Karin Baal (1957)

Karin Baal

Das deutsche Publikum liebte in den fünfziger und sechzigern des 20. Jahrhunderts das deutsche Filmkind. Da gab es endlich wieder glaubhafte Unbefangenheit und Naivität – Eigenschaften, die den Erwachsenen durch die Kriegs- und NS-Jahre fremd geworden waren. Und als Zuschauer konnte man doppelt geniessen – zum einen das Gefühl der Überlegenheit durch Lebenserfahrung und zum anderen die Teilhabe an rührend unbefangener Hoffnung auf Glück. Besonders beliebt waren natürlich junge Mädchen wie Christine Kaufmann, die ihre erste Rolle mit sieben Jahren unter Willi Forst Im weissen Rössl spielte und 1954 unter Harald Reinls Regie zum Rosen-Resli wurde. Jutta und Isa Günther, beide Jahrgang 1938, waren 1950 Das doppelte Lottchen, die gleichaltrige Romy Schneider trat erstmals mit 15 Jahren in Hans Deppes Wenn der weiße Flieder wieder blüht auf und wurde dann ab 1955 in drei Filmen zur immerwährenden Sissi. Angelika Meissner; Jahrgang 1939, erschien erstmals mit zehn Jahren in Harald Brauns Nachtwache (1949) und wurde mit Heidi Brühl (Jahrgang 1942) als Gechwisterpaar Dick und Dalli in den Immenhof-Filmen (1955 – 57) bekannt. Produzent der Immenhof-Filme war Gero Wecker, der 1956 aus Marion Michael (Jahrgang 1940) Liane, das Mädchen aus dem Urwald schuf. Liane war barbusig, ein Skandal und ein Kassenschlager. Marion Michael und auch Vera Tschechova (Jahrgang 1940) oder Karin Baal, Inge Egger und Susanne Cramer waren keine Kinder mehr, sondern junge Frauen, was für die Produzenten und die Männer unter den Zuschauern besonders attraktiv war. Und Karin Baal war wirklich alles andere als ein Rosen Resli – Sissi ja, aber mit Ypsilon und Zigarette.
Die meisten Kinder oder Jugendlichen hatten keine Agenten oder Agentinnen; das lag unter anderem auch daran, dass die Mädchen im offenen Wettbewerb gesucht wurden. Dann veröffentlichte beispielsweise die BZ in Berlin einen Aufruf: “Wer will Filmstar werden?“ und unter einer bestimmten Adresse an einem bestimmten Tag kamen hunderte von jungen Frauen zu Probeaufnahmen. Wer dann gewählt wurde, bekam einen Filmvertrag, der sofort unterschrieben wurde. Die Tageszeitungen und Illustrierten zeigten die Bilder von jungen Frauen, die vom Glück überwältigt waren. Eine Hauptrolle im Film zu bekommen, das war so etwas wie ein Lottogewinn und versprach ein Leben in Reichtum und Luxus. Einige Jungstars hatten Eltern oder Verwandte, die sich im Show- resp. Filmgewerbe etwas auskannten. So gehörte Romy Schneider , vertreten durch Mutter Maria und Stiefvater Blatzheim, zu den glücklichen Großverdienern. Bereits für den ersten Film gab es 5.000 DM Gage, für die Sissi-Filme dann 25.000 DM und eine prozentuale Gewinnbeteiligung. Cornelia Froboess wurde durch ihren Vater vertreten, Vera Tschechowa durch ihre Mutter , die Agentin Ada Tschechova. Aber Karin Baal und Marion Michael hatten nur ihre unerfahrenen Mütter; Baal bekam einen Drei-Jahresvertrag, der auf den ersten Blick viel Geld versprach, später aber wegen Sittenwidrigkeit aufgelöst wurde. Marion Michael wurde durch einen Vertrag für sieben Jahre an Gero Weckers Arca-Film gebunden und erhielt für ihren ersten Film 1.300 DM.

