Der Filmpresseverband hat zu meinem im Film-Kurier vom 24. August veröffentlichten Artikel „Film-Kritik und Film-Reklame“ in einer Erklärung Stellung genommen, die in der letzten Nummer dieses Blattes wiedergegeben worden ist. Der Inhalt dieser Erklärung muss bei all denen, die nicht zu den Mitgliedern des Filmpresseverbandes gehören, einiges Kopfschütteln erregen. Ich habe in meinen seinerzeitigen Ausführungen eine Reihe von Missständen auf dem Gebiete der Film-Kritik und der Film-Reklame in ausführlichen Einzelheiten, jedoch ohne Namensnennung erörtert. Um festzustellen, welche Fälle im Besonderen gemeint waren, brauchte man wahrhaftig kein Spezialist im Rätselraten zu sein. Die Filmindustrie, die sich in Anbetracht der Wichtigkeit der Sachlage der Angelegenheit mit dem nötigen Eifer angenommen hat, ist sich vollkommen im Klaren, in welche Richtung sie ihre Schritte lenken muss. Nur der Filmpresseverband, in dessen Reihen die Herren sitzen, von denen die Rede ist, und auf dessen Tätigkeitsfeld sich die Missstände ergeben haben, hält meinen Artikel offenbar für einen verspäteten Aprilscherz. Sein Name ist Hase, er weiß von nichts. Mit einer großzügigen, beschwichtigenden Geste weist er alle wie immer gearteten Angriffe von sich. „In wenigen Fällen haben sich“, so heißt es in der Erklärung u.a., „Missstände ergeben, die aber mit Korruption nicht das Geringste zutun haben und an sich die Pflichten eines Journalisten nicht verletzen.“(!) Der Inhalt dieses Satzes steht auf dem gedanklichen Niveau, das die von manchen Mitgliedern des Filmpresseverbandes verfassten Filmkritiken aufzuweisen pflegen. „An sich“ werden Missstände zugegeben, aber diese Missstände sind gar keine, denn sie verletzen „an sich“ die Pflichten eines Journalisten nicht. I wo! Wer wird denn immer gleich das Schlimmste denken!! „An sich“ wäre es besser, wenn der Filmpresseverband nunmehr, nachdem der Stein ins Rollen gekommen ist, einmal Farbe bekennen und seine Reihen von den Elementen, die ihm so schaden wie der Industrie, gründlich säubern würde. Dadurch, dass der Filmpresseverband meine Vorwürfe „auf das entschiedenste als wissentlich unwahr“ zurückweist, schafft er sie nicht aus der Welt. Ich wiederhole und ergänze die in meinem ersten Artikel aufgestellten Behauptungen unter voller Namensnennung aller Beteiligten und fordere den Filmpresseverband hiermit auf, mir in jedem einzelnen Fall die Unrichtigkeit meiner Behauptungen nachzuweisen.
