Die Frage nach den Wegen zum künstlerischen Film ist nicht leicht zu beantworten, da sie einen ganzen Komplex von Einzelfragen umschließt. Zunächst kommt es darauf an, das Manuskript wirklich unter dem Gesichtpunkte des Kinos herzustellen; die Analogien zu Literatur und Theater müssen unterbleiben. Haben auch einige bedeutende Darsteller einen besonderen Film-Stil gefunden, der nicht den äußeren Zwecken, sondern dem Wesen des Films entstammt, so lässt sich das für die Autoren kaum behaupten. Nicht auf Psychologie, Beschreibung, Mannigfaltigkeit der Charaktere und des Geschehens kommt es an (denn aus ihnen können nur die teils sentimentalen, teils kolportagehaften Stücke entstehen, die man kennt), sondern auf Phantastik und Groteske, auf den Rhythmus in körperlicher Bewegung, Dekoration und Landschaft. Der musikalisch-rhythmische Charakter des Films wird immer maßlos unterschätzt. Zumeist überhaupt nicht beachtet. Daher kommt es auch, dass sich bisher noch kein Komponist gefunden hat, der zu Films eigene Begleitmusiken schreibt.
Der Grundcharakter des Films ist ein optischer und kein literarischer. Die zweidimensionale Fläche, die keine größere Tiefenentwicklung erlaubt; die bildhafte Ausprägung der Vorgänge; die Verteilung von Licht und Schatten; die Gruppenbildung durch die Figuren, ihre optischen Beziehungen zu Landschaft und Räumen …. das sind Faktoren, die nicht nur für den Filmregisseur, sondern auch für den Autor von grundlegender Bedeutung sind. Denn er muß endlich seine Aufgabe dahin erkennen: dass er ein optisches Spiel schaffen soll; ja, ein Spiel, mit all den romantisch-musikalisch-triebhaften Elementen, die auch dem Spielen der Kinder zugrunde liegen, nicht aber Dramen und Epen.
Daraus ergibt sich, dass literarische Werke sich nicht ohne weiteres verfilmen lassen. Nur solche kommen in Betracht, die wirklich in die optische Sprache übersetzbar sind, d.h. vor allem romantisch-phantastische und grotesk-komische. Wenn literarische Werke mit Haut und Haaren verfilmt werden, zeigt sich zumeist nicht nur grobe Verstofflichung, sondern auch völlige Akzentverschiebung; der eigentliche Gehalt der Dichtung ist verschwunden, und Nebensächlichkeiten sind zur Hauptsache geworden.
Dass solche künstlerischen Gesichtspunkte auch in die Filmindustrie Eingang finden möchten, wäre sehr zu wünschen. Die bisherigen Methoden lassen sich keinesfalls fortsetzen. Der Vorschlag, eine Vermittlungsstelle zwischen Autoren und Filmfabriken einzurichten, ist bereits verwirklicht. Nach dem Vorbilde der Vertriebsstelle der Bühnenschriftsteller ist vor längerer Zeit eine Geschäftsstelle des Verbandes deutscher Filmautoren eingerichtet worden, der verschiedene Verleger die Verfilmungsrechte an ihren Büchern übertragen haben. Diese Geschäftsstelle bemüht sich, die künstlerischen Vorschriften der Verlage bzw. der Autoren genau zu befolgen und nur nach ihrer Berücksichtigung mit den Fabriken abzuschließen. Zu wünschen wäre aber, dass eine zentrale Instanz geschaffen wird, die sich aus Persönlichkeiten zusammensetzt, die wirkliches Verständnis für den Kunstcharakter des Films besitzen. Deshalb wäre es notwendig, dass nicht nur Autoren, sondern vor allem auch jüngere Maler und Regisseure (Ludwig Berger, Leopold Jeßner, Karl Heinz Martin…) an sie berufen werfen.
Der Vorschlag, durch mehrere Filmfabriken dasselbe Stück herzustellen, wäre durchführbar nur auf dem Wege des Wettbewerbs, durch den dem Preisträger das Vorführungsrecht übertragen wird. Sicher könnten so interessante Ergebnisse gezeiotigt werden. Von Vorneherein aber über dasselbe Stück mit verschiedenen Fabriken abzuschließen, ist in jeder Beziehung unmöglich. Der Vergleich mit dem Theater ist da nicht am Platze, da ja über Bühnenvorstellungen nur für einen bestimmten Ort abgeschlossen wird, Filme aber freizügig sind. So wenig es möglich ist, ein und dasselbe Buch eines lebenden Autors in mehreren Verlagen erscheinen zu lassen, so wenig kann auch ein Film gleichzeitig durch verschiedene Fabriken hergestellt werden. Das ist rechtlich wie wirtschaftlich wie auch künstlerisch gleich unmöglich.
Nationalzeitung – 8 Uhr Abendblatt, 15. Juli 1920
@ The National Library of Israel, Jerusalem. Thanks to the copyright and permission service
Über Rudolf Kayer:
https://en.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Kayser
http://web.nli.org.il/sites/NLI/English/collections/personalsites/archive_treasures/Pages/kayser_G.aspx