Robert Scholz: Griffith dreht in Berlin (1924)

Robert Scholz als Gauner

Der Meister der amerikanischen Regisseure, D.W. Griffith, dreht seit zwei Wochen an einem Film in Berlin. Ich habe Gelegenheit gehabt, seine Arbeit aus nächster Nähe zu beobachten, denn ich habe in seinem Film mitgespielt…
Nach dem telephonischen Anruf seines Operateurs, der mich schon von früher her kannte, suchte ich ihn in dem großen Hotel auf, wo er Wohnung genommen hat. Ich trat in das Zimmer, wo sich Griffith mit seinem Operateur und mit seinen Hilfsregisseuren befand. Er sprach einiges mit mir und prüfte mich mit einem scharfen, durchdringenden Blick. Dann – als ich schon gehen wollte, rief er mich zurück und ließ sich etwas vorspielen, was kaum ein deutscher Regisseur jemals gemacht hat. Er ließ sich eine Szene vorspielen, und ich musste ihm ohne Partner, allein, die Szene, die Szene, die ich mit einer Partnerin spielen sollte, vormachen. Er achtete dabei vor allem auf den Ausdruck des Gesichtes und auf das Tempo der Bewegung.
Die Aufnahme selbst fand in Adlershof statt. Mit einem stattlichen Stab war Griffith dorthin ausgezogen, um das Leben der Berliner Bevölkerung auf die Leinwand zu bannen. Er suchte nicht das Berlin der Vergnügungen auf, sondern das Stadtviertel der Armen. Er drehte ohne Manuskript. Mit seinen Hilfsregisseuren formte er, ganz seinen plötzlichen Einfällen folgend, Züge und Gruppen. Ließ sich arme Frauen und Kinder vormarschieren, Krüppel und Arbeitslose. Er sagte uns nichts darüber, was der Inhalt seines Films sein sollte, und augenscheinlich wollte er auch nichts darüber sagen. Als ich meine Szene spielen sollte, erklärte er mir die Szene bis in die kleinsten Einzelheiten, und als es nachher zu einer Großaufnahme kam, da ließ er die Szene voll ausspielen, so voll, wie es ein deutscher Regisseur niemals tut. Er hatte offenbar keine Angst, dass er etwa ein paar Meter Negativ mehr verbrauchen wird.
Er machte den Eindruck eines mit vollem Bewusstsein arbeitenden Künstlers, der ganz genau weiß, was er will, und auch, was er aus seinen Schauspielern hervorzuholen vermag. Die Gruppen dirigierte er mit kurzen, knappen, aber eindrucksvollen und einprägsamen Worten, so dass ein jeder begreifen musste, worum es sich bei der Szene handelte.
Wie gesagt, ich weiß nicht, was der Inhalt seines Filmes ist. Aber, dass er nach Berlin gekommen ist, um in den armen Vierteln von Alt-Berlin und in den Arbeitervorstädten zu drehen, dass er den Schauplatz seiner Berliner Szenen im Schatten der Fabrikschlote suchte, wird vielleicht einen Schluss darauf zulasssen, was sein Ziel war, als er nach Deutschland gekommen ist.

8 Uhr Abendblatt, 2. August 1924, Nr. 180