Im Frühjahr 1957 diskutierte die Berliner Öffentlichkeit, ob die Kaiser-Wilhelm Gedächtniskirche abgerissen und durch einen modernen Neubau ersetzt werden sollte. Kurzfristig wurde die Diskussion durch einen „Skandal“ verdrängt, den Oswald Kolle auf die Titelseiten brachte. Karin Baal, bekannt durch die Rolle der Sissy in den Halbstarken, hatte für 400,- DM Gage eine kleine Rolle in dem Film Jede Nacht in einem anderen Bett übernommen; tatsächlich bekam sie aber nur 200,- DM, denn ihr Drei-Jahres-Vertrag mit der Interwest, der Produktionsfirma der Halbstarken, sah vor, dass sie für die Laufzeit des Vertrages bei einem Engagement durch andere Firmen die Hälfte ihrer Gage an die Interwest abzugeben habe. Natürlich war Karin Baal wütend als sie merkte, was diese Klausel bedeutete: Oswald Kolle machte daraus die Schlagzeile „Filmstar arbeitete für einen Hungerlohn“ und plauderte die Einzelheiten ihres Halbstarken-Vertrages aus. Als Gage für Die Halbstarken bekam Baal 750 DM und 36 Monate lang jeden Monat 100,- DM „Taschengeld“. Die Gage wurde mit dem Taschengeld verrechnet. Zusätzlich zahlte ihr die Interwest für zwei Jahre die Kosten einer Schauspielschule a 150,- DM im Monat.
Die 750 – DM waren bald ausgegeben und nun hatte Karin Baal, wie sie sagte, nicht einmal das Fahrgeld für die Schauspielschule.
Wenzel Luedecke, der Produzent der Halbstarken, rechnete vor. Die junge, unerfahrene Karin Baal zu engagieren, sei ein grosses Risiko gewesen. Dennoch habe man vereinbart, ihr 36 Monate 100,- DM und für zwei Jahre die Schauspielschule zu zahlen. Das seien insgesamt 7.200 DM. Für das Risiko Karin Baal zu engagieren, wolle man entschädigt werden; falls Karin Baal sich als Erfolg erweisen und von anderen Filmfirmen engagiert würde. Dafür seien 50% ihrer Gage vereinbart worden.

Dazu muss man allerdings wissen, dass die meisten Mitwirkenden an den Halbstarken Anfänger waren: Will Tremper hatte noch nie ein Drehbuch geschrieben, Georg Tressler noch nie einen Spielfilm inszeniert, Martin Böttcher noch nie die Musik für einen Spielfilm komponiert und Kameramann Heinz Pehlke war vorher noch nie allein für die Kamera verantwortlich gewesen. Keiner von ihnen wurde mit einem Taschengeld abgespeist oder verpflichtet, 50 % zukünftiger Gagen abzugeben. Nur Karin Baal warf man vor, mit ihrem Geld nicht sorgfältig genug umgegangen zu sein. Sie hätte halt sparsamer leben müssen und nicht so viel in Eisbars herumsitzen dürfen.
Oswald Kolle hatte Karin Baal mit dem Bericht keinen Gefallen getan. Der Durtchschnittslohn lag 1957 bei 190,- DM monatlich; bei Frauen war es nur die Hälfte. Karin Baal verdiente also genauso viel wie viele andere Frauen, die ihren Lohn nicht als Hungerlohn klassifiziert sehen wollten. Und niemand wollte hören, dass ein Mädchen, das mit Glück und gutem Aussehen eine Filmrolle bekommen hatte, auch unglücklich sein konnte. Das, um es mal deutlich zu sagen, gehörte sich einfach nicht. Eine junge, gerade für den Film entdeckte Schauspielerin, stand per se auf der Sonnenseite des Lebens; Alltagssorgen durfte es dort einfach nicht geben. Wer da nicht glücklich, dankbar und zufrieden war, galt als schwierig. Und bekam von seinem Filmteam zum Abschied noch einen Tritt in den Hintern. „Mit 17 Jahren vergessen“ kommentierte Will Tremper in einem Artikel zu Oswald Kolles Klage.