Why do you ask me about Hitler?

Vorbemerkung
1939 wurde Marlene Dietrich offiziell amerikanische Staatsbürgerin; sie sammelte Kriegsanleihen für den amerikanischen Staat und engagierte sich als Showstar für die Unterhaltung der amerikanischen Truppen in Europa. Aber was ist mit der Zeit zwischen 1933 und 1939? Man weiß, dass sie Emigranten unterstützt hat, aber hat sie sich auch offen gegen das „Dritte Reich“ erklärt? Abgesehen von der Tatsache, dass sie vor und nach ihrem jährlichen Europaaufenthalt immer davon sprach, dass sie nur noch einen Film für die Paramount drehen wolle und dann aber endgültig nach Europa zurückkehren möchte, hielt sie ihre Zukunftspläne möglichst vage. Sie schloss kein Engagement aus, gab nur ganz selten eine politische Stellungnahme ab und liess sich von keiner Partei vereinnahmen. 1933 erklärte sie bei ihrer Rückkehr nach den USA: „I can’t imagine why you should ask me about the Nazi movement. I am an actress not a politician. Why do you ask me about Hitler? I’m sure Herr Hitler has never once heard of me. He doesn’t know about me.“ [Miss Dietrich doubts Hitler knows of her. The American, 27.9. 1933]
Diese Zurückhaltung hatte gute Gründe. Ihre Mutter und ihre anderen Verwandten lebten weiterhin in Deutschland und konnten leicht durch kritische Äußerungen gefährdet werden. Die Film-Produktionsfirmen dagegen sahen in jeder offenen Kritik an den Nationalsozialisten ihre Exportchancen nach Deutachland gefährdet. So stellte sich Marlene in der Öffentlichkeit möglichst als politisch indifferent dar, interessiert nur an Luxus, Männern und der High Society. Filmangebote aus Deutschland schlug sie nie direkt aus, sondern behauptete stets, dass sie langfristig gebunden sei und man vielleicht später noch einmal reden solle.

Marlene Dietrich ärgerte sich, sie fühlte sich regelrecht gedemüdigt. Ihr letzter Film Blonde Venus war im September 1932 in den USA mit nur mäßigem Erfolg angelaufen; ihr Regisseur, Entdecker und Geliebter Josef von Sternberg hatte erklärt, vorerst keinen Film mehr mit ihr drehen zu wollen. Sein Vertrag mit der Paramount lief am 2. Dezember 1932 aus, Marlenes Vertrag dagegen endete erst Ende Februar 1933. Auf Sternberg konnte die US-Filmfirma Paramount verzichten, aber nicht auf Marlene Dietrich, ihren größten, internationalen Kassenmagneten. Song of Songs war als nächster Film geplant, aber Marlene weigerte sich, den Vertrag zu erfüllen. Sternberg war nach Berlin gefahren, um mit der Ufa über die Verfilmung von Carl Zuckmayers „Eine Liebesgeschichte“ zu verhandeln, und sie sollte in Hollywood bleiben? Das kam gar nicht in Frage. Erst als die Paramount sie wegen Vertragsbruch auf 150.000 Dollar verklagte, lenkte sie ein. Aber niemand sollte denken, dass sie dadurch kooperativer geworden wäre. Eigentlich gingen die Dreharbeiten ganz gut voran, aber hier ging es doch ums Prinzip. In einer Drehpause – waren auch genug Journalisten da? – sprach sie in das Ateliermikrofon, damit es alle hören konnten: „Joe, where are you?“ Ein anderes Mal ließ sie sich vom Pferd fallen und stoppte damit für eine Woche die Dreharbeiten.
Im Frühjahr 1933 wollte sie aber nun endlich nach Deutschland zurück und nur eventuell, nach zwei oder drei Filmen, wieder in Hollywood arbeiten.

Ein Telegramm ihres Mannes Rudi Sieber vom Mai 1933 änderte ihre ursprünglichen Pläne; von Paris aus war er nach Berlin gefahren, um ihre Ankunft vorzubereiten. Er schrieb: „Lage in Berlin schrecklich – Die meisten Bars und Theater sind geschlossen – Kinos unmöglich, Straßen leer – alle Juden von Paramount sind über Wien, Prag nach Paris geschafft worden – erwarte Dich Cherbourg“. Und er forderte sie dringend auf, einen neuen Vertrag mit der Paramount zu schliessen, „denn dann kann Dich niemand daran hindern, Deutschland zu verlassen.“ Marlene verließ sich auf Rudis Urteil und ignorierte ein Angebot des Ufa- Produktionschefs Correll, der ihr im Februar 1933 die Hauptrolle in dem Film nach Zuckmayer anbot. Im Mai schloss sie mit der Paramount einen neuen Vertrag über zwei Filme. Bedingung: Josef von Sternberg sollte ihr Regisseur sein.
[Rudi Siebers Brief an Marlene in Maria Riva: Meine Mutter Marlene.München 1992, S. 205f – Telegramm Ernst Hugo Correll an Marlene Dietrich vom 21. 2. 1933 – Vertrag Marlene Dietrich/ Paramount vom 4. Mai 1933]


