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Titelseite der Faust-Bibel -
Faust blickt auf die Bibel -
Die Bibel -
Der Film Faust ist in den Jahren 1925/ 26 gedreht worden; die Faust-Bibel erhielt Murnau als Abschiedsgeschenk nach dem Ende der Dreharbeiten am 24. März 1926 von dem Filmarchitekten Robert Herlth. Produzenten schenkten ihren Stars zum Abschluss der Dreharbeiten gelegentlich ein Photoalbum mit Szenen- und Werkphotos zur Erinnerung an das gemeinsame Werk – – nur war dies ein Geschenk des Architekten Robert Herlth und deshalb etwas Besonderes.
Faust war der letzte Film, den Murnau in Deutschland und für die Ufa drehte; Murnau hatte im Januar 1925 schon einen Vertrag mit der Fox in Hollywood abgeschlossen; das Ticket für die Passage nach New York war für Ende Juni 1926 gebucht; die Premiere von Faust fand erst im Oktober in Berlin statt.
Der Film gehört zum festen Kanon der deutschen Filmklassiker; die Filmhistoriker und alle, die sich für die Kultur der Weimarer Republik interessieren, kennen ihn – dem Rest der Filminteressierten wird er, stumm und schwarz/weiß, herzlich egal sein. Und was ist, was könnte die Faust-Bibel sein? Darauf gibt es mehrere Antworten, denn die Bibel ist ein Objekt mit verschiedenen Identitäten.
Der Filmarchitekt Herlth selbst gibt auf der Innenseite des Umschlags der Bibel eine Erklärung: „Der Einband dieses Buches stellte im Faust-Film Faustens Bibel dar.“ Nun gibt es in der Bibliothek des gelehrten Faust viele Bücher und Folianten, die als Bibel gelten könnten. Was ist also mit dem Wort „Bibel“ gemeint? Hier ist eine Vermutung: Als Faust zu einer an der Pest erkrankten Frau gerufen wird, flösst er ihr ein Medikament ein, das er selbst entwickelt hat. Aber das Medikament wirkt nicht, die Frau stirbt.
Faust eilt nach Hause; in einem Zorn- und Wutanfall wirft er die gelehrten Bücher seiner Bibliothek ins Feuer. Sein Blick fällt dabei auf ein Buch mit einem Kreuz auf dem Umschlag. Der Blick wird durch die subjektive Kamera, die Faustens Blick nachempfindet, besonders akzentuiert. Dieses Buch enthält die Beschwörungsformel, mit der Faust das Erscheinen Mephistos provoziert. (Siehe die Fotogalerie am Anfang dieses Beitrags).
Statt der ursprünglichen Seiten mit den Beschwörungsformeln für die Anrufung von Mephisto hat Robert Herlth auf rund 100 großformatigen Blättern die Produktionsgeschichte des Films in etwa 350 Fotos von Architekturskizzen, von Dreharbeiten und vor allem auch in Filmstills dokumentiert.
Eine Seite ist beispielsweise den verschiedenen Masken von Emil Jannings’ Mephisto gewidmet; auf anderen sieht man, wie mit Gasmasken geschützte Atelierarbeiter die aus Watte und Asbestfasern genähten Wolkenimitationen für den Weltflug positionieren.
Der Kameramann Karl Hoffmann hatte immer ein großes Geheimnis daraus gemacht, wie der Weltflug gedreht wurde. Hier ist zum ersten Mal illustriert, dass die stumme Kamera auf einen kleinen Wagen mit Gummirädern festmontiert war, der auf einer Holzbahn durch das Atelier geschoben wurde.
Dass diese Bibel und diese Aufnahmen erhalten geblieben sind, ist keine Selbstverständlichkeit. Die deutsche, nach Frankreich emigrierte Filmhistorikerin Lotte H. Eisner war schon Anfang der 1960er Jahre auf ihren Spuren, aber erst 60 Jahre später gelang es ihren Nachfolgern, die Bibel für die Cinémathèque Francaise zu erwerben.
Die mit der Bibel verbundene Geschichte beginnt 1926 und führt über 1961 bis in die allerjüngste Vergangenheit. In dem Film von Murnau bittet Mephisto Faust auf den magischen Teppich und fliegt mit ihm um die Welt – wir bewegen uns mehr oder weniger durch hundert Jahre und vor allem zwischen Paris und Berlin.
