Wien, 11. September
Eva May ist erst am vergangenen Sonnabend aus Berlin hier eingetroffen. Sie hatte sich dort gerade von ihren Eltern getrennt, die nach Schweden reisten, wo Joe May die Aufnahmen für seinen Film „Kolportage“ [das wurde dann Der Farmer aus Texas] vorbereitet. Eva May, die schon mehrmals verheiratet war, hatte sich neuerdings mit ihrem Vetter Fritz Mandl, dem Generaldirektor der Württembergischen Patronenfabrik, verlobt. Eva May war in letzter Zeit des Öfteren mit dem Vetter in Baden bei Wien und in Marienbad zusammengetroffen, und war nur nach Berlin gefahren, um ihre Eltern auf kurze Zeit wiederzusehen. Auch jetzt war sie wieder nach Baden gefahren und wohnte dort, wie auch ihr Verlobter, in dem sehr eleganten „Hotel Herzoghof“. Angeblich wurde an der Selbstmörderin keinerlei Verstimmung beobachtet. Sie verbrachte den Sonntag und auch den Montag in bestem Einvernehmen mit ihrem Bräutigam, stand am Dienstag morgen ziemlich früh auf und war bereits um ½ 8 Uhr angekleidet in ihrem Zimmer. Herr Fritz Mandl machte seiner Braut einen Morgenbesuch und fand sie in anscheinend guter Stimmung vor.
Als er ihr einen Augenblick den Rücken kehrte, hörte er einen kurzen Knall.
Als er sich erschrocken umwandte, sah er gerade noch, wie Eva May vornüber sank. Die Unglückliche hatte, ohne dass der Bräutigam auch nur das Geringste bemerkte, einen Revolver ergriffen und sich ein Geschoß durchs Herz gejagt. Sie war auf der Stelle tot. Die Leiche wurde dem Leichenschauhaus von Baden zugeführt. Die Eltern wurden sogleich telegraphisch benachrichtigt und befinden sich bereits auf der Fahrt nach Wien.
In Kreisen, die dem Brautpaar nahestehen, wird nun behauptet, dass es öfter Differenzen zwischen den beiden gegeben hat. Dies wäre aber bei der Charakterveranlagung Eva Mays, die äußerst temperamentvoll war, an sich nichts Besonderes. Niemand hätte hieraus geschlossen, dass die bekannte und beliebte Filmschauspielerin Hand an sich selbst legen würde. Es ist freilich richtig, dass Eva May schon einmal, nach einem Streit mit ihrem Verlobten den Versuch gemacht hat, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Auch in ihren früheren Ehen soll es oft zu recht erregten Szenen zwischen Eva May und ihren Ehegatten gekommen sein. Die knapp dreiundzwanzigjährige war bereits dreimal verheiratet und ist dreimal geschieden. Wer sie zu beobachten Gelegenheit hatte, der wusste, dass diese so sanftmütig wirkende, blonde Schönheit, an schwerer Nervosität litt. In einem solchen Erregungszustand mochte die beliebte Künstlerin sich wohl auch befunden haben, als sie die Waffe gegen ihr Herz richtete. Für die Eltern Eva Mays bedeutet der Selbstmord des über alles geliebten Kindes eine erschütternde Tragödie.
8-Uhr Abendblatt, 11. September 1924, Nr. 214