Die Filmindustrie ist bekanntlich erst ein Vierteljahrhundert alt, aber es ist unglaublich, was in dieser Zeit bereits an Filmen geschrieben, und was in diesen Filmen an Gedanken und an Unsinn verarbeitet worden ist.
Die Literaturen aller Länder, die Akten aller Gerichte, die Witze aller Witzblätter sind mehr oder minder gründlich geplündert worden und das unsterbliche Wort Ben Akibas kann man auf diese jüngste, elfte, zwölfte oder dreizehnte Muse bereits auch anwenden.
Der große Jammer in den Bureaus der Filmdirektoren: „Wo bekommen wir ein gutes Mansukript her“ – „Suchet, ihr werdet nichts finden!“ – „Alles schon dagewesen!“ – Es muss etwas Neues sein, etwas Unerhörtes! Ein Schlager?“ – „Nein, der Schlager!“
Aber es gibt doch noch Dinge, die im Film, wenn nicht völlig neu, so doch sehr wenig, sehr oberflächlich behandelt worden sind.. Zu diesen Dingen gehört beispielsweise der Okkultismus. Man verarbeitete aus diesem an sich sehr umfangreichen Gebiete verschiedene Dinge und „Probleme“, ohne jedoch dem Wesen der Sache auch nur von einer Seite aus annähernd und mit einem gewissen Ernst beigekommen zu sein.
Die Prana-Film-Gesellschaft, unter deren leitenden Persönlichkeiten sich einige seit langem mit okkulten Studien beschäftigt hatten, kam nun auf die Idee, den Vampyrismus einmal zur Grundlage eines Filmmanuskriptes zu machen. Der äußere Anlass war ein geringfügiger, kam den Betreffenden ungefähr ein, als sie eine Spinne beobachteten, die ihre Opfer aussaugte.
Aber mit der Idee allein war es noch nicht getan. Es handelte sich ja nicht nur darum, eine bestimmte Seite des Okkultismus im Film zu zeigen, sondern es sollte auch wirklich ein Film entstehen. Die Notwendigkeiten, die Bedingungen, vor allem aber auch die Möglichkeiten des Films sollten nicht irgendwie von ungefähr, sondern logisch und wesentlich mit dem Thema verknüpft werden.
In einem phantastischen Roman schien das Vorbild für den geplanten Film gefunden zu sein. Aber es bedurfte noch einer sehr gründlichen Arbeit Henrik Galeens, um aus diesem Roman das zu machen, was die Anreger der Idee sich vorgestellt hatten. Andererseits aber hat die Prana-Film-Gesellschaft als eine der ganz wenigen und ersten, dem Schriftsteller diesmal in größerem Umfang freie Hand gelassen, als das sonst allgemein der Fall zu sein pflegt. Henrik Galeen hat nicht nur das Manuskript geschrieben, sondern er hat auch die Vorarbeiten gemeinsam mit dem Regisseur F.W. Murnau besprochen, hat den Aufnahmen zum großen Teil beigewohnt und wird deshalb von dem fertigen Werk als möglicherweise erster Autor einmal nicht enttäuscht sein.
Auch mit einem anderen System hat man gebrochen, nämlich damit, immer nur „Namen“ herauszustellen. Man hat die Schauspieler nach dem Zweck so günstig als nur irgend möglich gewählt, nicht nach ihrem Darstellerberuf, wohl aber nach ihren Darstellerqualitäten.
Da ist zunächst Greta Schröder, die entzückende Tänzerin und Schauspielerin, die allerdings schon weiten Kreisen bekannt ist. Da ist der junge von Wangenheim, der Sohn Eduard von Wintersteins. Ruth Landshoff, eine bildschöne, junge Künstlerin, stellt sich zum ersten Male in einer größeren Rolle vor. Die Rolle des Schreckens, des Grauens, wird von Max Schreck gespielt, der seinem Namen hier besondere Ehre macht. John Gottowt, Gustav Boß, Alexander Granach und G. H. Schnell sind die übrigen Hauptmitwirkenden.
„Nosferatu“ ist der Titel eines Films der Geheimnisse, einer Sinfonie des Grauens, wie der Untertitel sagt.
Nosferatu ist eine sagenhafte Figur, die bereits in den Volksmärchen eine Rolle spielt. Sie bedeutet ungefähr so viel wie der „Todbringer“, vielleicht auch der Tod selbst, und sie erscheint hier als ein gespenstisches Wesen, manifestiert in der Gestalt eines Schlossherrn, der in einer kleinen Stadt, gegenüber dem Hause eines jungen, glücklichen Ehepaares, sich anzukaufen beabsichtigt.
