Technische Filmkritik: Dr. Mabuse, der Spieler

Der jüngste Grossfilm der Decla-Bioscop (Uco-Film) verdankt seinen unbestritten großen und wohlverdienten Erfolg nicht zum wenigsten der glänzenden Technik seiner Aufnahme und Herstellung. Viele Einzelheiten fordern geradezu zur eingehenderen Betrachtung heraus.
Wer für die Technik des Films verantwortlich ist, sagt das Programm nicht; nur Carl Hoffmann, der Photograph, wird genannt. Mit seiner Leistung, die freilich von der der Beleuchtung, zum Teil auch der des Architekten nicht immer scharf zu trennen ist, sei daher begonnen.
Auch der Nichtfachmann sieht bei diesem Film sogleich, dass die Photographie ausgezeichnet ist; sie hat fast überall die richtige Schärfe, nirgends treten – wie sonst sehr oft – unliebsame Spiegelungen auf, es sei denn, man wollte die hellen Glanzlichter auf- und zugehender Türen und der Handvoll von Photographien gleich am Anfang dahin rechnen, die jedoch auf Rechnung der Beleuchtung zu setzen sind; nirgends scheinen falsche Objektive verwandt zu sein, ebenfalls im Gegensatz zu vielen anderen, auch großen Filmen, bei denen der Photograph am falschen Ort die Brennweite von 35 Millimetern benutzt hat, wodurch eine übergroße Tiefe  und starke Verkleinerung nach hinten zu entsteht. Außer den wohlgelungenen Überblendungen fällt die häufige, außerordentlich geschickte Benutzung der Vorsatzblende auf, die die Masken ersetzt; da werden etwa, wenn Dr. Mabuse beim Grafen Told als Gast weilt und die Gesellschaft mustert, nacheinander die einzelnen Köpfe eingekreist, in der Spielszene zwischen Mabuse als holländischem Professor und dem Stattsanwalt Wenk wird das Sehfeld beiderseits abgedeckt, so dass nur der Staatsanwalt sichtbar bleibt, und wenn Dr. Mabuse das Spiel mit der chinesischen Brille treibt, lässt die Vorsatzblende nur diese allein wesentliche Einzelheit frei.
Vor schwierigen Bewegungsproblemen, denen bei der Aufnahme im Spielfilm auch sonst wenig Beachtung geschenkt zu werden pflegt, hat der Photograph bei diesem Film nicht gestanden. Nur eine Einzelheit ist misslungen, allein diese Einzelheit misslingt immer und muss solange misslingen, wie die Regisseure sie dulden: sehr schnelle Bewegungen, die parallel der Bildebene erfolgen, wie das Händeklatschen, können mit der üblichen Bilderzahl nicht korrekt herauskommen, und bei schneller Vorführung, die heute die Regel ist, erscheinen alle Hände doppelt. Wenn es sich noch dazu um eine größere Anzahl klatschender Menschen handelt, wie in einem Zuschauerraum, stört dies nicht wenig.
Die Beleuchtung scheint sich z.t. an amerikanische Vorbilder gehalten zu haben. Man hat mit Licht nicht gespart, ja manchmal des Guten sogar zuviel getan. Manche Innenräume sind mustergültig ausgeleuchtet, d.h. so, dass das Licht den photographischen Bedürfnissen vollkommen gerecht wird, ohne dass der Raum zu hell oder zu dunkel im Hinblick auf seine Bestimmung erscheint. So ist die große Hotelhalle ausgezeichnet; ebenso gilt dies von dem kleinen Zimmer, wenn Georg sich wäscht. Auch die Benutzung von Staub- und Rauchwolken (wie in manchen amerikanischen Filmen) ruft treffliche Lichtwirkungen hervor, so z.B. in einzelnen Szenen in Nachtlokalen und in der Börsenszene. Stellenweise dagegen ist die Raumbeleuchtung zu reichlich, etwa in den Gefängnisszenen. Ein Gefängnis pflegt nun einmal keine festlich beleuchteten Zellen zu haben – irgendwie muss die Beleuchtung dem Rechnung tragen, auch wenn es schwer ist.
