Joe May: Filmzukunft in Deutschland

Joe May

Der Prophet ist keine Rolle für mich. Aber es ist vielleicht doch interessant, sich klar zu machen, welchen Weg der deutsche Film gehen muss, wenn er überhaupt gehen soll.
Der Krieg hat uns zu einem merkwürdigen Binnenleben verführt. Es ist für uns alle schwer, wieder herauszukommen. Die meisten deutschen Filmleute haben Filme für deutsche gemacht und dann wundert man sich, wenn große Teile der Welt die kalte Schulter zeigen.
Es ist bestimmt falsch, Filme in einem Allerweltsgeschmack machen zu wollen. Der nationale Stil wird immer zu spüren sein, vorausgesetzt, dass der Regisseur überhaupt Stil hat. Aber entbehrlich sind die Begleiterscheinungen, die sich vollkommen grundlos aus Eigenarten des deutschen Films herausgebildet haben.
Unsere Filme werden leicht zu tragisch. Gewiss: jeder wirksame Film muss dem Menschen ans Herz gehen, aber er soll sich freihalten von der düsteren Einförmigkeit, von der Übersteigung der schmerzlichen Akzente, von der Grau-in-Grau Malerei. Man lebt doch nicht nur an Nebeltagen, und ein bisschen Sonne braucht schließlich jeder. Sogar der Film.
Wir verkennen das leicht. Schuld ist, dass wir einen Begriff von „Unterhaltung“ haben, den die Welt nicht kennt. Im Ausland geht man ins Kino, um sich ein paar Stunden geistig angenehm zu erfrischen. Man will mitlachen, vielleicht auch mitweinen – aber unter keinen Umständen will man mit einer Zentnerlast auf der Seele atmen müssen. Man will auch nicht in Konflikte und proleme verstrickt werden, die man mit Aufbietung gfroßer seelischer Kräfte verfolgen muss.
Das Problem! Dieses Wort spielt eine verhängnisvolle Rolle in Deutschland. Man sieht in dem Film einen Tummelplatz schwerer seelischer Konflikte, die immer unlösbar ineinander verhäkelt werden. Ich glaube, man verwechselt da zwei Dinge miteinander. Komplizierte seelische Probleme können auch mit der vollendetsten Technik nicht fotografiert werden – ihre Diskussion ist schließlich Sache der Bühnenliteratur, die für diesen Zweck höchst wirksame Mittel hat. Aber der Film?

Der Takt spielt dabei eine große Rolle. Sache des Films ist es, nur anzurühren, ohne erschöpfen zu wollen. Wir können wohl einen Akkord anschlagen, aber zu einer Sinfonie fehlen uns die Mittel. Man soll dem Film nicht Aufgaben zumuten, die für beide Teile zu Enttäuschungen führen – für das Publikum wie für den Hersteller.
Hier muss die Neuorientierung des deutschen Films beginnen, wenn er sich seinen Platz in er Welt sichern will. Er muss auf die Schwergewichte verzichten lernen, die wir im Laufe der Jahre als notwendige Bestandteile der Filmkunst zu betrachten gelernt haben. Man muss sozusagen mit einem Ruck eine Tür aufmachen und ins Freie treten.
Sind wir erst einmal draußen, wird uns mancherlei gelingen. Es spielen natürlich noch viele Dinge eine sehr wesentliche Rolle: die leichte Hand des Regisseurs, Können und Exaktheit der künstlerischen und technischen Mitarbeiter. Aber vor allen Dingen müssen wir einmal in leichter, unbeschwerter Lust atmen lernen.
Ich rede damit keineswegs den Albernheiten und dem stillosen Kitsch das Wort, die uns oft von der ldeinwand anöden. Es ist schließlich keine besonders aufregende Entdeckung, dass es auch im Auslande schlechte Filme gibt – aber es gibt auch gute und von denen sollen wir lernen. Ich glaube, dass der deutsche Filmregisseur seiner ganzen Anlage nach vorzüglich geeignet ist, die zahlreichen Klippen zu umschiffen. Nur muss die deutsche Filmindustrie erst einmal von dem Bann erlöst werden, dass Gewitterstimmung und künstlerischer Ernst dasselbe sind.
Ich weiß, dass es sich nicht um Offenbarungen handelt, aber man kann diese dinge nicht oft genug und nicht laut genug sagen. Zweifellos ist die deutsche Filmindustrie in ihren bevorzugten Schöpfungen auf dem richtigen Wege. Es ist ja auch nicht so schwer einzusehen, dass der Film zur Unterhaltung von Menschen dienen soll, die am Tage gearbeitet haben, und diese Erkenntnis muss sozusagen den Willen des Filmherstellers einstellen.
Es war mir zum Beispiel ein großes Vergnügen, dass einer der amerikanischen Hauptdarsteller meines neuen Films, einer Filmbearbeitung von Georg Kaisers „Kolportage“ nach der Lektüre des Manuskripts spontan ausrief: “Typical american“. Am Tage vorher hatte mir Lilian Hall-Davies, die schöne Heldin von Quo vadis (1924; R: Gabriellino d’Annunzio, Georg Jacoby) ebenso ernst und fachlich erklärt: „Typical english“.
Und wenn man mich fragen würde, ich würde sagen „Typisch deutsch“ oder besser und hoffnungsvoller „Typical for the world“.

 

8 Uhr Abendblatt, 2. September 1924, Nr. 206