Lya de Putti in New York (1926)

Lya de Putti

Dieser Ankunft voraus gingen allerlei Sensationsnachrichten in der hiesigen Presse. Es hieß, die temperamentvolle Lya habe Berlin plötzlich fluchtartig, bei Nacht und Nebel verlassen, sie habe sehr viel unbezahlte Rechnungen und eine trauernde Steuerbehörde zurückgelassen, um die besseren Gefilde von Paris zu erreichen. Einige Tage darauf hieß es, auch in Paris sei die Künstlerin spurlos verschwunden, angeblich weil sie die Reklame-Empfänge usw. nicht vertragen habe. Das reinste Kreuzworträtsel – kein Mensch hatte eine Ahnung, wie es zu lösen sei. Dann endlich die Nachricht: sie hat sich in Cherbourg auf dem Transatlantic Liner „Minnewaska“ eingeschifft und wird am Dienstag, den 23. Februar, hier eintreffen.

Natürlich war nach diesen Sensatiönchen alles was in New York Beine hatte am Pier, um die Künstlerin zu empfangen. Helle Sonne – welche Seltenheit hier im Winter – scheint und es friert Stein und Bein. Die ,, Minnewaska“, ein kleiner Dampfer, kommt herein, bricht, um die Spannung noch zu erhöhen, zwei Landungsbrücken kaputt, die wenigen Passagiere verlassen das Schiff, alles steht und wartet – von Lya keine Spur. Großes Rätselraten. Kein Mensch kommt mehr von Bord, die Brücken leer – da schleicht man sich denn leise weinend an Bord, das nur die Photographen sofort nach Landung betreten durften. Owen Gorin, der natürlich die Ankunft seiner Partnerin in ,,Komödianten“ nicht versäumen wollte, flucht so lange Französisch mit den Beamten. bis wir heil und sicher an Bord sind. Ein Steward erzählt uns eine große Geschichte, dass Lya de Putti von der Einwanderungsbehörde nach Ellis Island, die Insel der Tränen, gebracht werden solle und nicht landen dürfe. Wir bekommen das kalte Grausen. Vor einigen Tagen erst hat man somit einer englischen Countess wegen ,,moralischer Verderbtheit“ verfahren, oh – oh! Es ergeben sich nette Perspektiven – da — großes Hallo – Sie ist da. Aus einem Couloir kommt sie: klein, zierlich, nervös, schüchtern und in ihrem schwarzen, enganliegenden Samtkostüm entzückend anzusehen. Ein großer Herr führt das kleine Persönchen wie einen Sträfling in den Rauchsalon, wo die Immigration-Officers gespannt vor Erwartung sind. Während sie dort überaus höflich in ganz kurzer Zeit abgefertigt wird, erzählt uns jener großer Herr, der von der Firma ist, die Lya de Putti engagiert hat, sie dürfe sich bei der Landung mit niemand unterhalten, da man ihr einen Roman mit dem, hier scheinbar nicht sehr angesehenen Grafen Salm, der hier Frau und Kind hat, angedichtet habe. Mit niemand dürfe sie sprechen, den amerikanischen Journalisten habe er erklärt, sie spreche überhaupt keine lebende Sprache – arme Lya! – denn, man wisse ja, dass die amerikanische Presse europäischen Künstlern so gern etwas am Zeuge flicke. Wir verstehen das und begnügen uns infolgedessen mit einer ganz kurzen Begrüßung – – – und Lya strahlt, als sie, die nur von ihrer Zofe begleitet ist, deutsche Worte hört. Eskortiert bringt man sie zum Auto und – – fort ist sie …

Am anderen Morgen steht die ganze Boulevard-Presse von ihr voll – nun ist sie die ,,ungarische“ Künstlerin geworden, die in Europa (beileibe nicht Deutschland!) so großen Erfolg in „ungarischen“ Films gehabt habe. Kein Wort davon, daß ihr Künstlerruhm „Made in Germany“ – kein Wort davon, dass sie lediglich in deutschen Films spielte und sich ihren großen Namen erwarb – kein Wort davon, dass es überhaupt eine deutsche Filmindustrie gibt. So glaubt denn Amerika an die ungarischen Filme und den ungarischen Ruhm und deshalb gehe ich jetzt zu Lya de Putti, um von ihr das zu hören, was sie ehrlich und wirklich wirklich sagt.

Im Shelton-Hotel, wo sie wohnt, ist großer Trubel. Reporter und Filmleute kommen und gehen, als ich endlich in ihrem Apartement gelandet bin, liegt sic im Bett und ist totunglücklich. Sie leidet an Schwindelanfällen und ihre erste Frage ist, ob das jeder habe, der zum ersten Male nach New York komme. Ich kann sie beruhigen – es ist wahrscheinlich die „Höhenluft“, denn sie wohnt 31 Stock hoch. Aber sonst ist sie überglücklich. Vom Dampfer aus sandte sie ein Telegramm nach dem anderen in die Heimat und erklärte unaufhörlich: sie fahre mit dem nächsten Dampfer wieder zurück. Hier angekommen, will sie nicht mehr fort – Amerika gefällt ihr ausgezeichnet: „. . . Die Frauen haben es hier so gut und die Männer sind weit mehr Kavaliere als in Europa!“

Nun sie hat auch Glück hier. Amerikas größter Regisseur, D. W. Griffith, sucht seit einem halben Jahre nach der Hauptdarstellerin für seinen neuen Film The sorrows of Satan“ – – kaum sieht er die Putti. hat er sich auch schon für sie entschieden und drei Tage nach ihrer Ankunft beginnen bereits die Aufnahmen, bei denen sie die Partnerin Adolphe Menjous, der hier, um nicht erkannt zu werden, mit einer Riesenhornbrille herumläuft, ist. Über ihre ..Flucht aus Berlin“ plaudert sie, Zigaretten rauchend, mit befreiendem Humor. Der Einzigste, der ihr in Berlin nachtrauert, ist ein Agent, der sie mit einem Engagementsvertrag hineinlegen wollte.

Sie verdient hier wöchentlich Tausende von Dollars und kann es sich daher wohl erlauben, unbedeutende Verbindlichkeiten von hier aus einzulösen, muss es, denn die Berliner Filmindustrie, die wegen Geldmangel wenig produziert. konnte eine Künstlerin vom Range der Putti seit Oktober vorigen Jahres nicht beschäftigen. Das sagt genug.
Ihr Vertrag mit Famous läuft drei Jahre (in denen sie nicht mehr als 103-105 Pfund wiegen darf), aber jedes Jahr will sie nach Europa, um dort ihren Urlaub zu verbringen.
Das alles hört man von Lya de Putti, während sie in Decken gehüllt und in Kissen vergraben im Bett liegt. Um sie herum in dem kleinen Hotelzimmerchen stehen und sitzen deutsche Zeitungsleute, deutsche Kollegen, die Zofe und die von Famous der Künstlerin, die kein Wort Englisch spricht, beigegebene Sekretärin. Letztere ist Lyas Schutzengel – und der Engel wacht mit Argusaugen, kann aber nicht verhindern, dass die Künstlerin einen Mordsradau macht, als sie von mir hört, dass die Newyorker Presse ihre deutsche Künstlerschaft in eine ungarische verwandelt hat.
„Nix!“ dementiert sie energisch. „Ich habe nie in Ungarn gefilmt und alles, was ich dem Film bin und hoffentlich auch bleibe, habe ich ganz allein der deutschen Filmindustrie und in erster Linie Joe May, der mich entdeckte, zu verdanken.“

Deutsche Filmwoche, Heft 18, 30. April 1926