Peter Pewas

Der folgende Beitrag über Peter Pewas stammt aus dem Jahr 1981. Natürlich war ich versucht, einige Passagen umzuformulieren, aber ich habe im Wesentlichen den Text so belassen wie er erschienen ist. Die wörtlichen Zitate stammen aus einem Interview, das Hans Michael Bock und ich mit Peter Pewas gemacht hatten.

Der Filmregisseur Peter Pewas, Jahrgang 1904, hat zwischen 1939 und 1971 drei lange Spielfilme und siebzehn Kurzfilme gedreht – so die offizielle Version. An zwei weiteren langen Filmen hat er entscheidend mitgearbeitet, ohne für die Endmontage verantwortlich zu sein; bei einigen wenigen Kurzfilmen wird seine Mitarbeit vermutet, lässt sich aber nicht nachweisen. Für 30 Jahre Arbeit im Film ist das ein relativ kleines, bestimmt nicht homogenes Werk. Im Rahmen der Berlinale 1981 wurden drei Kurzfilme von Peter Pewas (Jahrgang 1904):EINE STUNDE (1940/41), MENSCHEN – STÄDTE – SCHIENEN (1949), DER NACKTE MORGEN (1956) und zwei Langfilme gezeigt – DER VERZAUBERTE TAG (1943/44) und VIELE KAMEN VORBEI (1956); durchaus treffend lief das Programm unter dem Titel „Hommage für Peter Pewas”. „Als der Krieg zu Ende war, hatte ich als junger Regisseur diese große Belastung im Nacken – und die verfolgte mich leider jahrelang –, dass ich keinen Film vorzuweisen hatte. DER VERZAUBERTE TAG war ja von den Nazis verboten worden und schien damit verloren. Ich hatte nur den Ruf, ein besonderer, aber auch ein besonders schwieriger Mann zu sein. Mit dieser Belastung ging ich in die Zukunft hinein, und dann hatte mich die Filmkrise Anfang der fünfziger Jahre am Wickel. Ich musste jede Arbeit annehmen, die sich mir anbot. Da griff ich hier zu und hier zu und verlor damit meine eigentliche Linie. Ich hatte einfach nicht das Vermögen und die Cleverness, in dieser kommerziellen Industrie mich durchzusetzen.“ Die Auswahl in Berlin zeigte, daß Pewas Selbsteinschätzung nicht ganz richtig ist. Sehr wohl zeigte sich eine eigene Linie, wenn auch nicht da, wo Pewas sie gern gesehen hätte. „Meine Bildermacherei – das ist meine Stärke und gleichzeitig meine Schwäche, weil ich von der Form aus jede Sache so auflösen wollte, daß sie interessant wird. Leider vergaß ich oft, den inneren Gehalt zu berücksichtigen. So bin ich auch auf das Drehbuch von VIELE KAMEN VORBEI hereingefallen.” Was Pewas den inneren Gehalt nennt, ist das, was vor den Bildern liegt – das Literarische, das Drehbuch. Eben da hätte er gerne eine eigene Linie gehabt; ein Projekt, das er in diesem Zusammenhang immer wieder erwähnt, war der Kindermörderfilm. „Das Buch sollte mir einmal den Durchbruch bringen. Ich hatte die Absicht, mich selbständig zu machen und suchte nach einem Thema, mit dem man die Öffentlichkeit ansprechen kann. In Berlin lernte ich damals, nach STRASSENBEKANNTSCHAFT, Klaus Kinski kennen; er war ein ernsthafter, zwar verrückter, aber hinreißender Schauspieler. Für ihn entwickelte ich das Kindermörder Thema. Das sollte nicht nur ein Krimi, sondern ein Bild der ganzen Nachkriegszeit werden. Wohl gab es im Stoff spannende Momente, aber uns ging es darum, an einem Menschen exemplarisch die psychologischen Auswirkungen der Kriegserlebnisse vorzuführen. Wir wollten zeigen, wie dieser Mensch durch die Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegsjahre zerstört wurde. Irgendwann sagt er, er wolle ein Kind schützen und aus dieser Absicht kommt er in Verbindung mit seiner Psyche dazu, das Kind so zu drücken, bis es auf einmal tot ist.“