Bei der Personenbeuchtung dürfte das Hinter- und Oberlicht für manchen Geschmack stellenweise zu stark sein; wenn z.B. die Carozza und die Gräfin Told bei Mondschein in der Gefängniszelle nebeneinander stehen und ihnen der Mond ins Gesicht scheint, ist es unnatürlich, dass die Haare wegen des Ober- und Hinterlichts wie Heiligenscheine erstrahlen.

Dergleichen wirkt an sich auf manche Zuschauer sehr stark, allein es ist und bleibt unnatürlich. Und unnatürlich ist es auch, wenn Wenk am Fenster steht, den Rücken dem Fenster zugekehrt und sein Gesicht doch voll beleuchtet ist. Die Richtung des Lichts ist überhaupt ein schwieriges Kapitel; allerdings ist es manchmal unmöglich, zu einer photographisch geeigneten Beleuchtung zu gelangen, die nicht den Umständen der Spielhandlung widerspricht. Wenn z.B. Graf Told am Tische sitzt und Stücke seiner Sammlung durch die Lupe betrachtet, muss er wohl oder übel von vorn beleuchtet sein. Wenn er aber dabei die Lupe so hält, dass sie einen Lichtfleck auf seiner Brust abbildet, stört dies. Man braucht zwar keine Lupe mit einem Sammelglase zu nehmen, aber auch eine blosse Lupenfassung ohne Glas oder mit Fensterglas würde bei gleicher Haltung einen deutlichen Schatten entwerfen.
Bei den Großaufnahmen ist die Beleuchtung gelegentlich nicht befriedigend; wenn die Carozza bei Hull die Karte Wenks findet, wenn die Gräfin Told dem Spiel zusieht, dürfen die Gesichter nicht so kontrastarm sein.
Die Außenaufnahmen, d.h. die scheinbaren Außenaufnahmen, die in Wirklichkeit im Atelier gedreht sind, sind zum Teil sehr gut gelungen, photographisch wie nach der Beleuchtung, die eine Fülle von Fallstricken in sich birgt. Nur sehr aufmerksame Beobachter – von den Fachleuten im engsten Sinne natürlich abgesehen – weeden bei solchen Bildern von vornherein wissen, ob es echte Außenaufnehman oder Atelierbilder sind. Wenn allerdings Straßenlaternen waagerechte Schatten werfen, die deutlich sichtbar sind, erkennt man solche (Tag-)Aufnahmen als gestellt, ganz wie man bei Hanneles Himmelfahrt (D 1922; R: Urban Gad), wo die Terra das gleiche Verfahren angewandt hat, durch die Schatten sogleich auf die Aufnahmetechnik aufmerksam wird.
Die Nachtaufnahmen sind gegenüber dem, was man früher regelmäßig zu sehen bekam, eine wahre Erquickung. Vormals half man sich, indem man das „Nachtbild“ blau viragierte, auch wenn etwa in einer nächtlichen Gartenszene hinten die Hühner fröhlich herumliefen. Noch im Mann ohne Namen (D 1920; R: Georg Jacoby), einem Film, der technisch gewiss zu den besten gehört, ist eine Nachtszene in Italien vorhanden, auf der man auch ohne genaueres Zusehen im Hintergrunde sogleich den für die Nacht überstarken Verkehr auf dem Wasser bemerkt. Für die Filmaufnahme ist bei Nachtszenen das Wesentliche, dass der Vordergrund photographisch deutlich herauskommt, dass aber in der Tiefe das Licht sehr schnell abnimmt, denn bei Nacht hat das menschliche Auge keine Fernsicht. Das ist im Dr. Mabuse hervorragend gut herausgebracht. Nur selten beeinträchtigt die Richtung des Lichts die Wirkung, etwa in der Mordszene, wo das Licht für den Mörder, der im Hause in die Höhe klettert, genau waagerecht von der Seite kommt, und nur in Ausnahmefällen stört die Unruhe des etwas hin- und hergehenden Scheinwerferlichts, wie in einer Szene, die vor dem Eingang des Hauses in der Haydnstrasse spielt.
