Sie hatte nicht den Glamour der Dietrich, nicht das Göttliche der Garbo und war dennoch eine der großen unsterblichen Ikonen des Kinos: sie war die Jungfrau und die hypersexualisierte Maschinen-Maria in Fritz Langs monströsem Metropolis, dem großen Klassiker des deutschen Stummfilms. Brigitte Helms Karriere beginnt wie ein Illustrierten-Roman. Die Mutter schickt dem Regisseur Fritz Lang 1924 ein Bild ihrer Tochter, der berühmte Regisseur macht mit ihr eine Probeaufnahme und die gänzlich Unbekannte bekommt die weibliche Hauptrolle in dem teuersten Film der deutschen Filmgeschichte. Metropolis ruinierte beinahe die Ufa und machte Brigitte Helm über Nacht berühmt. Die Ufa gab ihr einen Vertrag; zehn Jahre und 29 Filme lang spielte sie im deutschen, französischen und englischen Film. Genau so plötzlich wie sie im Film aufgetaucht war, verschwand sie wieder. 1935 zog sie sich vom Film zurück, spielte nicht auf der Bühne, trat nie im Fernsehen auf, lehnte alle Einladungen ab und gab nicht ein einziges Interview. Wer, um alles in der Welt, war Brigitte Helm, und was war passiert?
Am 17. März 1906 wird Brigitte Helm (ihr richtiger Name war Schittenhelm) in Berlin geboren. Schauspielerfahrungen sammelt sie bei Theateraufführungen ihrer Schule, aber an eine Schauspiel- Ausbildung denkt sie nicht. Nach dem Abitur will sie Astronomin werden, sie ist offensichtlich neugierig auf alles Moderne. Und dann spielt sie in Metropolis. Ihre Mimik und Gestik sind noch ganz vom Expressionismus geprägt; sie reißt als Jungfrau Maria die Augen auf, ringt die Hände vor der Brust und spitzt den Mund zum keuschen Kuss. Als Maschinen-Maria aber ist sie nur noch sexueller Körper und Objekt der Begierde, die personifizierte Sünde, Hexe der Lust und erotisches Wahnbild der Nacht. Die Ufa wollte sie auf die Rolle des männermordenden Vamp festlegen; zweimal , 1927 und 1930, musste sie Alraune spielen, jene sagenhafte Frau, die aus dem Samen eines Mörders und dem Schoß einer Dirne geboren wird und die Männer in den Tod treibt. 1929 schon hatte sie versucht, alle Vamp-Rollen abzulehnen; sie klagte gegen die Ufa und verlor. Der Prozess hatte sie ein Vermögen gekostet, jetzt spielte sie hauptsächlich, um ihre Schulden abzuzahlen.
Neben zahlreichen belanglosen und abgrundschlechten Filmen gab ihr vor allem G.W. Pabst die Gelegenheit zu großen schauspielerischen Leistungen.. In Die Liebe der Jeanne Ney (1927) stellt sie eine hilflose Blinde dar, die von einem Schurken verführt wird;. in Abwege (1928) ist sie eine verwöhnte, mondäne Frau,, die aus lauter Langeweile fast ihr Leben zerstört. Brigitte Helm wird in den Filmen der frühen dreißiger Jahren zur Verkörperung der sachlichen, wohlhabenden und modernen Frau; mit ihrer schlanken, hohen Gestalt und dem herben, klassischen Profil scheint sie unnahbar; sie ist ein Leitbild für die modebewusste Frau, die niemals geht, sondern immer wie auf einem Laufsteg schreitet, und unter deren eiskaltem Äußeren leicht kriminelle Energien flackern.. In G.W.. Pabst Die Herrin von Atlantis (1932) ist sie eine undurchschaubare, statische Göttin, bei deren Anblick die Männer wahnsinnig werden. Ihre Macht ist untergründig, unbegreifbar, magisch. Dies war ihre letzte, wirklich große Rolle, eine sagenhafte, rätselhafte Sphinx des deutschen Films.
Einer Filmkritikerin erzählte sie auf dem Höhepunkt ihres Ruhms, ihre ganze Filmkarriere sei ihr egal, sie wäre viel lieber Hausfrau, würde kochen, Kinder großziehen und den Mann versorgen. Nach schlechten Pressekritiken und Verkehrsunfällen, für die sie zu einer kurzen Gefängnisstrafe verurteilt wurde,, zog sie sich ins Privatleben zurück. Sie heiratete den Industriellen Hugo Kuenheim und hatte aus dieser Ehe vier Söhne.
In den sechziger Jahren begannen die Filmhistoriker nach ihr zu forschen. Kevin Brownlow drang bis zu ihrem Haus in Ascona vor, doch sie ließ ihn nicht hinein. Die deutsche Journalistin Katja Aschke empfing sie Ende der achtziger Jahre nur unter der Bedingung, dass ausschließlich über Mode und den nach England emigrierten Modeschöpfer Werner Mahrenholz gesprochen wurde. Ihr Sohn erklärte einem Filmhistoriker auf seine Bitte, mit Brigitte Helm über ihre Filme zu sprechen, kategorisch: „Wenn ich das arrangiere, wird sie mich enterben.“ Mit dem Film war sie fertig, endgültig.
Brigitte Helm starb am 11. Juni 1996 in Ascona.