Nachdem Marlene am 20. Mai 1933 in Paris angekommen war, erfuhr sie von Freunden, wie die Lage in Berlin sich seit der Machtübergabe an Hitler verändert hatte. Sie traf Richard Tauber, der von Schergen der SA verprügelt worden war und sprach mit der Opernsängerin Gitta Alpar, der alle Arbeitsmöglichkeiten entzogen waren, weil sie Jüdin war. Der Komponist Franz Wachsmann und der Textdichter Max Colpet waren nach Paris geflohen; mit ihnen nahm sie zwei Lieder auf. In Deutschland forderte die Reichsfachschaft Film deutsche Schauspieler, die im Ausland arbeiteten, zur Rückkehr und Mitarbeit am Neuaufbau des deutschen Films auf. Wer jetzt nicht nach Deutschland zurückkehre, müsse damit rechnen, vom deutschen Film als Landesverräter angesehen und boykottiert zu werden. Als sie nach ihrer Haltung zu dieser Drohung befragt wurde, antwortete Marlene: „Ich habe einen langjährigen Vertrag in Hollywood und werde wahrscheinlich nie mehr in Deutschland in einem Film spielen.“ In Hollywood ergänzte sie, dass die Nazis sie niemals aufgefordert hätten, nach Deutschland zurückzukehren, dass sie dieser Aufforderung deshalb auch nicht nachgekommen sei , dass die deutschen Verleiher ihre Filme nicht boykottieren würden und sie nach Ablauf des Paramount-Vertrages nach Deutschland zurückkehren werde. Das Statement hatte sie mit der Paramount abgesprochen; keine der Hollywood Firmen wollte zu diesem Zeitpunkt den deutschen Absatzmarkt verlieren. Sicher nicht abgesprochen war ihre Antwort auf die Frage, was sie von Mae West halte. Mae West hatte als Paramount Star 1933 einen Riesenerfolg mit ihren Filmen She done him wrong und I’m no angel. Marlenes kurze Antwort lautete: „Wer ist Frau West?“ Danach sprach kein Journalist mehr über Marlene und Deutschland, sondern nur noch über die angebliche Feindschaft der beiden Frauen.
[Selbstschutz des deutschen Films. In: Film-Kurier, 31.8. 1933; Marlene Dietrich silent on defiance rumour. Los Angeles Times 21.9.33 – Miss Dietrich plans. New York Times 1.10.33 – American 27.9.1933]

Carl Auen

So schnell sollte Marlene aber keine Ruhe vor den neuen Machthabern in Deutschland haben. Zu Weihnachten 1933 spendete sie der Deutschen Winterhilfe wie jedes Jahr eine ansehnliche Summe. Carl Auen, der Leiter der Fachschaft Film in der Reichsfilmkammer, machte die Spende publik; sofort vermutete die amerikanische Presse darin eine Geste der Zustimmung Marlenes zu den neuen Herren in Berlin.Das Pressebüro der Paramount hatte alle Hände voll zu tun, die Sache richtig zu stellen. Dabei hätten die amerikanischen Journalisten nur die Verbotsentscheidung von Song of Songs lesen müssen, die einen Tag nach Carl Auens Meldung publiziert wurde. „Die Hauptrolle“, heißt es in der Begründung, „spielt eine deutsche Schauspielerin, die sich in Amerika mit Vorliebe in Dirnenrollen gefällt und in der ganzen Welt als Deutsche bekannt ist.“ In dieser und einer anderen Figur, „die typisch deutsch erscheinen, wird Deutschland getroffen und in einer Weise verzerrt und entstellt, dass die Welt ein völlig falsches und unsachliches Bild von Deutschland erhält.“
[Marlene Dietrich spendet für Wohlfahrtsfond. LichtBildBühne 15.03.1934 – Dietrich Help Disclosed. Los Angeles Times. 15.03.1934 – Oberprüfstelle über Song of Songs. Film-Kurier 16.03.1934]

Bis auf einige Spitzen und nassforsche Verleumdungen kehrte danach Ruhe ein in das gespannte Verhältnis zwischen Deutschland und Marlene. Die nächsten beiden Filme unter Josef von Sternbergs Regie wurden anstandslos in Deutschland gezeigt und die Komödie Desire – in Deutschland Perlen zum Glück genannt – lief schon zwei Monate nach der amerikanischen Uraufführung in Berlin. Im Juli 1936 kam Marlene aus den USA nach London, wo sie später für Alexander Korda den Film Knight without armour drehen wollte. Bei ihrer Ankunft erklärte sie, sie werde nicht nach Deutschland zurückgehen. „Mögen Sie die Deutschen im Moment nicht?“ – „Sie mögen mich nicht; sie haben mir nicht verziehen, dass ich nicht in Deutschland geblieben bin.“