Das Projekt zerschlug sich, wohl auch, weil das Buch die Zeit wider den Strich aufbereitete. Seine Bilder taten das auch, aber das sah man erst dann, wenn der Film fertig war. Die eigene Linie wird nur klar aus den Bildern, aus der Bewegung innerhalb der Bilder und ihrer Beziehung zueinander.
Was er nicht zu Papier bringen konnte, spricht er mittels der Kamera aus. – Pewas Filme erzählen von der Suche nach einem imaginären Zuhause; die Bilder der Wohnungen, der Straßen und Restaurants erzählen von der Abwesenheit dieses Ortes. Die Geschichte der Räume, in denen sich seine Personen bewegen, scheinen mit ihrer ständigen Präsenz deren Zukunft zu determinieren. Zentrale Motive bei Pewas sind Verlassen, Aufbruch, Unterwegs-Sein, die Suche und deren Vergeblichkeit, aber auch die Unmöglichkeit der Rückkehr. In seinem ersten Kurzspielfilm EINE STUNDE bildet ein Restaurant den zentralen Set; die Ereignisse, die sich darin abspielen, sind aber nur sekundärer Natur, Folgeerscheinungen von Begebenheiten, die sich außerhalb abspielen. EINE STUNDE beginnt mit einer langen Kamerafahrt durch das Lokal, so kontinuierlich, daß ich darauf gefaßt war, am anderen Ende des Lokals durch eine Tür mit der Kamera wieder herauszutreten. Dies ist kein Ort zum Verweilen. Ein Mann kommt nach langer Abwesenheit nach Hause, um seine Mutter zu bestehlen; seine Geliebte, die im Lokal auf ihn wartet, hat ihn dazu überredet. Die Mutter überrascht ihren Sohn, der macht seinen Frieden mit ihr und will nun zu Hause bleiben; der reuige Deserteuer aber wird gleich von der Polizei abgeholt. In EINE STUNDE ist schon etwas von dem Fatalismus zu spüren, der den VERZAUBERTEN TAG entscheidend prägt. In beiden Filmen befinden sich die Hauptpersonen in einer ausweglosen Situation. Das Glück, was sie zu Hause nicht finden, suchen sie in der Fremde. Dafür werden sie gleich doppelt bestraft; durch die Enttäuschung ihrer Hoffnung auf Glück, und bei ihrer Rückkehr mit der Strafe für den Zweifel.

Im VERZAUBERTEN TAG spricht der Off-Erzähler gleich am Anfang von einem „schicksalhaften Verhängnis“, das Christines (Winnie Markus) Leben bestimmt hat. Der Kunstmaler Albrecht Götz (Hans Stüwe), mit dem sie ein Abenteuer erlebt hat, nimmt von der auf einer Bahre liegenden Christine einen Brief entgegen. Darin steht: „Das Schicksal hat mich zum Narren gehalten.” Die dermaßen bestrafte Eigenwilligkeit aber wird vorher als der einzige Ausweg dargestellt, dem schlimmen Los auswegloser Zukunft zu entgehen. Die Bilder sprechen im VERZAUBERTEN TAG eine andere Sprache. Keine Lähmung oder Erstarrung drücken sich in ihnen aus, sondern Bewegung und die Hoffnung auf eine Bewegung im Leben. „Es muss etwas anderes geben”, sagt Christine angesichts eines Lebens mit dem spießigen Angestellten Krummholz. Was sie sucht, ist der Traum vom Leben. Und als sie den Kunstmaler das erste Mal im Zugfenster sieht, steigen um ihn herum Dämpfe auf, als sei der Traum mittels Zauberei aus dem Bereich der Wünsche in den der Wirklichkeit eingetreten. Christine arbeitet in einem Bahnhofskiosk; mit der Ankunft und Abfahrt der Züge ist jene Sehnsucht nach „etwas anderem” motivisch verknüft. Das andere ist die Fremde; als sie auch dort kein Glück findet, sondern eine Enttäuschung erlebt, wechseln die Züge und Schienen ihre Bedeutung. Auf einer Bahnbrücke stehend blickt sie zu ihnen hinunter wie in eine Drachenhöhle, die erfüllt ist von giftigen Nebelschwaden. Die Schauplätze stehen bei Pewas ebenso für soziale Verhältnisse wie für die Gemütsverfassungen der Personen. Anhand der Küchenszene im VERZAUBERTEN TAG spricht er von einem „glücklichen“ und einem dunklen Raum. Gleichzeitig prägen die Wohnverhältnisse auch das Handeln der Beobachter, da es ihr Ziel ist, aus ihnen herauszukommen. Keiner bleibt, was er war und für wen man ihn gehalten hat. Christine wohnt bei ihrer Mutter, Anni zur Untermiete; Christines Zukunft ist gesichert, sie hat einen festen Job und einen Verlobten, der auf die Einrichtung einer neuen Wohnung spart. Anni gibt nur vor, einen Verlobten zu haben, erlebt ein Abenteuer mit einem Heiratsschwindler und landet schließlich in den Armen des biederen Bahnhofsvorstehers, an dessen Brust sie seufzt: „Versorgt sein, das wär‘ was!“ Für Christine dagegen ist das Versorgtsein keine Perspektive, sondern würde das Ende ihres Lebens bedeuten. Für das Wagnis des Abenteuers wirft sie das alles hin. Der spießige Kleinbürger schließlich ändert seine Haltung so schnell wie ein Chamäleon die Farbe; vom knickrigen Buchhalter bis zum Affekt-Mörder durchlebt er alle Phasen wildgewordener Mickerigkeit.

