Zum Streit um die Faust-Filmtitel
Vor einiger Zeit erfuhr ich durch eine Zeitungsnotiz, dass Du, hochverehrter Freund Gerhart Hauptmann, es übernommen hast, die Zwischentitel zu meinem Faustfilm-Manuskript noch einmal zu schreiben. Auf meine telegraphische Bitte, von einer literarischen Korrektur meines Faustfilms Abstand nehmen zu wollen, antwortest Du mir, dass Dir der Film ohne Zwischentitel vorgeführt sei und es Dir ganz unerfindlich wäre, wieso Deine Mitarbeit einem alten Freunde unerwünscht sein könnte.
Es bedarf bei meiner ehrfurchtsvollen Stellung zu Deinem künstlerischen Gesamtwerk und bei unserer mich tief beglückenden geistigen Freundschaft keines Wortes, wie sehr es mich und meine filmische Arbeit ehrt, wenn Du sie für würdig Deiner Mitarbeit erachtest. Aus dem Großmut und der Liberalität des Urteils, die Schiller den Meistern und Kennern vor den viel schwieriger zu befriedigenden Halbkennern und unreifen Köpfen zuspricht, hast Du dem Faust-Film einige Worte des Lobes gespendet, denn „wer reich ist und innere Fülle besitzt, kann auch anderen geben, ohne dass er sich dadurch arm macht.“
Der Name des repräsentativsten Dichters dem Faustfilm vorangestellt, legitimiert das vielleicht allzu kühne Unterfangen, Goethes Weltdichtung, diese encyclopädische, unausschöpfbare Offenbarung höchster dichterischer Intelligenz, noch einmal im Sinne der alten Volksbücher auf die Elemente der mittelalterlichen Sage zurückzuführen und die großartige Bildkraft der Volksphantasie im stummen Filmbild Erscheinung werden zu lassen. Aber diese geistige Legitimation durch Deine Mitarbeit, – ganz gleich, wie auch Deine Zwischentexte ausfallen mögen -, gibt dem Filmwerk sofort jenen literarischen Charakter, der eine literarische Wertung desselben hervorrufen muss und den gänzlich untragbaren Vergleich zu Goethes Faust herausfordert.
Schon predigt ein offenbar aus dem Jahrmarktsfest zu Plundersweilen entsprungener Marktschreier Schlagworte von „Gerhart Hauptmanns Faustdichtung“ durch die Welt, und es wird angedroht, dass Deine Knittelverse – in 14 Tagen auf Grund meiner in einfacher Prosa gehaltenen Filmtitel von Dir hergestellt – mit den Bildern des Films zusammen als Deine Faustdichtung in Buchform erscheinen und später Deinen „Gesammelten Werken“ eingereiht werden sollen……
Auf den sturmüberwehten Sanddünen von Hiddensee suchte ich Dich auf, weil ich im tiefsten Respekt vor der literarischen Bildung der Filmpropagandachefs unausdenkbare Folgen für die… Fortexistenz der südamerikanischen Goethebünde befürchtete. Wolkengleich wandelte uns über das Meer der Olympier selbst, begleitet von den errötenden Göttern Griechenlands entgegen, während wir faustisch miteinander um die Faustfilm-Zwischentitel rangen.
Es murmeln die Wogen ihr ew’ges Gemurmel
Es wehet der Wind, es fliehen die Wolken,
Es blinken die Sterne gleichgültig und kalt.
Und ein Narr wartet auf Antwort.
Ich warte noch immer auf Deine mich den Autor des Faustfilms immerhin auch etwas angehenden Fausttitel, die 700 – siebenhundert – Verszeilen umfassen sollen. Wer diese Verse, (und wären sie von Goethe selbst), nachträglich einzufügen wagte den stumm-beredten Bildern, die Murnaus genialer Inszenierung wahrlich in einem eigenen hinreißenden Rhythmus von Spiel, Licht, Einstellung, Linie, bewegtem Apparat, selbstherrlich schwingen gehört in eine Klippschule für Filmdramaturgie. Hier müssen ein für allemal reinliche Grenzen gezogen werden.