Beginnen wir unsere Reise ganz und gar unspektakulär in West-Berlin. Vom 11. bis 31. März 1961 – also vor ziemlich genau 60 Jahren – organisierte die Akademie der Künste in West-Berlin eine Murnau Woche. Offizieller Anlass war der 30. Todestag von Murnau – der Regisseur starb am 11. März 1931 in Santa Barbara in Kalifornien. Die Murnau-Woche – in Wirklichkeit waren es fast drei Wochen – bestand aus Vorführungen seiner Filme und einer Ausstellung. Die Akademie der Künste war eine alteingesessene Institution mit einem herausragenden Archiv und einem einzigartigen Ruf; sie berief sich auf die 1704 gegründete Preußische Akademie der Künste und war 9 Jahre nach Ende des 2. Weltkriegs in West-Berlin wieder ins Leben gerufen worden. In Ost-Berlin, der Hauptstadt der DDR, gab es seit 1950 ebenfalls eine Akademie der Künste. Beide sind heute wieder vereint.
Neben dem offiziellen Anlass – dem Todestag von Murnau – verfolgte die Akademie auch ein ganz eigenes Interesse. Der seinerzeitige Generalsekretär Herbert von Buttlar spielte mit dem Gedanken, auch dem Film als einer der neueren Künste in der Akademie einen Platz zu geben. Bis dahin, aber auch viele Jahre später, war der Film in den Augen der klassischen Künste nur eine Unterhaltungsware und nicht würdig, in einem Atemzug mit der Literatur und den traditionellen Künsten genannt zu werden. Buttlar war seiner Zeit weit voraus; erst 1984 wurde in der Akademie der Künste offiziell eine Sektion Film-und Medienkunst eröffnet.
1961 überlegte die Akademie der Künste ernsthaft, die sehr umfangreiche filmhistorische Sammlung des Regisseurs Gerhard Lamprecht zu übernehmen und damit den Grundstock einer Film-Abteilung zu etablieren. Es war bekannt, dass Lamprecht seine Sammlung verkaufen wollte; mit der Murnau-Ausstellung gab die Akademie dem Sammler die Möglichkeit, sich in Berlin zu präsentieren und ihn gleichzeitig als eine Persönlichkeit mit besten Kontakten zu der renommierten Cinémathèque Francaise vorzustellen. Warum war die Cinémathèque Francaise so wichtig? Man war in Deutschland der nicht ganz falschen Meinung, dass die Filmvorführungen der Cinémathèque jungen Enthusiasten die Geschichte des Films nahe gebracht hatte. Die Vertreter der Nouvelle Vague wie Truffaut, Chabrol oder Rivette waren alle auch eifrige Kinobesucher gewesen. Etwas mechanisch und auch kurzschlüssig folgerte man, dass eine ähnliche Institution in Deutschland, basierend auf der Sammlung von Gerhard Lamprecht, auch den akrtuellen deutschen Film wieder aufs Niveau bringen könnte.
Die Cinémathèque Francaise beteiligte sich als Leihgeber mit Filmkopien und Archivalien an der Murnau-Woche und hatte ebenfalls Interesse an der Lamprecht-Sammlung signalisiert. Und nicht nur das: ihr früherer gelegentlicher Mitarbeiter Engelbert von Mallinkroth war jetzt an der Akademie der Künste und sollte ein Auge auf die Ausstellung wie auf die Sammlung Lamprecht halten. Hinzu kam, dass Lotte Eisner bereits seit einiger Zeit an einem Buch über Murnau arbeitete und in Berlin die Filmarchitekten Robert Herlth, Rochus Gliese und andere Mitarbeiter Murnaus treffen und intensiv befragen konnte. Sie spielte auch mit dem Gedanken, dass die Akademie der Künste ihr Buch veröffentlichen könnte.
Jede Partei verband also ganz eigene Vorstellungen mit der Murnau-Ausstellung. Die Filmvorführungen leitete Gerhard Lamprecht mit meist persönlichen Erinnerungen ein, Lotte Eisner und Robert Herlth sprachen über Nosferatu und Faust. In den drei Wochen hatten Ausstellung und Filme über 10.000 Besucher – das war ein imponierender Erfolg. Was genau in der Ausstellung gezeigt wurde, lässt sich heute nur noch rudimentär aus den Akten der Akademie der Künste rekonstruieren. Neben Fotos, Plakaten und Programmheften aus der Lamprecht-Sammlung kamen aus der Cinémathèque Drehbücher und Architekturzeichnungen von Herlth, Röhrig und Gliese.