Die Bewegung, auf der inhaltlichen Ebene als Umkehrprozeß präsent, definiert die Kamera vor allem als horizontale Fahrten im Raum. Sie umkreist die Gegenstände und Personen, fährt auf sie zu, hält sich an ihnen fest und löst sich wieder, ohne dass ein Schnitt ihre Fahrt unterbrechen würde. In den Dialogen zwischen Christine und ihrem Kunstmaler schwingt die Kamera zwischen den beiden hin und her und setzt so die Spannung ihrer Gefühle in Tanz um. Mit Interieur der Räume beschreibt die Kamera jenseits von atmosphärischer Stimmungsmalerei Handlungen und Charakter der Personen; so zeigt Pewas in der zentralen Liebeszene nur ein Zimmer mit amourösen Bildern, bevor er in den Nebenraum fährt und eine sich öffnende Hand ins Bild kommt. Die vertikale Bewegung ist fast ausschließlich für die Charakterisierung des Buchhalter Krummholz reserviert; aus dem Direktionszimmer kommend ist er – von oben aufgenommen — nichts als ein kleiner Winzling. Beim Durchschreiten der Büroräume, vorbei an den Tischen der Angestellten, fährt die Kamera hinunter, bis sie schließlich in Kniehöhe zu ihm aufschaut: seiner Herrlichkeit, dem Spießbürger, der sich vor Freude knitternd die Hände reibt. Dokumentiert die horizontale Bewegung der Kamera das Einverständnis mit Suche und Rastlosigkeit, so desavouiert die vertikale den, der es sich in seiner Starrheit gemütlich machen will.

Wohnräume: Stationen auf der Flucht In VIELE KAMEN VORBEI sind die Wohnräume nur mehr Stationen, die fluchtartig verlassen werden. Das zu Hause ist zur Unterkunft geworden, tauglich nur zum Schlafen und Essen. Als die Eltern von Sabine Kirchner einmal längere Zeit auf den Kommissar warten, sitzen sie auf einer Bank am Ende eines langen öden Korridors. Durch den Kamerastandpunkt am extremen Ende dieses Ganges wird die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage offenkundig. Das lähmende Warten, dem Sabines Eltern ausgesetzt sind, wird konfrontiert mit dem Unterwegs-Sein aller anderen Personen. Sabine fährt ihrem Freund nach, der Autobahnmörder flieht vor der Polizei, diese wiederum ist ihm auf den Fersen und die Fernfahrer sind sowieso dauernd unterwegs. Die Reisenden aber haben kein Ziel mehr, die Fahrt ist ein Selbstzweck geworden. Die Fernfahrer kehren nach ihrer Ankunft gleich wieder um, darin ähnlich dem Zug in MENSCHEN – STÄDTE – SCHIENEN, der die Strecke München Bremerhaven zweimal täglich absolivert. Die Hoffnung, die Christine mit dem Erlebnis der Fremde verknüpft, existiert hier nicht mehr. Unheilvoll und drohend ist die Freude vielmehr geworden, die einem, wenn man nicht immer weiter flieht, das Leben nehmen wird. Die dermaßen perspektivlos gewordene Bewegung artikuliert die Kamera dadurch, dass sie nicht mehr selbst fährt, sondern vom Lastwagen aus die Fahrt nur noch registriert. Die an dem Lastwagen vorbeiziehenden Wolken und Bäume türmen sich schwarz und schwer auf, der Glanz der Sonne legt sich als Patina auf die Schwärze der Natur . Das Leben spielt sich im Dunkeln ab. „Jetzt weißt Du, wie das ist – Leben“, kommentiert der Sprecher den letzten Mordversuch an Sabine. Indem der gelähmten Psyche Leben nur über den Weg einer tödlichen Bedrohung erklärt werden kann, ist dies wohl eine der authentischen Aussagen über das Lebensgefühl der fünfziger Jahre.

Für die Filmindustrie war Pewas zu sehr Künstler und zu wenig Routinier, ein Unangepasster mit eigenen Ideen, die immer just das Gegenteil von dem ausdrückten, was erwartet wurde. Mit dem VERZAUBERTEN TAG verlegte sich Pewas in einer Zeit kraftstrotzender Großmäuligkeit und herrisch-schulterklopfender Kameraderie auf das kunstvolle Arrangement eines Blumenbouquets; in VIELE KAMEN VORBEI traktiert er den Wohlstand der fünfziger Jahre mit dem Bild ihrer seelischen Verkümmerung. Das war von Seiten Pewas sicher nicht vorsichtig artikulierte Opposition, sondern entsprach einfach seiner Natur: „Ich habe damals diese ganzen Dinge aufgenommen, vom Gefühl her verarbeitet und entsprechend arrangiert. So entstand DER VERZAUBERTE TAG. Ich habe die Dinge so genommen; wie ich sie fühlte.” Glaubt man dieser Äußerung von Pewas, dann hat er doch, bei aller Unbill, die ihm widerfahren ist, auch eine Menge Glück gehabt.

Film Korrespondenz Nr. 3, 10. März 1981