Die in den Reihen des Filmpresseverbandes für eine schleunige Beseitigung reifste Erscheinung ist Herr Erich Krafft. Herr Krafft bezeichnet sich als Redakteur des Acht-Uhr-Abendblattes, was man ihm wohl kaum glauben würde, wenn nicht allwöchentlich tatsächlich mit seinem Signum versehene Filmkritiken in diesem Blatte erscheinen würden. Er zeichnet ferner als Schriftleiter der Zeitschrift „Film und Brettl“, ist gleichzeitig Inseraten-Acquisiteur der „Ersten Internationalen Filmzeitung“, daneben Pressebeirat bei der Decla-Filmgesellschaft, und außerdem eröffnet er in nächster Zeit das Nationaltheater in der Köpenickerstraße als Kino, für das er bereits bei den verschiedensten Verleihfirmen größere Filmabschlüsse gemacht hat. Die Tatsache, dass Herr Krafft (wie er sagt), auch noch als Filmautor sich betätigt, fällt angesichts der übrigen Komplikationen nur wenig ins Gewicht. Herr Krafft findet es für gut, gegen mich die haltlosesten Verleumdungen auszustreuen, was mich nicht weiter berührt, da er nicht sonderlich ernst genommen wird. Und dieser Mann sitzt in der Aufnahmekommission des Filmpresseverbandes! Und dieser Filmpresseverband nimmt es mir übel, dass ich mich nicht vor der Veröffentlichung meines ersten Artikels mit ihm in Verbindung gesetzt habe!! Hinter einer derartigen überragenden Persönlichkeit, wie Herr Krafft sie darstellt, müssen allerdings alle übrigen Erscheinungen verblassen. So wird man gegen die Tatsache, dass sich die Zeitschrift „Der Film“ von einem aktiv tätigen Filmregisseur, Herrn Carl Boese, Kritiken schreiben lässt, oder dagegen, dass sich diese Zeitschrift von dem Herausgeber der von ihr selbst verurteilten „Filmschau“, Arthur Liebert, der dort im redaktionellen Teil bezahlte Filmbeschreibungen abdruckt, objektive Filmkritiken schreiben lässt, oder dagegen, dass der Dramaturg der Deutschen Bioscop, Richard Kühle, Kritiken über Berliner Erstaufführungen für die Süddeutsche Kinematographenzeitung verfasst, oder dagegen, dass der Filmkritiker der „B.Z. am Mittag“, Egon Jacobsohn, gleichzeitig Kritiken für die Düsseldorfer Fachzeitschrift „Der Kinematograph“ schreibt, die ihre Inseraten-Interessen derart in den Vordergrund stellt, dass sie über Firmen, die bei ihr nicht inserieren, keine Zeile veröffentlicht (Chefredakteur dieses Blattes ist Herr Emil Perlemann, der Erste Vorsitzende des Filmpresseverbandes) kaum etwas einwenden können. Denn wir sind ja weiß Gott nicht sonderlich verwöhnt.
Meiner Ansicht nach sind alle diese Herren zum mindesten als befangen anzusehen. Oder ist es nicht auffallend, wenn der Redakteur der „Vossischen Zeitung“, Dr. Kober, in einer Kritik über den Film Seelenverkäufer (1919; R: Carl Boese) die Schauspielerin Ria Jende als eine Entdeckung bezeichnet, die „unter den kinofreudigen Büromädchen zu Dutzenden zu finden ist“, während Herr Jacobsohn dieselbe Darstellerin in demselben Film in einer Besprechung im „Kinematograph“ eine „Diva“ nennt, die „mit Siebenmeilen-Stiefeln vorwärts schreitet“. Natürlich ist jede Kritik letzten Endes Ansichtssache, aber wenn man die zahlreichen Fäden kennt, die die Filmkritiker der Tageszeitungen mit der Fachpresse und der Filmindustrie verbinden, wird man sich bei so krassen Fällen eines peinlichen Eindrucks nicht erwehren können.
