Carl Hoffmann: Wie ich die Nacht einfing

Nachtaufnahmen sind schon in vielen Unterhaltungsfilmen gedreht worden. Aber nur selten ist der wahre Charakter der Nachtbeleuchtung erfasst, gewahrt. In dem Film Dr. Mabuse, der Spieler haben der Regisseur Fritz Lang und ich den Eindruck gehabt, dass wir bei einem modernen Sittenbild unserer Zeit verpflichtet sind, auf die Bilder, die bei den verschiedenen Geschehnissen in den nächtlichen Straßen hergestellt werden müssen, besonderes Augenmerk auf die Entstehung der richtigen Stimmung zu richten haben. Natürlich türmten sich Schwierigkeiten rein technischer Natur vor uns auf. Durch eine Anzahl kleiner, zeitraubender Experimente, glückte es uns, alle Hemmungen aus dem Weg zu räumen.
Zunächst benötigten wir für die Nachtaufnahmen auf einer langen Großstadtstraße ein außergewöhnlich großes Atelier, da die Lichtstimmungen nur in einem geschlossenen Raume hervorgebracht und das dazu notwendige Jupiterlicht zur ruhigen Entfaltung gebracht werden konnte. Otto Hunte baute also die Straße im Atelier künstlich auf. Inzwischen machten wir Lichtstudien in richtigen Großstadtstraßen, um zunächst ein Programm für die Verteilung von Licht und Schatten aufzustellen. Dabei mussten wir berücksichtigen, dass die genaue Nuance in der Stimmung beim Ausmalen der Nacht im Glashause mit seinem überaus starken Kinolicht wesentlich größere und stärkere Lichtquellen erforderlich machte, als es im natürlichen Leben auf den nächtlichen Straßen der Fall ist.

Dr. Mabuse, der Spieler. D 1921. R: Fritz Lang – Strasse bei Nacht

Wir hingen über die Mitte des Straßendammes eine lange Reihe von Bogenlampen. Eine jede besitzt mehrere 1000 Kerzenstärke. Es handelt sich nur um normale Effektlampen. Sie gaben der Straße das langgestreckte, sich in der ferne verlierende Aussehen. Außerdem versteckten wir in den Schaufenstern die gewöhnlichen Jupiterlampen. Hinter den Gardinen und in allen möglichen Ecken lugten sie hervor und beleuchteten grell die Straße. Hier und dort sorgte eine Aufhängelampe, ebenfalls wieder mit sehr starkem Licht, für die Unterbrechung der Dunkelheit über dem düsteren Pflaster. Sonst war aber von der üblichen Hilfsbeleuchtung Abstand genommen. Auf diese Weise war das ruhige, stille Straßenbild durch diese Beleuchtungsarbeit gesichert.
Nun begann für uns die filmtechnische Wiedergabe des Lebens auf dem nächtlichen Großstadtpflaster, das Rollen, laufen, das Fahren der beleuchteten Gefährte. Wir benutzten einfache, starke Autoscheinwerfer, wie man sie im täglichen verkehr benötigt. Durch eine kleine Nachhilfe in der Glühstärke der Lampen brachten wir es fertig, dass sich diese glühenden Auto-Augen in der richtigen Weise in die anderen Effekte einfügten, dass auch durch diese Beleuchtungstricks die harmonischen Nachtbilder nicht gestört, sondern in ihrer Wirkung um Vieles verbessert wurden.

Ein Eisenbahnzug rast über die Brücke

Um diesen Photographien einen Hohepunkt zu geben, haben wir einmal einen hell erleuchteten Eisenbahnzug über die nächtliche Großstadtstraße hinwegsausen lassen. Dieses Bild dürfte wohl das erste mal in dieser Form in einem Kinematographentheater gezeigt worden sein. Ich will gern den Neugierigen ein wenig in und vor meinen Kurbelkasten blicken lassen, wenngleich es nicht meine Absicht ist, dem Publikum die Illusion zu rauben und dem Fachmann allzu deutliche Tips in seine Werkstatt zu reichen. Es sei nur darauf hingewiesen, dass man im lebenden Lichtbild auch Aufnahmen herzustellen vermag, die in Wirklichkeit viel kleiner sind als man sie später auf der Leinwand bewundern darf. Dass also die gezeigten Photographien nicht immer Originalgröße aufweisen müssen. Man soll einmal nachdenken, wie groß der vorüberfahrende Zug bei den Atelieraufnahmen wohl gewesen sein mag.
Wie bitte, Kleinkindereisenbahn? Und nachher in die Großstadtstraße eingefügt?
Nun, eine Bestätigung dieser Frage würde wieder zuviel enthüllen….

In: Film-BZ, 7. Mai 1922