Robert Herlth selbst baute für die Ausstellung einige Ansichtsmodelle zu Faust und Der letzte Mann, die in die Sammlung Lamprecht wanderten. Die Kinemathek hat sie mit der Sammlung Lamprecht übernommen, zum Teil restauriert und immer wieder ausgestellt. Ein Modell allerdings blieb über 50 Jahre unentdeckt. Es hatte zwar eine Beschriftung, die aber war in dem Modell selbst angebracht.
Andere Objekte und Zeichnungen von Robert

Blick von oben in das Modell.
Foto: Karsten Seyfert
Herlth wie etwa ein Murnau Porträt sind verschwunden und nach der Ausstellung nicht wieder aufgetaucht.
Während ihres Aufenthaltes in Berlin filmte Lotte Eisner auf 16mm Interviews mit einigen Architekten von Murnau. Eine Namensliste existiert nicht, aber es dürfte sich um Robert Herlth, Rochus Gliese und Arno Richter gehandelt haben. Gedreht wurden am 18. und 20. März 1961 in der Akademie etwa 80 Minuten auf 16 mm, den Kamera- und den Tonmann stellte der Sender Freies Berlin. Das Filmmaterial ist verschollen, weder in der Akademie der Künste noch in der Cinémathèque Francaise noch in den bekannten deutschen Archiven gibt es eine Kopie. Vielleicht hatte Lotte Eisner den Film in ihrer Wohnung und ist dort bestohlen worden – man weiß es nicht.
Aber wir wollen nicht über das sprechen, was verschwunden ist, sondern über das, was wiedergefunden wurde.
Am 6. April 1961, also weit nach Beginn der Ausstellung, fragt Lotte Eisner Engelbert von Mallinckrodt: „Ich bin gespannt – waren Sie bei dem Mann mit der Faustbibel? Und was hat das ergeben?“ Mallinkrodt antwortet am 9. Mai ausweichend mit einer Schauergeschichte:
„In dem Haus von Murnau war ich. Es lebt aber kein Mensch mehr dort, der eine Ahnung vom verbliebenen Material hat. Nur ein Hausmeister des Hauses nebenan, der Murnau sehr gut kannte, sagte mir, dass bis jetzt die meisten Leute, die in Murnaus Haus einzogen, kurze Zeit darauf starben, Selbstmord begingen oder spurlos verschwunden sind. Aber wer weiß, vielleicht taucht doch noch einmal irgendwo etwas auf.„
Mallinkrodt musste eigentlich nicht spekulieren, er wusste es ganz genau; die Bibel und zusätzliche Fotos hatte er am 3. März 1961 von Rolf Conscienze, dem Inhaber der Gaststätte Roco Hacienda gekauft. Rolf Conscience war bereits 1947 in die Gesellschaftsnachrichten gekommen, weil er mit Geldern, die für die Instandsetzung von Wohnungen gedacht waren, aus einer Tennishalle ein Filmatelier für seine 1946 gegründete Roco-Filmgesellschaft gemacht hatte. Aber mit dem Film klappte es nicht so wie es sich Conscienze vorgestellt hatte – so wurde er Gastwirt. Roco Hacienda war ein in marokkanischem Stil eingerichtetes Lokal an der Scharfen Lanke nahe Pichelswerder. Tagsüber war es ein beliebtes Ausflugslokal für Familien; abends hatte es den Ruf eines Halbwelt-Lokals. Hauptattraktion des Anwesens war ein Esel. Die marokkanisch aussehende Dekoration sollte, so verspricht es eine Postkarte, aus einem Film stammen. Wie das Faust-Buch zu Conszience gekommen ist und warum Mallinkrodt das Buch nicht in die Ausstellung gab – darüber fehlen jegliche Informationen. Engelbert brachte das Buch in seine Wohnung, die er gemeinsam mit seinem Bekannten Ludwig Mangoldt [dieser Name wurde von mir verändert] in Moabit gemietet hatte. Kurz darauf verliebte sich Mallinkrodt Hals über Kopf, verließ die gemeinsame Wohnung und ward nicht mehr gesehen – nicht in der Akademie und nicht mehr von seinem Mitbewohner.