Die Filmfachpresse hat mir besonders die in meinem ersten Artikel aufgestellte Behauptung verargt, dass bei ihr „nahezu jede einzelne Zeile käuflich sei“. Seltsamerweise haben sich durch diesen Passus Blätter getroffen gefühlt, die nicht gemeint sein konnten und nicht gemeint waren. Und zwar diejenigen Blätter, die den reinen Fachinteressen der Filmindustrie dienen. In Bezug auf die sogenannten „Publikums-Blätter“, die sich mehr oder minder mit der Film-Industrie beschäftigen, erhalte ich diese Behauptung aufrecht. Herr Krafft hat sich mir gegenüber geradezu damit gebrüstet, dass fast jede Zeile in der von ihm mitgeleiteten Zeitschrift „Film und Brettl“, als deren Herausgeber der geschäftsführende Vorsitzende des Filmpresseverbandes, Herr Willi Böcker, zeichnet, bezahlte Arbeit sei. Er selbst hat mir das Angebot gemacht, über einen neuen, von mir inszenierten Film einen zwei Seiten langen Artikel mit Bildern für 500 Mark zu veröffentlichen, und als ich dies abgelehnt habe, hat er die Aufnahme des Artikels auch abgelehnt. Mit einer ähnlichen Taktik arbeiten auch die vielgelesenen Zeitschriften „Elegante Welt“, „Bühne und Film“ sowie die erst seit kurzer Zeit erscheinenden Blätter „Film-Tribüne“ und „Film-Rundschau“. Ab und zu kann auch der Laie merken, dass nicht alles redaktioneller Text ist, was so aussieht. Brachte doch die „Elegante Welt“ in ihrem redaktionellen Teil vor kurzer Zeit ein Bildnis von dem Film Das Gelübde der Keuschheit (1919; R: Nils Chrisander), der, wie es in der Unterschrift hieß, „in Berlin mit großem Erfolge zur Uraufführung gelangte.“ Das Bild erschien zu einer Zeit, zu der der Film noch gar nicht öffentlich vorgeführt worden war, und der „große Erfolg“ war nur von dem hellsichtigen Reklamechef der Gesellschaft vorausgeahnt worden. Es ist natürlich nichts dagegen zu sagen, dass jede Zeitschrift soviel Inserate aufnimmt, soviel sie erhalten kann. Aber gegen die nur in der Filmpresse geübte Praxis, bezahlte kritische Texte im redaktionellen Teil abzudrucken, muss der schärfste Widerspruch erhoben werden. Die Luna-Film-Gesellschaft hatte an ein hiesiges Blatt zu wiederholten Malen Mitteilungen über die von ihr in Angriff genommene Verfilmung Wedekindscher Werke gelangen lassen. Man wird mir zugeben, dass diese Tatsache mindestens so interessant ist wie die Nachricht, dass irgend ein Jemand ein Lustspiel gemacht hat: „Naucke spielt Klavier“. Aber dieser Jemand hat sich offenbar die Verbreitung dieser Nachricht etwas kosten lassen, während die Luna-Film-Gesellschaft in diesem Punkt von einer geradezu kläglichen Einfalt beseelt war. Denn sonst hätte es ihr nicht passieren können, dass sie als Antwort auf eine an die Redaktion gerichtete Anfrage, warum ihre Notizen nicht erschienen sind, von der Inseratenabteilung dieses Blattes ein Schreiben erhielt, in dem als bester Weg zur Aufnahme von redaktionellen Notizen die Aufgabe eines Inserates empfohlen wird.
In seiner Erklärung wendet sich der Filmpresseverband auch gegen den Kartellrat. Er behauptet, jederzeit den Nachweis zu erbringen, dass es nicht an Versuchen gefehlt hat, Filmjournalisten zu Korruption zu verleiten. Wenn diese Behauptung richtig ist – warum ist der Filmpresseverband nicht selbst schon mit seinem Material vor die Öffentlichkeit getreten? Warum hat er mit seiner Anklage gewartet, bis er selbst angeklagt wurde? Und dann: Der Filmpresseverband kann die gegen einen großen Teil seiner Mitglieder erhobenen Vorwürfe nicht dadurch entkräften, dass er seinerseits andere Vorwürfe erhebt. Der Filmpresseverband soll – ich wiederhole meine Aufforderung – das bis jetzt zusammengetragene Material Punkt für Punkt vor aller Öffentlichkeit entkräften und erst, wenn ihm das gelungen ist, hat er die Berechtigung zu seiner so bombastischen und umfassenden Abwehr-Erklärung, wie er sie bereits jetzt abgegeben hat und wie sie nach dem heutigen Stand der Dinge ohne jeden Eindruck bleiben muss.
Der in meinem ersten Artikel ausführlich erwähnte Herr Z. gehört nicht dem Filmpresseverband an, da dieser Verband bekanntlich die Aufnahme abgelehnt hat, steht also zunächst nicht im Rahmen dieser Debatte. Es wird sich aber in allernächster Zeit die Gelegenheit ergeben, eingehend auf diesen krassesten aller Fälle zurückzukommen.
Film-Kurier, 4. September 1919, Nr. 77