Madelaine – Maedy – Soyka

Von London aus fuhr Marlene sofort weiter nach Wien, dann zu den Salzburger Festspielen. Berlin gab sich derweil weltoffen. Die „Kamera“ zeigte in einer Marlene Dietrich Woche die Sternberg-Filme Blonde Venus, Shanghai Express, The scarlet empress und Desire – alle im Original mit Untertiteln. Als Marlene im September wieder in London war, erschien dort Maedy Soyka, eine Freundin aus Berliner Tagen und überzeugte Nationalsozialistin, um sie für ein Engagement in Deutschland zu gewinnen. Marlene lehnte alle Avancen mit Verweis auf ihre langfristigen Verträge ab. Horst Alexander von der Heyde – ein Mitarbeiter der Syndikat-Film, die zur Tobis-Gruppe gehörte – ging einen anderen Weg. Er kontaktierte zunächst in Paris Rudi Sieber und fuhr dann im Dezember 1936 nach London. Auch er blieb erfolglos. Dr. Alexander Meier, der Produktionschef der Syndikat-Film, versuchte ebenfalls, Marlene zu treffen. Er bezog sich auf Informationen von Maedy Soyka, „dass Sie grundsätzlich nicht abgeneigt sind, in Deutschland zu filmen.“ Es kam nicht einmal zu einer persönlichen Unterredung.
Hatte Marlene vielleicht etwas gegen Deutschland? In der dänischen Zeitung „Sozialdemokraten“ wurde sie mit folgendem Statement zitiert: „Deutsche Filme haben nichts mit Kunst zu tun. In meinem Vaterland ist der Film einfach ein Mittel für die Propaganda von Rassenhass und Egoismus, ohne jeden künstlerischen Anspruch und hergestellt unter der Kontrolle einer Kommission, deren fehlendes Verständnis für die Möglichkeiten des Films diese Kunstform und damit eine der bedeutendsten Exportmöglichkeiten Deutschlands vernichtet haben.“ Als ihr englischer Produzent Korda das las, rief er sofort Marlene zu sich. Solche Äußerungen konnten den Verkauf des neuen Films nach Deutschland gefährden. Der Berliner Zeitung „Film-Kurier“ gab Marlene deshalb ein Interview, in dem sie alles dementierte. „Ich habe nie der Presse gegenüber derartiges geäußert. Diese Zeitungsberichte beruhen auf purer Erfindung. Ich habe weder gehetzt noch mich jemals abfällig über Deutschland geäußert!“ Sie habe nie aufgehört, Deutsche zu sein, und jeder wisse doch, dass sie eine deutsche und keine amerikanische Filmschauspielerin sei. KAuch in den USA blies ihr der Wind ins Gesicht. Bei einem Hearing in Washington wurde ein Gesetzentwurf gegen die „Invasion“ ausländischer Schauspieler diskutiert. Eine Dame erregte sich: „Greta Garbo und Marlene Dietrich waren unbekannt als sie nach Amerika kamen. Sie verdanken ihre Prominenz nur großem Tamtam. … In Deutschland heißt es „Deutschland über alles“, in France „Vive la France“, in Italien „Viva Italia“. Es ist Zeit für „America first“ „.
[Actress Rejects Reich. NewYorkTimes 31.07.1936 – Pems Personal Papers, Januar 1937 – Briefe von Alexander von der Heyde an Marlene Dietrich vom 14. August und 24. Dezember 1936 – Brief von Dr. Alexander Meier, 16.11. 1936 – Mr. Imperali, Berlin an Mr. Pallos, Denham 11.11.1936 – Unterredung mit Marlene Dietrich. Film-Kurier 7.12. 1936 – Hearing in Uproar Over Alien Actors, NewYorkTimes Feb 20. 02. 1936]

