Der Film Liebe 47 war aus irgendwelchen Gründen bisher in Hamburg noch nicht aufgeführt worden. Er sollte die Grundlage für eine Fortführung der Aussprache über die gemeinsamen Aufgaben von Kirche und Film bilden. Dank dem Entgegenkommen der Panorama-Film Ges. war es möglich geworden, den Liebeneiner-Film dem Arbeitskreis in einer Sondervorführung zu zeigen. Etwa 90 geladene Gäste, unter denen sich die greisen Eltern Borcharts befanden, folgten den aufrüttelnden Bildern mit einer Erschütterung, die deshalb besonders bemerkenswert war, weil es sich zum größten Teil um altversierte Fachleute aus dem Gebiet des Films handelte. Außer den Vertretern der Kirche, unter ihnen Oberkirchenrat D. Knolle, und denen des Staates mit Senatsdirektor Lüth an der Spitze, waren die Repräsentanten von Rundfunk, Presse und vor allem vom Film in großer Zahl erschienen. Eine große Erwartung hatte sie alle zusammengeführt und eine gewisse Spannung, wie sie bedeutsamen Ereignissen vorausgeht, lag in der Luft. Sie löste sich langsam, als Wolfgang Liebeneiner in seiner besinnlichen Weise über die Aufgabe und Bedeutung des Films in der Gegenwart sprach und hierbei besonders auf die Notwendigkeit hinwies, dem Wort im Film wieder Geltung zu verschaffen. Liebeneiner bekannte sich zu dem Wagnis, die Not unserer Seele darzustellen trotz aller Rufe, die sich gegen zeitnahe Stoffe wenden. Die wesentliche Aufgabe seines Films sollte darin bestehen, unserer Welt klarzumachen, dass die Lüge in unserem Leben keinen Platz mehr haben sollte. Er habe sich deshalb von großen Worten ferngehalten und den neuen Beginn der beiden dem Tode entronnenen Menschen zwar in einer körperlichen Trennung, aber doch mit neuer seelischer Kraft angefüllt dargestellt. Es sei nicht richtig, wenn man annehme, seine Umarbeitung des Borchert’schen Stückes sei Borchert wesensfremd. Er, Liebeneiner, sei sich schon zusammen mit Borchert darüber klar gewesen, dass eine Frau in die Problematik einbezogen werden müsste, da erst durch die Gemeinsamkeit von Mann und Frau, die durch den Krieg weithin erschüttert sei, eine Lösung der Spannung möglich sei.
In der Aussprache wurde deutlich, dass sehr wohl eine Antwort auf die großen Fragen nach dem Sinn des Geschehens um uns erwartet werde, und dass Liebe 47 einen Weg dahin zeigte. Es wurde ausgeführt, dass gerade dieser Film die Bedeutung dieses künstlerischen Ausdrucksmittels als moralische Anstalt bezeuge. Es wurde gefordert, diesen Film auf der UNO-Vollversammlung zu zeigen. Einen breiten Raum nahm die Frage nach dem Geschmack des Publikums ein. Liebeneiner stellte die Forderung auf, dieses Publikum nicht zu unterschätzen, denn die Traumfabrik würde von weiten Kreisen schon abgelehnt. Es sei eine gewisse Bereitschaft vorhanden, sich mit den letzten Fragen auseinanderzusetzen. Die Aussprache, die von Pastor Wilken geleitet wurde, erreichte einen Höhepunkt, als über den Begriff des „Lieben Gottes“, wie ihn Beckmann aus seiner Kindheit in Erinnerung hatte und den er heute nicht mehr verstand, gesprochen wurde. Auch Liebeneiner kam zu dem Schluss, dass Beckmann am Ende seines tödlichen Soldatentraums doch Gott verstand. Indem er die Verantwortung für einen anderen Menschen übernahm, empfand er den Mut zur Lebensbejahung, zur Ergänzung seines suchenden und fragenden Ichs, zu einem neuen Beginn. Nicht eindrucksvoller hätte dieser Abend geschlossen werden können als es durch die klärenden Worte Curt Oertels geschah, der den Film als die Fortsetzung der schwarzen Kunst Gutenbergs bezeichnete und Liebeneiner als den Wegbereiter des neuen deutschen Films feierte.
Dr. Wilhelm Timmermann in: Der neue Film, 20. April 1949, Nr. 11