Der Ehemann, der den Kaufvertrag mit ihm abschließt, reist ihm zu diesem Zweck nach seinem Schlosse, das in den Karpathen liegt, entgegen und erlebt hier die seltsamsten Dinge.
Er fühlt sich nachts bedrückt von einer Nachtmar. Er hat das deutliche Gefühl, als geschähe seiner jungen Frau daheim irgendein Unglück. Magische Kräfte, die er sich nicht erklären kann, lähmen seine Tatkraft, so dass es ihm nur unter den größten Schwierigkeiten möglich ist, sich aus den unheimlichen Räumen des Schlosses herauszuwinden. Er flieht. Aber es ist, als ob das Unglück ihn verfolge.
Ratten scheinen eine Pest durch die Länder zu verbreiten. In Schiffsräumen hocken sie, stecken die Mannschaft an, die nach kurzem , qualvollem Todeskampfe dem Verhängnis erliegt. In den Hafenstädten verbreitet sich die Krankheit zuerst. Niemand weiß, wie er sich retten, wie er helfen soll. Die Ärzte sind ohnmächtig oder stehen dem Rätsel entsetzt und ratlos gegenüber. Auch nach der Heimatstadt des jungen Gatten wurde die Seuche bereits verpflanzt. Aber es ist nicht, wie man allgemein annahm , ein Gift, an dem die Menschen sterben, nicht die Übertragung durch irgendeinen Bazillus. Es ist der blutgierige Vampir, der Nosferatu, der geheimnisvolle Fremdling, der den Menschen den „ganz besonderen Saft“ aussaugt, ihrem Leben vorzeitig ein Ziel setzt.
In einem alten Buche aber findet man aufgezeichnet, dass man sich von einem solchem Vampir dadurch befreien könnte, dass eine schuldlose Frau ihn so lange an sich fesselt, bis der erste Hahnenschrei ihm die Rückkehr ins Geisterreich unmöglich macht.
Die junge Gattin des endlich Zurückgekehrten opfert sich und das Gespenst löst sich schemenhaft in Nichts auf. Der Druck ist von der Stadt, von dem Lande, von den Menschen genommen.
Zu diesen teils mystischen, teils grauenvollen Bildern gehört auch ein besonderer landschaftlicher Hintergrund. Die Prana-Film-gesellschaft fuhr mit ihrem Ensemble in die Karpathen, späterhin an das Schwarze Meer. Sie kurbelte auf offener See und gewann dadurch eine Reihe von seltenen und reizvollen Bildern. Denn wenn ein Land bezüglich seiner Naturschönheiten noch verhältnismäßig wenig erschöpft ist, so dürfte es jenes wilde, nur teilweise erschlossene Gebirge sein.
Abgesehen davon, dass man auch den Reiz fremdartiger Kleidung in die Filmbilder glücklich hineinkomponieren kann, hat sich die Prana-Film-Gesellschaft doch entschlossen, das Ganze in die Zeit des Biedermeiers zu verlegen, um dadurch den Ereignissen eine gewisse Distanz nach Inhalt und Zeit zu geben, außerdem aber, um das überaus reizvolle Milieu aus Urgroßmutters Tagen noch zu besonderer Stimmungsuntermalung auszunutzen.
Die ganze Erzählung ist übrigens umspannt von einer Rahmengeschichte, in die sie sich natürlich und zwanglos einfügt, die auch das sonnige Moment betont und hervorhebt, um die packenden Szenen der Furcht, des Entsetzens und des Grauens verklingen und vergessen zu machen.
Es ist ganz sicher, dass ein so abwegiger Stoff mit dieser Sorgfalt und mit so beträchtlichen Mitteln gearbeitet, durchaus auch einen Publikumskreis finden wird, der seiner würdig ist und der diese Arbeit nicht umsonst getan sein lässt.
Die Neigung, sich mit okkulten Problemen zu befassen, ist gerade in jüngster Zeit wieder stärker als je vorhanden, und dies aus sehr begreiflichen Gründen. Zwingt doch eine ebenso unerquickliche als reale Gegenwart mehr als je, sich vom grauen Alltag abzuwenden und mit Übersinnlichem zu beschäftigen.
BZ Am Mittag, 5 März 1922, Nr. 64
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