Ludwig Mangoldt musste nun die Miete für die fünf Zimmer Wohnung in der Claudiusstrasse allein aufbringen. Das Geldproblem löste sich auf wunderbare Weise im August 1961. Das Haus gehörte einem Rechtsanwalt aus Ost-Berlin, der regelmäßig in sein Büro im Westen in die Claudiusstrasse kam, um dort die Miete zu kassieren und Sprechstunde zu halten. Da am 13. August die Ostberliner-Grenzpolizei eine Mauer zwischen Ost- und West-Berlin errichtet hatte, um die Flucht der DDR-Bevölkerung in den Westen zu verhindern, konnte auch der Rechtsanwalt nicht mehr kommen. Ludwig M. zahlte nun gar keine Miete mehr, was ihn natürlich nicht weiter störte; als sich nach einigen Monaten ein Westberliner Anwaltsbüro meldete und die aufgelaufene Miete reklamierte, blieb Ludwig M. nichts anderes übrig als sich für zahlungsunfähig zu erklären. Es folgte die Räumungsklage und Ludwig M. konnte von Glück sagen, dass ihm eine Abstellkammer zur Verfügung gestellt wurde, in der er seine Habseligkeiten und die zurückgelassenen Kisten und Koffer von Engelbert vorübergehend unterbringen konnte. Engelbert blieb verschwunden; Ludwig musste die gesamte Miete nachbezahlen, fand eine neue Wohnung und brachte die untergestellten Sachen dorthin. Die Faust-Bibel lag die nächsten 53 Jahre in grobem Papier verpackt auf einem Schrank in seiner neuen Wohnung.
Lotte Eisner fragte immer wieder nach Engelbert; der aber blieb verschwunden. Sie fragte auch die Tochter von Robert Herlth nach der Faust-Bibel und die Tochter gab die Frage weiter an die Forscher, die sich mit Murnau, mit Faust und mit Robert Herlth beschäftigten. Rolf Aurich, der sich für eine Publikation mit Gerhard Lamprecht und der Geschichte seiner Sammlung befasste, war auch auf dieses mysteriöse Objekt aufmerksam geworden. Bei seinen Recherchen stiess er auf Ludwig Mangoldt, der ihm rundheraus erklärte, dass er die Faust-Bibel aufbewahrt hatte.
Damit war allerdings die Irrfahrt der Faust-Bibel noch nicht zu Ende. Zwar hatte sich Mangoldt das Stück juristisch ersessen – er war inzwischen der rechtmässige Besitzer – , aber unklar war weiterhin und ist bis heute, wie Rolf Conczienze zu der Bibel gekommen war. Bernhard Plumpe, der Bruder von F. W. Murnau, hatte nach Murnaus Tod den Nachlass im Wohnhaus der Mutter konzentriert und während des Krieges die noch erhaltenen Nachlassteile in einem Bunker in der Charlottenburger Droysenstrasse 15 untergebracht. „Bei einem Luftangriff im Jahre 1944 ist dieser Häuserkomplex zerbombt worden. Bei den Löscharbeitern des gleichzeitigen Großfeuers wurde der Bunker durch die Wassermassen verschüttet.“ (Robert Plumpe an Lotte H. Eisner, 17. November 1960). Dieser Spur war Lotte Eisner in Berlin schon vergeblich nachgegangen. War die Bibel also Diebesgut? Das konnte nie geklärt werden, sollte aber bald eine Rolle spielen. Die Spuren von Rolf Concszience und Engelbert Mallinkrodt haben sich im Laufe der Jahre verloren; von ihnen ist keine Aufklärung meahr zu erwarten.
Ludwig M bemerkte nun – wir befinden uns inzwischen im Jahr 2013 – , dass die Bibel doch etwas Besonderes sein musste und gab sie zur Auktion. Der Ausrufpreis lag bei 7.000 Euro. Alle Versuche, die Bibel vorab zu erwerben, schlugen fehl. Es war nun nicht ausgeschlossen, dass die Bibel einen mittleren fünfstelligen EuroPreis erzielen würde – einen Preis, den eine interessierte Berliner Institution nie so schnell würde aufbringen können – und dass das Objekt wiederum den Filmhistorikern entzogen würde. Die Auktion wurde mit einem einfachen juristischen Verfahren verhindert. Die Erben von Murnau bestätigten, dass das Buch zum Nachlass von FW Murnau gehörte, sie die Bibel aber nie veräussert hätten. Folglich musste es sich bei der Bibel um Diebesgut handeln; ein Anwaltsbüro erwirkte einem Tag vor der Auktion eine einstweilige Verfügung mit dem Ziel, die Versteigerung der Bibel zu verhindern. Das Auktionshaus wollte einen Skandal vermeiden und nahm die Bibel aus der Auktion; den Schaden hatte Ludwig M., der zu dem entgangenen Verkaufsgewinn nun noch die dem Auktionshaus entstandenen Kosten von mehreren tausend Euro ersetzen musste. Monate später bot er die Bibel einem ausgewählten Kreis, darunter einer Berliner Institution und der Cinémathèque Francaise zum Kauf an. Allein die Cinémathèque Francaise ging auf das Angebot ein und erwarb, jetzt quasi in der Nachfolge von Lotte Eisner, die Bibel zu einem moderaten fünfstelligen Euro-Preis. So kam dieses einzigartige Dokument der deutschen Filmgeschichte nach Paris.
