Vor einiger Zeit schrieben mir zwei der bekanntesten Berliner Filmarchitekten u.a. folgendes: “ Sie wissen ja, welche eine schwere Arbeit der Faust-Film war. Sie haben sich selbst davon überzeugt, welch einen Anteil gerade wir Maler an der bildlichen Konposition dieses Films hatten und als Fachmann verstehen Sie ohnehin, was für derartige Stoffe das weiße, leere Papier bedeutet. Ich meine … anfangs, war keine Vorstellung ausser der Handlung …. da mußten nur wir herhalten.
Wie aber sieht es jetzt aus? Wie stellt sich die Firma zu unserer Arbeit? Sie hat den Film an eine andere Firma verkauft und da kennt man uns nicht einmal (so scheint es), man weiß noch gar nichts von dem eigentlichen Hergang der künstlerischen Schöpfung dieses Films. Soll es so sein? Halten Sie das für eine gerechte Regelung der Anerkennung künstlerischer Arbeiten? Für jede Kunstgattung existiert das Urheberrecht, und wenn ich auch zugeben muss, dass in den Augen der grossen Masse der Filmproduktion der Arbeitsanteil des Architekten und Malers nur verhältnismäßig gering ist, so waren es dennoch in diesem Falle beim Faustfilm bestimmt Maler, Filmleute schlechthin.“
Diese Anklage zweier filmisch so anerkannter Künstler wie Herlth und Röhrig scheint mir nicht zu Unrecht erhoben zu sein. Wenn auch die Namen dieser beiden Malerarchitekten auf einer ganzen Reihe von Ankündigungen des obigen Films zu lesen sind, so hat man sie dennoch viel zu wenig der großen Öffentlichkeit, sowohl der Fachwelt wie auch dem Publikum bekannt gegeben, man hat zwar immer wieder vom Regisseur und den Hauptdarstellern gesprochen, von dem vielen Geld, das dieser Film gekostet hat, von den großen Erwartungen, denen man sich hinsichtlich seiner Auswertung (mit Recht) hingibt, aber wenig, viel zu wenig, fast gar nicht von dem Architekten und dem Kameramann.
Das sind unstreitig Unterlassungssünden, zumal sich gerade dieser Film wie wenig andere, auf dem Optischen, dem Filmarchitektonischen vollständig aufbaut, jede Szene sich dem Beschauer so darbietet, als wenn Milieu, Format und Bewegung des Bildausschnittes von einem einzigen Künstler geschaffen wären. Das schmälert nicht im mindesten das Verdienst des Regisseurs, aber es rückt dasjenige der Filmarchitekten besonders in den Vordergrund, zumal man sich vor Augen halten muss, dass wirklich “im Anfang das leere Blatt Papier war“. Denn wir wollen uns doch darüber klar sein, dass auch der genialste Regisseur unbedingt der Kulisse, des Hintergrundes seines Gestaltens bedarf, um seelische Vorgänge ins Bewegungstechnische und Reinoptische transponieren zu können. Seinerzeit schrieb ich bereits gelegentlich eines Atelierbesuches über die eigenartige Bauweise von Herlth und Röhrig , ihr ausgesprochen perspektivisches Bauen, ihre Tendenz, alle Vorgänge so in das Bild zu stellen, dass schon die Größenverhältnisse, die Formen und die Farbabtönungen der Gegenstände an sich das Verständnis und Empfinden der Zuschauers unterstützen und beflügeln. Es ist wohl durchdachte und künstlerisch auf feinste abgestimmte Absicht der beiden Architekten , dass zum Beispiel in Gretchens Zimmer sich ein (scheinbar) riesengroßes Fenster befindet, hinter dessen Butzenscheiben der gigantische Schatten von Mephisto oder Faust sichtbar wird. Wohl erwogene Absicht, dass Mephistos Teufelsfratze beinahe eine ganze Wand ausfüllt, während sich die Klingen von Valentin und Faust auf der nächtlichen Gasse kreuzen. Alle diese winkligen Gassen und Gässchen, diese Erker und Ecken, diese leeren und hallenden Domräume, der gleichsam über einen unermesslichen tiefen Abgrund hinwegführende, ansteigende Viadukt, über dessen Geländer sich Mephisto hinabbeugt, diese Überschneidungen der Dekorationen und gleichsam auch der Geschehnisse stellen einen ganz neuen Abschnitt der Filmarchitektur vor: Das optische Bauen.
Man hat schon früher ähnliches versucht, seelische Impressionen in das Lokalkolorit überführt, Dekorationen gebaut, die sich aufs engste schon in ihrer Form dem psychischen Geschehen, das in ihnen spielt, anpassen, aber es scheint mir, als ob man noch in keinem Film diese Absichten und diesen Weg so zielbewusst und systematisch verfolgt hat wie im Faust.
Kommen wir zum Brief von Herlth und Röhrig zurück! Wirklich muß man fragen, wann endlich dem künstlerischen Filmarchitekten und Filmmaler im Werk und im Abglanz seines Werkes diejenige Stellung eingeräumt werden wird, die der Kameramann in allerjüngster Zeit zu erringen sich auf dem besten Wege befindet. Es soll keiner eine Extrawurst bekommen, aber auch keiner, dem ein großes Verdienst an einem bedeutsamen Werk gebührt, sollte beiseite stehen.
-o- in Film-Kurier, 13.10.1926