Albin Grau: Licht-Regie im Film

Das Drehteam von Nosferatu in einer Drehpuse in JoHannisthal. In der Mitte in weiß Albin Grau. Links neben ihm Enrico Dieckmnn, Geschäftsführer der Prana-Film. © Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, Trogen (CH)

Die Ausstattung des Films ist in weitaus größerem Maße Sache des Malers als der Architekten: Film ist absolute Bildwirkung. Leider ist die Kunst unserer Tage durch den Alpdruck der Vergangenheit so schwer belastet, dass man glaubt, zum Sortieren dieses „Kunstmüllhaufens“, den der Fundus fast aller Aufnahmeateliers repräsentiert, sei eben nur der Architekt berufen. Er ist es auch wirklich, so lange der reine Illusionsfilm mit naturwahrer Dekoration herrscht.
Die Aufgabe ist in kurzem folgende: Die Ausstattung hat den Lebensrhythmus, den Geist der verschiedenen Zeitepochen gemäß der jeweiligen dramatischen Situation im künstlerischen Spiegelbild unserem Geist glaubhaft zu machen. Kunst ist Gabe, nicht Wiedergabe: Herwarth Walden.
Auf den Film angewandt, darf Ausstattungsarchitektur nichts anderes sein wollen, als der vom Malerischen beherrschte Stimmungsrahmen, eine Zusammenschweißung mit dem dramatischen Geschehen, nichts anderes als der große Grundton, auf den die Handlung gestimmt ist: der vom Künstler geschaffene „Spielraum“ klingt harmonisch zusammen mit dem szenischen Vorgang.
Es erhellt ohne weiteres, dass im Licht für die künstlerische Dekoration der eigentliche Lebensnerv liegt. Das Licht wird – obwohl der eigentliche Hauptfaktor – fast immer erst zu Hilfe gerufen, wenn der Bau „steht“. So kommt es meistens, dass die Lichtquellen Raumvorstellungen ergeben, die vom Künstler gar nicht beabsichtigt wurden. Entweder das Licht verflacht oder zerreißt den Raum, oder es stellt sich heraus, dass die vorhandenen Lichtquellen nicht ausreichen, ihn durchzuleuchten. Die Beleuchtung muss von vornherein beim Skizzieren der Dekoration, und zwar in erster Linie in Betracht gezogen werden. Das Licht ist nicht da, um die Dekoration anzuleuchten, sondern um das Bild in seinen Komponenten – Szenerie und Handlung – formgestaltend ins Leben zu rufen.
Wir vergegenwärtigen uns den Vorgang einer Atelieraufnahme, so weit sie die Beleuchtungstechnik angeht. Das Objektiv des Apparats bedarf zur Erzeugung von klaren Bildern einer großen Helligkeit, und so unterstützt man das Tageslicht durch stärkste künstliche Lichtquellen. Diese Praxis hat leider den Nachteil im Gefolge, dass sie eine charakterisierende Beleuchtung im Sinne des Bildhaften nahezu aufhebt oder wenigstens ungemein erschwert. Man hat nie das Gefühl eines Beleuchtungszentrums – Sonne, Mond, Lampenlicht u.a. – , sondern es herrscht eine gleichmäßige neutrale Helligkeit, die naturgemäß keine geschlossene Bildwirkung aufkommen lässt.
Theoretisch gibt es hier zwei Abhilfemöglichkeiten. Wir könnten auf der einen Seite eine noch stärkere Hauptlichtquelle – eine Lampe mit Sonnenhelligkeit – einführen, die dann entsprechend Licht-und Schattenwirkung auslöste. Eine so starke Lichtquelle kennt die Praxis indes noch nicht. So bleibt nur ein anderes übrig, – das Entgegengesetzte: wir müssen in der Dekoration Schattenstellen schaffen, d.h. Partien, die das Licht mehr oder weniger stark aufsaugen. Solche Möglichkeit bietet uns die Farbe mit ihrer verschiedenartigen Lichtempfindlichkeit. Farbe wird also bei unserer Schwarzweißkunst doch eine bedeutende Rolle spielen können, und es darf wohl hinzugefügt werden, dass der dekorativen Filmtechnik hier noch große, nahezu unbebaute Gebiete offenstehen.
Ich möchte im Anschluss daran einen Einwand vorwegnehmen, der sicher erhoben werden wird, dass nämlich bei Verfolgung solcher Wege Naturaufnahmen unmöglich gemacht werden.
Ja und nein; der Sinn meiner Ausführungen ist das jedenfalls nicht. Ich erinnere an japanische und chinesische Gärten und Landschaften. Wodurch wirken diese absolut stilisiert, selbst in der Photographie? Weil bei der Auswahl der Bildobjekte der großen stilisierenden Vergeistungsfähigkeit der Ostasiaten Rechnung getragen wird und nur solche Naturszenen vor Augen geführt werden, die unserer Kunstempfindung für Japan und China entsprechen.
Und bei uns? Gibt es so etwas bei uns nicht? Natur mit profanen Augen gesehen, fast profan, das ist der Grund, warum es bei uns „so etwas nicht gibt“. Deutschland, ja ganz Europa, ist reich gesegnet mit Naturszenerien stilisierter Größe, man muss nur Augen haben, sie zu sehen.
Und noch Letztes. Es wird meist mit Fleiß versucht, vorzutäuschen, dass der dargestellte Raum nach rechts und links beliebig weitergeht, dadurch wird der Bildwirkung Abbruch getan; die Szenerie wirkt zufällig abgeschnitten. Dem Übelstand wäre mit der Beseitigung der reinen Illusionsausstattung abgeholfen. Der Maler-Architekt hat für den Rahmen der Handlung zu sorgen. Nur ein solcher kann Bildwirkungen ergeben.

Film-BZ, 5. März 1922
© Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, Trogen (CH).
Dank an die Kantonsbibliothek Appenzell Ausserhoden für die Erlaubnis zur Veröffentlichung von Text und Bild.