Soll man darüber jammern und klagen? Nein, freuen wir uns lieber darüber, dass die Bibel jetzt öffentlich zugänglich ist und alle Bewunderer von Murnau seine Arbeitsweise an authentischen Bildern studieren können. Murnau selbst war wie viele seiner Mitarbeiter ein Geheimniskrämer. Ungern liess er Journalisten die Dreharbeiten besuchen; nur einem Weltstar wie Rudolfo Valentino konnte er das nicht verwehren. Und so entstand dieses Photo, das nicht der offizielle Filmfotograf Hans Natge, sondern sein Assistent Paul Oszwald geschosssen hatte.

Von links nach rechts: Abert Sander, Auslands- Pressevertreter der UFA, Valentino, Murnau und Manuel Roachi, Vertreter der mexikanischen Regierung. Foto: © Paul Oszwald. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung.
Die Murnau-Bibel dokumentiert nicht nur den Arbeitsprozess der Entstehung von Faust, sondern auch den Ehrgeiz des Produzenten Erich Pommer, seines Regisseurs und seiner Mitarbeiter, Neues auszuprobieren und bislang Ungesehenes möglich zu machen. Es war die Zeit der grossen optischen Sensationen – in Babelsberg baute Fritz Lang die Stadt „Metropolis“ und erschuf die „Maschinen-Maria“.
Herlth empfand die Arbeit für Faust als eine besondere Herausforderung und sah darin seine bislang beste Leistung. Deshalb finden sich auf vielen Seiten Fotos seiner Entwürfe und der seines Kollegen und Mitarbeiters Walter Röhrig. Aus dem Gegenüber von Entwurf und Filmbild erkennt man deutlich, dass der Entwurf das Filmbild nur schemenhaft vorwegnimmt – die Realisierung der Szene erfolgte laut Herlth iim Dialog zwischen Regisseur, Architekt und Kameramann. Möglichweise hat Herlth hier die Kooperation etwas idealisiert; aber wie bei Metropolis war dies eine Zeit der visuellen Erfindungen, Entdeckungen und der Experimente, mit denen Architekten, Kameraleute und Regisseure den Film zur Gegenwartskunst entwickelten. So wie Produzent Pommer seine Mitarbeiter experimentieren liess, so wollte er auch Einfluss auf die Filmfotographie nehmen. Bei den Produktionen der E. A. Dupont- Filme Variete (1925) und Das alte Gesetz (1923) hatte Dupont mit dem Photographen Hans Natge zusamengearbeitet, der die Momentphotographie in den Produktionsablauf einführte. Statt der normalen Stills, die separat von den Dreharbeiten und jeweils danach aufgenommen wurden, nahm Natge die “Filmfotos“ während der Dreharbeiten auf. Dokumentiert ist Natges Arbeit bei den Dreharbeiten zu Das alte Gesetz. Pommer gab dem

Bei den Dreharbeiten zu Das alte Gesetz. Von links nach rechts: E. A. Dupont, Kameramann Theodor Sparkuhl, unbekannt, Hans Natge
Fotographen den Auftrag, für die Ufa ein Photolabor einzurichten und die Film- Photographie aufs Niveau zu bringen.
