Der Letzte Mann. Eine Unterredung mit dem Autor des Films.

Plakat Nr. 3 – Grösse VII (142 x 284 cm)
Entwurf: Schwormstädt München

In der letzten Nummer des M. M. [ Der Montag Morgen – Berliner Wochenblatt] stand eine seltsame Nachricht: Einem deutschen Film ist es gelungen, die Amerikaner, die selbstbewusste und genügsame Filmnation, in Begeisterung zu versetzen, ihre Kritiker zur höchsten Anerkennung zu bewegen. Diese Nachricht wäre nicht so unglaubwürdig. Aber … man rieb sich die Augen, als man las: „Der Film spielt im Herrentoilettenraum eines Hotels.“ War das ein redaktioneller Ulk? Eine Satire auf den Film? Ein verfrühter Faschingsscherz? Aber dann las man Namen. Carl Mayer der Autor (der Mann des Caligari, der Hintertreppe, der Scherben, des Sylvesters), Direktor Pommer, Regisseur Murnau, Jannings. Kein Zweifel, wir standen vor der sonderbarsten, um nicht zu sagen, tollsten Tatsache in der Geschichte des Films.
Woher nahmen der Autor und die Filmgesellschaft den Mut, gerade diesen Film in Amerika erst aufzuführen, woher den Glauben, gerade mit diesem Film das widerstrebende Amerika zu erobern?
Ich nahm alle diese Fragen zusammen und begab mich damit zu Carl Mayer. Und als ich diesem kühnen Mann gegenübersaß, holte ich sie eine nach der andern hervor.
„Wie und wo in aller Welt“, fing ich also an, „wurden Sie bewogen, gerade den Toilettenraum ….?“
„Im Toilettenraum eines großen Berliner Hotels. Sehen Sie, gerade, weil man von diesem Raum nicht gerne und nur mit einem gewissen Unterton des Witzes spricht, tauchte vor mir die große Tragik des alten Mannes auf, den ich darin als Wärter fand. Eines alten Mannes, der einst die prächtigen Tressen des Hotelportiers wie ein König trug und den dann das Alter zum „letzten Mann“ des Hotels gemacht hatte. Dieser Raum erschien mir auf einmal als ein furchtbarer Hintergrund für ein Stück, das die Tragödie des alten Menschen, des Alters heißen könnte.“

„Es war ein kühner naturalistischer Griff.“
„Naturalistisch? Ja, und doch noch etwas mehr. Es ist doch nicht allein ein Einzelschicksal, das hier naturalistisch gestaltet ist. Es schwingt in Bild und Handlung doch auch jene gewisse mystische Atmosphäre mit, die fassbar-unfassbar über allem Leben lagert und im reinen Naturalismus verloren geht. Ich sagte Ihnen schon, dass es nicht die Geschichte eines alten Mannes, sondern die Geschichte, die Tragödie des alten Mannes ist. Wenn der alte abgesetzte Portier das erste Mal durch den engen Gang zu seinem neuen Lebensbezirke geht, wenn er seine alte Livree stiehlt, um zu Hause noch immer den ‚König’ spielen zu können, wenn dann alles endgültig zusammenbricht, liegt in allen diesen Bildern ein unnaturalistisches Grauen der Seele.“
„Wie ich gelesen habe, haben Sie das Moderne des Films durch technische Neuerungen noch gesteigert.“
„Ich müsste Ihnen nun eigentlich eine lange Vorlesung über ‚die Phantasie des Filmschriftstellers’ halten. Der Filmschriftsteller muss ein wahrer Magister artium sein, oder noch besser, er muss alle Künste beherrschen. Er braucht die Phantasie des Dramatikers, des Regisseurs, des Malers, des Architekten, des Photographen, des Technikers, des Musikers, des Menschendarstellers. Ein Filmmanuskript ist eine Partitur, in der alle diese Künste die einzelnen Stimmen bedeuten. Die tragende Stimme, der Grundbass gleichsam, ist das Technische. Gerade in dem von mir gewählten Milieu konnte das Menschliche der Stimmung nur dadurch herausgeholt werden, dass sich der Zuschauer ganz in die Person, fast hätte ich gesagt, ins Auge des alten Mannes versetzen kann. Das war ein Problem, das noch nicht gelöst war; denn in den Filmen sehen wir die Umgebung der handelnden Personen so, wie sie dem Beschauer und nicht, wie sie den Personen selbst erscheint. Wir sehen die Personen von Weitem über eine von Weitem gesehene Szene schreiten. Im vorliegenden Film z. B. musste das Qualvolle des Ortes mit den Augen des alten Mannes gesehen werden. Die beste Lösung dieses Problems wäre, wenn der Alte selber den Kurbelkasten trüge. Das ging nun nicht. Ich fand einen Weg darin, dass ich den Operateur nicht wie bis jetzt an einem fixen Orte aufstellte, sondern dicht hinter dem Alten einhergehen ließ. Er musste zu diesem Zwecke den Apparat um den Leib schnallen. So sieht der Zuschauer aus Aug’ und Seele des Alten. Es sind eigenartige Bilder. Wie durchgearbeitet die ‚Partitur’ ist, mögen Sie aus der Tatsache entnehmen, dass ich sieben Monate daran gearbeitet habe.“
„Und wie haben Sie die Liebesgeschichte in die Handlung verwebt?“
„Liebesgeschichte? Es gibt keine Liebesgeschichte.“
„Du lieber Himmel! Ein Film ohne Liebesgeschichte! Sie erscheinen mir immer kühner.“
„Es gibt keine Liebesgeschichte. Ich sage es noch einmal: Es ist die Tragödie des Alters. Ein klares Stück Leben und klares Stück Mensch. Es gibt auch keine Titel.“
Carl Mayer spricht noch in Worten dankbarer Anerkennung von der Hingabe aller (ob „prominent“ oder „nicht prominent“) an der Herstellung des Films Beteiligten, die durch Dick und Dünn der gestellten Aufgabe gingen, und erwähnt hierbei vor allem den Namen Erich Pommer.
„Sie wissen wohl, dass der Direktor einer Filmgesellschaft kein Experimentator ist. Es steht zu viel auf dem Spiele. Aber mit der Kühnheit der Überzeugung nahm sich Direktor Erich Pommer des Stückes an. Er schenkte ihm jenes volle Direktoreninteresse, das der letzte entscheidende Faktor für ein Stück ist, das gut werden soll. Es war mehr als Interesse, es war Hingabe. Im Regisseur F.W. Murnau fand das Manuskript einen der ahnungsvollsten Künstler des Films. Jannings schenkte ihm seine große Schauspielkunst und die Hingabefähigkeit eines Kindes. Da war Karl Freund, ein Operateur, dessen Können sich an allem, was neu und fortschreitend ist, zu höchsten Leistungen entzündet. Allen diesen Trefflichen habe ich für den amerikanischen Erfolg dankbar zu sein.“