Robert Donat, Marlene Dietrich und Jacques Feyder bei den Dreharbeiten

Die Tobis versuchte es weiter. Der Regisseur Jacques Feyder hatte in London Marlene in Knights without armour inszeniert und bereitete nun für die Tobis einen neuen Film vor. Er schrieb im Juli 1937 an Marlene, die wieder bei den Salzburger Festspielen war, ob man sich nicht in Paris mit einem Direktor der Tobis treffen könne. Die Tobis handle dabei in voller Übereinstimmung mit der deutschen Regierung. Man konnte nicht.
Goebbels gab immer noch nicht auf. Im November 1937 forderte er den Theaterintendanten Heinz Hilpert auf, nach Paris zu fahren, „um die Marlene Dietrich nach Deutschland zurückzuholen.“ Hilpert berichtete eine Woche später: „Marlene Dietrich kann erst in einem Jahr in Berlin auftreten. Aber sie steht fest zu Deutschland.“ Dass er Marlene gar nicht gesprochen hatte, sagte er lieber nicht. Sie hatte ihm nur ein Telegramm geschickt: „Da Amerikaabreise leider Treffen unmöglich – ausserdem wäre eine Unterredung über mir bekannte Projekte angesichts meiner langen Verträge zu verfrüht. Grüsse.“
[Jacques Feyder, Briefe an Marlenen Dietrich vom 30.07.1937 und 3. August 1937) Undatiert: MD an Heinz Hilpert, Berlin (möglicherweise Telegrammentwurf) –Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil I, Band 3 1.1.1937 – 31.12.1939, S. 329 und 332]

Es gab Irritationen, auch für Goebbels. Die deutsche Presse hatte darüber berichtet, dass Marlene mit anderen Hollywood-Stars für den Kampf der spanisch-republikanischen Truppen gegen Franco Geld gespendet habe. Goebbels misstraute der Meldung und bat das Konsulat in Los Angeles um eine Stellungnahme. Das Konsulat antwortete: „Mittelsmann … hält es für möglich, dass Marlene Dietrich, die wie viele bekannte Filmgrößen egozentrisch und an Politik uninteressiert ist, bei irgendeiner Gelegenheit einem Juden ihres Filmkreises eine kleine Summe gegeben hat , ohne sich über Zweckbestimmung klar zu sein. Derartiges komme in Los Angeles häufig vor und die Betreffenden glauben schon deshalb nicht ablehnen zu können, weil sie meist von Juden beruflich völlig abhängig sind. Auch ist es möglich, dass ihr Name benutzt worden ist ohne ihre Einwilligung.“ Dass die Juden an der Falschmeldung schuld waren, leuchtete Goebbels ein. Er stellte fest, „dass Marlene Dietrich alle gegen sie vorgebrachten Anschuldigungen entkräftet hat.“ Über das Deutsche Nachrichtenbüro ließ er verbreiten: „In einigen deutschen Zeitungen sind in letzter Zeit Meldungen erschienen, denen zufolge die bekannte Filmschauspielerin Marlene Dietrich die amerikanische Staatsangehörigkeit erworben oder sich durch Unterschreiben von Aufrufen bzw. durch Geldspenden für Rotspanien erklärt habe. Es ist einwandfrei festgestellt worden, dass diese Behauptungen in keiner Weise den Tatsachen entsprechen.“

Antrag auf Einbürgerung vom 5. März 1937

Goebbels war allerdings falsch informiert. Tatsächlich hatte Marlene im März 1937 einen Antrag auf die amerikanische Staatsbürgerschaft gestellt, zwei Jahre später wurde sie US Bürgerin. Einem Mitarbeiter des deutschen Generalkonsulats erklärte sie, sie tue das nur aus steuerlichen Gründen. Die amerikanische Presse zitierte sie anders: „I am working and living in America and my interests are here. I feel that I should be a citizen of this great country.“ Mit der ersten Version schützte sie ihre Familie in Deutschland, mit der zweiten ihre Reputation in den USA. Und beide Versionen entsprachen der Wahrheit. Die antisemitische Hetzzeitschrift „Der Stürmer“ nannte Marlene am 6. Oktober 1937 eine Verräterin, weil sie amerikanische Staatsbürgerin werden wolle. Die Paramount verkündete daraufhin, dass Marlene bei zukünftigen Europaaufenthalten Deutschland nicht besuchen werde.
Die Mitteilung war für die amerikanische Öffentlichkeit gedacht und eigentlich keine Neuigkeit. Seit 1931 hatte Marlene Deutschland nicht mehr besucht. Auf Fragen von Reportern, warum sie nicht auch in Deutschland war, hatte sie immer ausweichend geantwortet („I was visiting other places which did not touch Germany“). Jetzt konnte sie auf das Paramount-Statement hinweisen. Und was sollte die Frage überhaupt? Sie war doch fast amerikanische Staatsbürgerin.

[Antwort des Herrn Dyckhoff, Deutsche Botschaft Washington, 14. Juli 1937 – Joseph Goebbels: Tagebuch.A.a,O., S. 339 – Gegen Gerüchte um MD. Film-Kurier, 19. 11. 1937 – Brief der deutschen Botdschaft vom 31. Juli 1939 an das Auswärtige Amt – Words and Wisdom.Film Daily, 29.7.1937 – Dietrich avoiding Reich. Motion Picture Daily 8.10. 1937 – Miss Dietrich Home Again. Los Angeles Time 02.10.1933]