Carl Mayer: Wie ich zur Idee des Berlin-Films kam. (1927)

Berlin hat für mich seit je irgendeine, meine innere Welt lösende, mich zum produktiven Erleben steigernde Gewalt. Entscheidende Einfälle, wie der zum CALIGARI oder zu SCHERBEN oder zu SYLVESTER, zum LETZTEN MANN und manche andere, irgendwie danke ich sie den Straßen und Stätten, der Luft Berlins. So ging ich wieder einmal, von Plänen zu einem Film aus der Großstadt erfüllt, im Abenddämmer vom Bahnhof Zoo zur Gedächtniskirche. Es war einer jener Abende, an denen gewiss schon jeder, der Berlin liebt, die in ihrer Art einzigartige Atmosphäre dieser Stadt hingerissen empfunden hat. Züge donnerten. Lichter! Autos! Menschen! Alles schnitt sich ineinander! Von den Abendglocken der Kirche überklungen.

Da überkam es mich jäh. Berlin! Wunderbare Stadt! Wie – wenn man einmal an Stelle eines „Schauspielers“ dich selbst zum Hauptdarsteller – zum Helden eines Films erwählte? – Und da stieg auch schon der Titel in mir auf: Berlin, Berlin eine Sinfonie, Berlin die Sinfonie, Berlin die Sinfonie der Großstadt! – Und wirklich, wie aus dem Musiker die Themen zu einer Sinfonie der Töne emporklingen mögen, so verdichteten sich in mir in einer Art jähen, rauschhaften Zustandes, den produktive Menschen kennen, ganze Bildreihen zu Akkorden. Es war mir, als hörte ich urplötzlich die tausendstimmige Melodie dieser Stadt. Straßen, Plätze, ganze Komplexe Berlins blendeten gleichsam in mir auf – durch- und ineinander.

Gigant Berlin! Aus dem Schlaf sich reckend. An allen Orten, in allen Häusern, aus allen Straßen anwachsend zum Tag. Dieser Tag sollte es sein, vom Morgen – zum Morgen wieder. Ein Tag Berlins! Mit seinen millionenfach emporsteigenden Gesichten. Trubel der Weltstadt, in Bildern zueinander komponiert, was sonst aneinander vorbei lebt, rattert, rast …! Arbeit! Glanz! Elend! Licht! Leben! Tod! Eine Sinfonie des Wirklichen mit den ureigensten Mitteln des Films, Bewegung, Rhythmus, Einstellungen und Schnitt instrumentiert. Eine Sinfonie sollte es sein, den Beschauer mitreißen, wie sie mich in jener ahnungsvollen Stunde des ersten Einfalls gepackt hatte. Ein Hohelied der Stadt, der Zeit, des Jahrhunderts – des Films!

Und – mehrere Jahre ist es her – ich anvertraute Lupu Pick, mit dem ich bekanntlich in mehreren Arbeiten freundschaftlich verbunden war, meinen Plan. Gern erinnere ich mich seines Gefühls für ein solches Werk, seiner Begeisterung. Überhaupt, zur Ehre der Fachleute sei es gesagt, daß, um nur einige zu nennen, von Leuten wie Murnau, Jannings, Freund, jeder einzelne Sinn und Absicht meiner Idee sofort erfasste, besonders den letzteren schien die Sache nicht mehr loslassen zu wollen, und eine Kombination Freund7Ruttmann wurde zur Ausführung des Films erwogen. In ein Stadium der Realisierung aber geriet das Projekt, als Julius Außenberg von den Plänen erfahren hatte. Und es sei dieses der Öffentlichkeit nicht so unmittelbar gegenüberstehenden Mannes gedacht, der, nachdem er sich von den neuartigen Ideen überzeugen und gefangen nehmen lassen hatte, über Einflüsterer und Verwarner hinaus seinen Weg für diese Sache, oft mit erstaunlicher Anregungsfähigkeit begabt, ging, um erst in den letzten Tagen seinen Einsatz für den Film im Kampf gegen eine – Behörde zu vollenden

In: BZ am Mittag, 27. September 1927