Vorbemerkung:
Die neugegründete Verleihfirma Parufamet, ein Zusammenschluss von Paramount, Ufa und Metro Goldwyn Mayer, zeigte in Berlin am 25. August 1926 in einer Pressevorführung drei Filme aus ihrem Programm: La Boheme (USA 1926; Regie: King Vidor), Die schönste Frau der Staaten (American Venus. USA 1926; Regie: Frank Tuttle) und Faust von F. W. Murnau.
In Wien wurde Faust am 14. September 1926 im Central-Kino der Presse vorgeführt. Der Rezensent des Reichsfilmblatt (Ausgabe 2. Oktober 1926) bemerkte eine pausenlose Vorführung und eine Länge von 80 Minuten. Das entspricht einer Vorführgeschwindigkeit von 26 bzw. 27 Bildern pro Sekunde.
Vor seinem Siegeszug
Nachmittags 3 Uhr, am U.T. Nollendorfplatz große Autoanfahrt. Die ganze „Branche“ ist versammelt: Verleiher, Theaterbesitzer, Künstler, Techniker, Literaten, Neugierige.
Pünktlich läuft der Pommer-Murnau-Jannings-Film an. Er findet eine kritische Gemeinde. Aber bald ist jeder Einwand dem genialen Wurf gegenüber verstummt. Keine Claque rührt sich. Lautlos – leider nur von der barbarischen Musik eine Pseudomusikanten gestört, sitzt man da. Übersieht die mäßige Projektion, übersieht die unfestliche Enge dieses für einen Großfilm völlig ungeeigneten Kinos und erlebt den Siegeszug voraus, den dieser festliche, dabei doch so unopernhafte Film durch Deutschland und die Welt antreten wird.
Zum Schluss: ein kurzer, ehrlicher Beifallssturm. Gruppen bilden sich im Hause, vor dem Hause. Man kann sich noch nicht trennen. Man diskutiert.
Ein prominenter Theaterkritiker will sofort an Pommer und Murnau kabeln. Man bedauert, Camilla Horn, Jannings und Ekman nicht zu sehen. Hoch gehen die Wogen der Begeisterung.
Ein Sieg des künstlerischen Großfilms – auf der ganzen Linie.
Herr Graf, der Vorsitzende des Zentralverbandes, meint: „Den Film möchte ich unter den Arm nehmen und damit losreisen. Millionen kann er einbringen – vorausgesetzt, dass er richtig lanciert wird. Auf das Herausbringen dieses Films kommt alles an. Mit Ufa-Wochenschau, Margarethenlieder und einem Komiker als Mephisto geht es natürlich nicht. Dieser Film ist ein Festspielfilm.“
Ein Festspielfilm – das ist sein Charakter. Die ganze Welt wartet auf diesen Film.
Ihn auszuwerten, zu verleihen, zu spielen – gehört zu den dankbarsten Aufgaben, die Theaterbesitzer und Verleiher je zu erfüllen hatten.
Um die Faust-Titel
Der Faust-Film ist in einer Interessentenvorführung gezeigt worden.
Aus begreiflichen Gründen wurde die Presse vorher gebeten, die Kritik bis zur öffentlichen Uraufführung zurückzustellen.
Es sei daher auch nicht unsere Absicht, diese Forderung zu missachten. Aber etwas mußss über den Film schon jetzt gesagt werden, aus dem einfachen Grund, weil es bei der Premiere zu spät ist.
Das sind die Filmtitel. Bekanntlich hat die Ufa Gerhart Hauptmann mit ihrer Ausführung betreut.
In einer Montags-Zeitung wurden Proben aus den kommenden Titeln veröffentlicht. Und die schlimmste Befürchtung des Filmmenschen ist eingetroffen. Die Faust-Titel sind in Versform gehalten.
Was das für das Tempo des Films und sei nen Rhythmus bedeutet, das werden die Leute, die in dem verfilmten Faust nur den Versuch des Films sehen, ein höheres „literarisches“ Niveau zu erreichen, nie begreifen.
Nun hat aber der gestern gezeigte Faust-Film Titel. Sie stammen wohl von Kyser. Es mag an einigen etwas auszusetzen sein. Aber als Gesamtheit gesehen, genügen sie den Anforderungen, die man an sie stellen kann, vollkommen. Sie sind knapp gehalten, ihre Sprache ist schön und würdig – und sie sind in Prosa geschrieben.
Hauptmanns Titel kennen wir noch nicht. Wir können deshalb heute noch nicht über sie urteilen. Aber die zuständigen Stellen bei der Ufa mögen bei Empfang der Titel unparteiisch und ohne auf Hauptmanns Namen zu achten, urteilen, welche Titelfassung dem Film am besten gerecht wird.
Entsprechen die Hauptmann-Titel nicht den Erwartungen, dann möge man Extravorstellungen für die „Literaten“ mit „literarischen Titeln“ geben.
Aber denen, die den Film lieben, gebe man einen Faustfilm mit Filmtiteln.
G[eorg] Herzberg, Film-Kurier, 26. August 1926, Nr. 199