Der Film lebt allein von der visionären Kraft seiner Bildgestaltung, und ergreift er Stoffe der Literatur, so entgeistigt er sie nicht nur, er zerreißt die geheimnisvollen Bindungen des Stils, er zertrümmert völlig die dichterischen Persönlichkeitswerte, um allein die Bildvorstellungen zu einem neuen, keineswegs entseelten, keineswegs unpersönlichen, durchaus organischen Gebilde zusammenzufassen. (Ich spreche hier nur von den Möglichkeiten der Filmkunst, nicht von ihren mehr oder weniger auf Zweckmäßigkeit gestellten Kompromisserfüllungen.) Vermessen der Wahn, dass jemals ein Filmwerk die seelenoffenbarende Schönheit, Tiefe und Gewalt der Sprache erreichen könnte! Aber zuweilen etwas darüber hinaus: die Bereicherung der menschlichen Imagination. Nur in diesem Zusammenhang erinnere man sich der kleinen Szene, wie Goethe die Delacroixschen Steindrucke zu Faust betrachtend sich äußerte: “Und wenn ich nun gestehen muss, dass Herr Delacroix meine eigene Vorstellung bei Szenen übertroffen hat, die ich selber gemacht habe, um wieviel mehr werden nicht die Leser alles lebendig und über ihre Imagination hinausgehend finden!“
Auch ein Meister kann sich einmal dilettantisch gebärden, wenn er seine Tätigkeit auf Gebiete erstreckt, die ihm nicht zukommen. Mit der „furchtbaren Unabhängigkeit, die der Verkehr mit der Wahrheit gibt“, stehe ich gegen Dich an, Gerhart Hauptmann und sage als höflicher Freund: „Im weiten Pantheon der allzu sterblichen Filmgötter ist Raum für alle Geister … für deinen als Titelverfasser nicht! Dazu bist Du mir zu groß!“
Wenn da und dort in einem Film photographierte Worttitel als Übergänge, Ausrufe, Erläuterungen und schlechter schon als Dialog erscheinen, so dürfen diese Texte niemals literarische Erzeugnisse im Sinne individueller Sprachdichtung sein, sondern sie geben die allgemein gültigen Sprachbildvorstellungen selbst. Sie sind der objektive Ausdruck des Bildes und oft schwerer zu schaffen als Verse und Reime. Ich glaube nicht, dass du, Gerhart Hauptmann, einer von den wenigen Deutschen, die meine dichterischen Werke wirklich gelesen haben, mir nicht zutrauen solltest, Zwischentitel in Versform zu bringen, wenn ich es für nötig erachte. Wohl schwingt auch ein Rhythmus in diesen Titeln, meist schon beim Entwerfen des Bildes selbst aus seiner Bewegung geschaffen: der Rhythmus der Prägnanz. Aber niemals duldet ein Film die durchgehende Verwendung literarischer Verskunstform, mögen diese nun Sonette oder Knittelverse sein. Das sind literarische Reminiscenzen, die der Film mit seinem herrlich rücksichtslosen Zeittempo beiseite fegt, und wären es die Spruchbänder der Engel selbst.
Wir wollen uns nicht täuschen: nie würde ich den Anspruch erheben, auch mit vollkommenen Filmtiteln eine dichterische Leistung vollbracht zu haben, denn dann wären die Titel falsch; und du denkst nicht daran, die Filmschöpfung des Faust durch eine allzu zügellose Reklame für dich in Anspruch nehmen zu lassen. Ein Film ist ein Gesamtwerk, dessen dramaturgische Vorlage der Autor (mit welchen bitteren Zugeständnissen!) schafft, das aber erst seine Erfüllung und künstlerische Schönheit in der mehr oder weniger großartigen Gestaltung durch den Regisseur mit seinen künstlerischen Mitarbeitern erhält.
Die Zwischentitel sind für das vielhundertfältige Filmwerk von zuweilen notwendiger, aber immer untergeordneter Bedeutung, und so einfacher sie sich geben, um so reiner bleibt die Wirkung der Bildgestaltung erhalten.
Kein Film aber verträgt weniger die Anlehnung an ein literarisches Niveau als der Faustfilm. Wir haben mit ihm keine Literatur geschaffen! Die Literatur will dort, wo das Weltchaos noch immer gütigst gestattet, es zum sprachlichen Kosmos umbilden. Aber wenn auch die Filmkunst, heute noch eine Kompromisskunst, traditionslos ist und zuweilen Urformen von phantastischer Unbildung zeigt, sie hat vielleicht gerade um ihrer Irrtümer, mehr aber noch um ihrer Weltresonanz willen das Recht, auch zu Dir, Gerhart Hauptmann, zu sprechen: Hilf ihr nicht auf die literarischen Versfüße, sondern spende ihr aus der Fülle Deines Genies neue stumme Bildvisionen von der erschütternden Gewalt deiner großen Wortdramen und lehre die deutsche Filmkunst, was ihr vor allem fehlt: die Achtung vor jedem auch noch so bescheiden wirkenden schöpferischen Geist, oder um es in diesem Fall so unpersönlich wie möglich zu sagen: die Achtung vor mir.
Dein
Hans Kyser
B.Z. am Mittag, Nr. 237, 1. September 1926