Wegen der unterschiedlichen Lichtstärke von Film- und Fotokamera hatte man es bislang nicht für möglich gehalten, direkt bei den Dreharbeiten zu fotografieren. Entweder waren die Bilder unterbelichtet oder sie führten bei lichtstärkeren Objektiven zu einer geringeren Tiefenschärfe. Natge hatte ein Verfahren entwickelt, die Unterbelichtung bei der Entwicklung auszugleichen. „Es kommt nun bei der Aufnahme darauf an“, schrieb sein Kompagnon Börner, „immer den längsten Moment, den der Vorgang im Film selbst bietet, zu exponieren. Da diese Bewegungen natürlich sehr stark wechseln, so ist man während der Aufnahmen zu dauernder Umstellung der Belichtungszeit genötigt.“[1] Mit seinem Apparat nahm Natge nahezu dieselbe Aufnahme-Perspektive ein, die Regisseur und Kameramann miteinander für den Aufbau der Szene vereinbart hatten; auch die Lichteffekte mussten nicht neu eingerichtet werden, und Mimik und Körpersprache der Schauspieler litten nicht unter der Routine der Wiederholung. Die Momentfotografie war für alle Beteiligten die bessere Variante – nicht nur wurden die Fotos lebendiger und authentischer, die Arbeit war auch unter ökonomischen Aspekten interessant. Denn der Großteil der Arbeitszeit eines Standfotografen bestand aus Warten auf das Ende der Filmaufnahme; die eigentliche Arbeitszeit für die Aufnahmen dagegen betrug, so rechnete Eugen Klagemann vor, pro Tag durchschnittlich nur 90 Minuten.[3]
Bei Das alte Gesetz und auch bei den Nibelungen waren im Foyer des Premierenkinos Plakate und/oder Fotos ausgestellt worden; ähnliche Päne vermutete Natge für die Premiere von „Faust“. Er liess deshalb etwa 160 Fotos hochwertig abziehen und passpartourieren. Da die Ausstellung nicht standfand, schenkte Natge die Fotos Emil Jannings und Jannings Erbe gab sie freundlicherweise an die Kinemathek in Berlin.
Im Zentrum der aktuellen Diskussion um Faust standen 1926 eher heikle Fragen der kulturellen Identität: Nationale Kreise waren entsetzt als sie erfuhren, dass die Rolle des Gretchen an eine Amerikanerin wie Lilian Gish oder Mary Pickford gehen sollte. Auch Greta Garbo stand kurze Zeit auf Murnaus Wunschzettel. Mit Camilla Horn hatte sich Murnau dann im letzten Moment für eine Anfängerin entschieden – die Werbeabteilung der Ufa produzierte nun goldige Geschichten wie die junge Frau zu dieser Rolle gekommen war. Auch die Deutsch-Nationalen waren zufrieden. Die Ufa hatte sich noch einen Werbegag ausgedacht; der vielgeehrte Dichter Gerhard Hauptmann hatte sich für 40.000 Mark bereit erklärt, die Zwischentitel zu Faust zu schreiben. Dass der Nobelpreisträger einer Filmversion von „Faust“ durch seine Mitwirkung schon vorab seinen Segen gab, erboste die konservative Literaturwelt ganz besonders. Aber nicht nur die, auch die Filmwelt und insbesondere der Drehbuchautor Hans Kyser war verärgert, dass ein Außenstehender und mit dem Film nicht vertrauter Literat die Zwischentitel einfach als Auftragsarbeit erledigen sollte. Die Ufa setzte dann die Zwischentitel nicht in den Film ein, sondern druckte sie, zusammen mit Natges Fotos, in einer Extra-Film-Broschüre. So waren dann alle und ganz besonders Hauptmann zufrieden: so viel Geld für so wenig Arbeit hatte er noch nie bekommen.
Inzwischen hat das Münchner Filmmuseum in seiner DVD-Edition Murnaus Faust mit den Hauptmann-Titeln herausgegeben. Eine Edition der Faust-Bibel oder zumindest ein Faust-Buch mit Hans Natges und Paul Oszwalds neuartigen Filmfotos stünde ebenfalls auf der Wunschliste manches Filmhistorikers. Möglicherweise nimmt sich ein französischer Filmhistoriker dieser Aufgabe an, denn Faust ist ja nicht nur ein deutsches, sondern auch ein europäisches Kulturerbe.
[1] E. Börner: Mit der Spiegelreflexkamera beim Film. In: Der Satrap. Blätter für Freunde der Lichtbildkunst. Berlin, Heft 5, 1926
[2] Der Begriff „Momentfotografie“ war bereits im 19. Jahrhundert durch Ottomar Anschütz eingeführt worden.
[3] Die Filmschaffenden. XI. Der Standfotograph. [Gespräch mit Eugen Klagemann]. In: Film-Atelier, Berlin, Nr. 16, 31. August 1932
Die Zitate aus den Briefen von Engelbert von Mallinkrodt und Lotte H. Eisner sind den Unterlagen zur Murnau-Ausstellung 1961 im Archiv der Akademie der Künste entnommen.