Klare Verhältnisse mit nachfolgender Eintrübung

Heft 12/1980 der DDR-Zeitschrift „Film und Fernsehen“ war ganz Marlene Dietrich gewidmet. Ein ehrenwertes Unternehmen, möchte ich meinen, denn Frau Dietrich hat neben ihrem Rang als eine der Unsterblichen des Kinos auch die Qualität eines politischen Symbols: Von den Nazis umworben, widerstand sie allen Angeboten und Drohungen und entschied sich wie selbstverständlich für den aktiven, lebensgefährdenden Kampf gegen den Nationalsozialismus. In der Bundesrepublik ist ihr das lange nachgetragen worden; zu Recht schreibt Günther Netzeband in diesem Zusammenhang: ,,Die Bundesrepublik hatte, ganz im Gegensatz und als Voraussetzung für die DDR, nie ein klares Verhältnis zu den Emigranten gefunden.“ Daß dieses „klare Verhältnis der DDR zu den Emigranten” in einer Sondernummer von Film und Fernsehen sich entsprechend manifestiert, scheint mir selbstverständlich. Nicht so der Redaktion von Film und Fernsehen; ihr ist dieses Heft vielmehr zu einem Dokument des gestörten Verhältnisses zur Bundesrepublik geraten. Wenn Günther Netzeband über den Umweg sicher berechtigter Vorwürfe gegen die Bundesrepublik die Unbeflecktheit seiner Weste anpreist, so ist das wohl kurios, im Fall Marlene Dietrich jedoch verständlich. Peinlich wird es aber, wenn man bei der Reklamierung einer antifaschistischen Künstlerin zu Argumentationshilfen in Form von Zitaten und ganzen Artikeln greifen muß, die in eben jenem Staat erstveröffentlicht wurden, dem man die Fähigkeit zur Aufarbeitung der Vergangenheit abspricht. Daß ein rundes Dutzend der Beiträge in 12/1980 von Film und Fernsehen aus westdeutschen Büchern übernommen wurde, könnte den Autoren und Herausgeber jener Publikationen nur schmeicheln; auf daß das nicht geschehe, hat sich die Film und Fernsehen-Redaktion darum gesorgt, möglichst alle exakten Quellenangaben zu vermeiden und stattdessen im Impressum summarisch die Liste jener Bücher zu verzeichnen, aus denen man sich mehr oder weniger üppig bediente. Als Grandiosium der Unverfrorenheit folgt ein artiges Dankeschön allen Autoren, Verlagen und Personen für ihre freundliche Unterstützung. Ich weiß zumindest von einem westdeutschen Verlag, aus dessen Veröffentlichungen gleich auf mehreren Seiten nachgedruckt wurde, daß er weder um „freundliche Unterstützung“ noch gar um Nachdruckerlaubnis gebeten wurde. Vielmehr hielt es der Henschelverlag bislang nicht einmal für nötig, ihm auf seine Bitte um Übersendung eines Belegexemplars überhaupt zu antworten. Wer ein derart dubioses Verhalten an den Tag legt, kann wohl kaum im Ernst für sich noch das Wort‘ von den „klaren Verhältnissen“ beanspruchen – denn sonst wären auch die „Anonymen Flugblätter und Briefe“, im Zusammenhang mit Marlene Dietrichs Tournee in der Bundesrepublik entstanden, nicht nachgedruckt worden: Sie sind auf Frau Dietrichs nachdrücklichen Wunsch für eine Wiederveröffentlichung gesperrt. Günther Netzeband, der in seinem Eingangsartikel die Schlußworte so setzt, als habe er soeben noch mit Marlene gesprochen, muß sich die Frage gefallen lassen, wem ein derart fahrlässiges Verhalten Nutzen bringen soll. Bei etwas mehr Offenheit gegenüber den Filmhistorikern in der Bundesrepublik hätte er auch jene Materialien gegen die „reaktionären Vertreter dieses Staates“ bekommen können, die ihm nun vor lauter ideologischer Blockierung zu Rohrkrepierern geraten sind.

FilmKorrespondenz Nr. 3, 10. März 1981