der Irisblende gestellt hatte, so dass man von ihr fast nichts sah, sondern sie höchstens ahnen konnte, während Lia in voller Größe, sie war allerdings wirklich eine schöne Frau, neben dem König zu sehen war. Ich sagte meinem Kameramann:“ Lieber Snyder, was Sie da machen, ist mir sehr unangenehm, meine Direktion wünscht gerade dieses Fräulein hauptsächlich im Bild zu sehen!“ Darauf erwiderte Mr. Snyder: „Lieber Herr Jacoby, solange im deutschen Film solche Frauen beschäftigt werden, wird der deutsche Film in Amerika nie Erfolg haben.“ Dieses junge Mädchen war Marlene Dietrich. Diese mehr als abfällige Kritik meines Kameramannes hat Marlene in ihrer künftigen Filmlaufbahn aber nicht geschadet. Sie war ein junges Mädchen mit noch etwas zuviel „Jungfernspeck“ behaftet. Aber sie war schon damals eine Frau, die durch ihre wunderbar weiße Pfirsichhaut und ihre bemerkenswert schönen Beine auffiel. Sie war eben nur noch etwas zu füllig.

Georg Jacoby: Unveröffentlichte Memoiren. Aus dem Nachlass von Marika Rökk. Nachlassarchiv Deutsche Kinemathek
© Gabriele Jacoby. Mit freundlicher Genehmigung