Gero Wecker: Offener Brief an Helmut Käutner

Gero Wecker

Sehr geehrter Herr Käutner!
Finden Sie es richtig, daß Sie vom dollarschweren Amerika aus Ihrer deutschen Heimat die Leviten lesen? Wenn Sie uns deutschen Produzenten so großzügig über den Ozean rufen, daß Sie in der von Ihnen und den Regisseuren Staudte und Braun neu gegründeten ,,Freien Filmproduktion Hamburg“ endlich „experimentieren können, auch auf die Gefahr hin, daß wir dabei Geld verlieren sollten“, dann frage ich Sie: Wer ist WIR? Sie selbst doch bestimmt nicht! Sicher eine Bank, ein Verleiher oder ein Theaterbesitzer, denn auf Ihre Gage werden Sie wohl nicht verzichten.
Der Film ist eine Industrie, jede Industrie muß Geld umsetzen. Für Pläne, wie die Ihren, braucht man Mäzene oder den Staat. Der Staat aber will an unserer deutschen Filmindustrie jährlich mehrere hundert Millionen Steuern verdienen. Er scheint also an dem deutschen Film als Kulturträger uninteressiert zu sein, denn er subventioniert und steuerbegünstigt die Schauspielhäuser und Opern der Großstädte, nicht aber uns!
Verehrter Herr Käutner, die deutsche Filmindustrie ist die ärmste aller deutschen Industriezweige – sie leidet noch heute am meisten unter dem verlorenen Krieg. Wer nun von uns Produzenten das Glück hatte, sich mit vielen – von Ihnen angeprangerten – Durchschnittsfilmen ein gewisses Kapital zusammengearbeitet zu haben, der wird auch vielleicht einmal pro Jahr eine Summe seines eigenen Kapitals einsetzen können, um sich seine Sehnsucht zu erfüllen, einen gewagten, hochwertigen Film herzustellen. Dies aber kann immer nur ein Einzelfall unter vielen sein, denn es ist das Wesen der großen Kunst, daß sie selten ist.

Von künstlerischen Experimentier-Filmen. wie Sie sie nun endlich in eigener Firma ohne andere Produzenten, die „nur Ihr Niveau niedrig halten“, planen, halte ich gar nichts, denn Filme, die kein Geld bringen, beweisen, daß sie das Publikum nicht hat sehen wollen. Das Gedankengut solcher Filme gehört in die subventionierten Kammerspiel-Theater unserer Städte, die hierfür den entsprechenden Interessentenkreis haben. Ein deutscher Produzent muß sehr wach sein, wenn er seine Mitarbeiter, seine Schauspieler, die Theaterbesitzer und nicht zuletzt sich selbst nicht ins Unglück hineinreißen will. Die intellektuellen Vorschläge, welche davon ausgehen, daß ein Film seine über die Million hinausgehenden Herstellungskosten nicht wieder zurückbringen muß, wenn er nur kulturell hochwertig ist, sind lebensgefährlich für den deutschen Film und enttäuschend für unser Publikum. Ich stimme in einem mit Ihnen überein: Das Niveau muß gehoben werden – aber nicht durch hochtrabende Interviews, noch dazu vor der Auslandspresse.
Mit bestem Gruß!
Berlin ARCA-FILMGESELLSCHAFT mbH.

Gero Wecker

Filmblätter, Berlin, Nr. 49, 6.12.1957