Die Nachtszenen mit Effektbeleuchtungen, das Vorüberfahren der Hochbahn, die bis in die Tiefe führende Laternenreihe, das Aufblitzen des Lichts während der Autofahrt sind Leistungen, die, wenigstens in Deutschland, bisher nicht erreicht worden sind. Ob die Amerikaner, wie behauptet wird, solche Wirkungen besser herausgeholt haben, lässt sich nicht beurteilen. beim ersten Male dürften auch sie aber schwerlich einen schöneren Erfolg erzielt haben.
Ein beliebter Lichteffekt, das Einschalten von Lampen, die dem Anzünden oder Einschalten von Lampen in der Handlung entsprechen, wurde früher auch durch Viragewechsel hervorgerufen. Neuerdings schaltet man bei der Aufnahme wirklich Licht ein oder gibt die starke Zusatzbeleuchtung irgendwie anders frei. Dr. Mabuse betritt das „runde Zimmer“, sieht einen Augenblick den halbhellen Raum und dreht dann den Schalter. Eas ist schade, dass diese optisch sehr wirksame Szene nicht ganz einwandfrei herausgekommen ist. Augenscheinlich haben die Zusatzlampen nicht sogleich gezündet oder die Kohlen waren nicht richtig eingebrannt.
Die Gefängnisszene bei Mondschein, mit der die Erörterung der Beleuchtung beendet sein möge, zeigt, wie der vom Mondlicht an die Wand geworfene Schatten des vergitterten Fensters von einer Seite zur anderen wandert; stimmungsvoll, und zugleich das beste Mittel, um anzudeuten, dass es sich um ein langes Gespräch handelt. Warum aber, wenn man einen so schönen Einfall hat, warum aber sieht der Leiter nicht vorher in einem Lehrbuche der Astronomie nach, wie sich der Mond bei uns zu bewegen pflegt? Der Schatten wandert in der vorgeführten Szenenfolge von rechts nach links durchs Bild anstatt umgekehrt! Nun, derjenige, der hierfür verantwortlich ist, mag sich damit trösten, dass er sich in bester Gesellschaft befindet, denn Walter Scott lässt in einem seiner Romane sogar die Sonne im Osten untergehen!
Die einkopierten Trickbilder, die Visitenkarte und der Kopf Dr. Mabuses, sind so gut oder so schlecht gelungen, wie sie mit den besten beschaffbaren Einrichtungen eben geraten können; die beiden Bilder schwingen ganz schwach, aber doch noch wahrnehmbar gegeneinander auf und ab. Andere Trickaufnahmen sind bei der Herstellung  ausgezeichnet herausgekommen, z.B. in der Szene,  wo Wenk dem Dr. Mabuse beim Spiel gegenübersitzt, das Verschwimmen der Umgebung, bis der Kopf allein sichtbar bleibt und nun immer grösser wird.
Schließlich sind noch die Titel zu erwähnen. Sie sind anscheinend mit grosser Liebe hergestellt; nur der Rolltitel am Anfang ist nicht restlos befriedigend, denn die Bewegung erfogt ruckweise. Die schöne Schrift dürfte wahrscheinlich manchem Zuschauer zu schwierig sein. Buchstaben mit solchen Oberlängen erfordern das Vorhandensein reichlichen Zwischenraums zwischen den Zeilen. Es kommen aber sogar Durchschneidungen der Buchstaben benachbarter Zeilen vor. Beim Festlegen der Titeltexte ist man sehr gründlich vorgegangen. An einer Stelle kommt, am Ende eines Titels, innerhalb direkter Rede ein Zitat vor. Man kann lange suchen, bis man in einem anderen Film an solcher Stelle das doppelte Anführungszeichen vorfindet, wie ee durchaus richtig ist.
Die Kopie ist einwandfrei; dass sie etwas zu rasch vorgeführt wird, lässt sich wegen der Länge des Films wahrscheinlich nicht ändern. Darauf, dass keine bunten Viragen angewandt sind, hat die Deutsche Bioscop selbst bereits hingewiesen.  Bei diesem Film ist die Schwarz/Weiss-Wirkung durchaus angenehm. Daraus folgt aber nicht, dass man nun künftig alle Filme ohne farbige Viragen lassen soll.
H.P. , das ist Hans Pander, in: Film-Kurier, 5. Mai 1922