Archiv der Kategorie: Namen

Karin Baal (1957)

Karin Baal

Das deutsche Publikum liebte in den fünfziger und sechzigern des 20. Jahrhunderts das deutsche Filmkind. Da gab es endlich wieder glaubhafte Unbefangenheit und Naivität – Eigenschaften, die den Erwachsenen durch die Kriegs- und NS-Jahre fremd geworden waren. Und als Zuschauer konnte man doppelt geniessen – zum einen das Gefühl der Überlegenheit durch Lebenserfahrung und zum anderen die Teilhabe an rührend unbefangener Hoffnung auf Glück. Besonders beliebt waren natürlich junge Mädchen wie Christine Kaufmann, die ihre erste Rolle mit sieben Jahren unter Willi Forst Im weissen Rössl spielte und 1954 unter Harald Reinls Regie zum Rosen-Resli wurde. Jutta und Isa Günther, beide Jahrgang 1938, waren 1950 Das doppelte Lottchen, die gleichaltrige Romy Schneider trat erstmals mit 15 Jahren in Hans Deppes Wenn der weiße Flieder wieder blüht auf und wurde dann ab 1955 in drei Filmen zur immerwährenden Sissi. Angelika Meissner; Jahrgang 1939, erschien erstmals mit zehn Jahren in Harald Brauns Nachtwache (1949) und wurde mit Heidi Brühl (Jahrgang 1942) als Gechwisterpaar Dick und Dalli in den Immenhof-Filmen (1955 – 57) bekannt. Produzent der Immenhof-Filme war Gero Wecker, der 1956 aus Marion Michael (Jahrgang 1940) Liane, das Mädchen aus dem Urwald schuf. Liane war barbusig, ein Skandal und ein Kassenschlager. Marion Michael und auch Vera Tschechova (Jahrgang 1940) oder Karin Baal, Inge Egger und Susanne Cramer waren keine Kinder mehr, sondern junge Frauen, was für die Produzenten und die Männer unter den Zuschauern besonders attraktiv war. Und Karin Baal war wirklich alles andere als ein Rosen Resli – Sissi ja, aber mit Ypsilon und Zigarette.
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Erklärung der Interwest (1957)

Erklärung der Interwest-Film
Karin Blauermel, 15jährig, Schülerin einer privaten Mal- und Modezeichenschule, bewarb sich bei uns um die Rolle der Sissy in dem Film Die Halbstarken. Sie war der Typ, den wir suchten, und wir engagierten sie. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir nicht, ob sie die Begabung, die Zielstrebigkeit und den Ernst zu einer wirklichen Karriere in sich hatte, Wir wussten auch nicht, ob sie die Rolle bewältigen würde und ob eventuell eine Umbesetzung während der Dreharbeiten notwendig werden würde. In dieser ungewissen Situation mussten wir eine finanzielle Regelung mit Karin Blauermel, genannt Baal, treffen. Folgende Gesichtspunkte waren für uns bei der Vertragsabfassung bestimmend:
1) Wenn Karin versagt, wollten wir keinen zu großen finanziellen Verlust haben.
2) Wenn Karin sich als großes Talent beweist, wollten wir für das Risiko, welches wir zweifellos mit dem Engagement eingegangen sind, entschädigt werden.
3) Wir wollten aber auch Karin ein Gefühl der Sicherheit für die kommenden Jahre der Berufsausbildung geben. Wir lösten sie aus der Mal- und Modezeichenschule aus, bei der sie einige hundert Mark Schulden hatte, und verpflichteten uns innerhalb eines Drei-Jahres-Vertrages mindestens 7200 DM an Karin Baal zu zahlen – auch dann, wenn sie am ersten Drehtag versagen würde, nämlich 36 Monate Taschengeld à 100 DM 3600 DM, 2 Jahre Schauspielschule à 150 DM mtl. = 3600 DM, insgesamt 7200 DM.

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Peter Pewas

Der folgende Beitrag über Peter Pewas stammt aus dem Jahr 1981. Natürlich war ich versucht, einige Passagen umzuformulieren, aber ich habe im Wesentlichen den Text so belassen wie er erschienen ist. Die wörtlichen Zitate stammen aus einem Interview, das Hans Michael Bock und ich mit Peter Pewas gemacht hatten.

Der Filmregisseur Peter Pewas, Jahrgang 1904, hat zwischen 1939 und 1971 drei lange Spielfilme und siebzehn Kurzfilme gedreht – so die offizielle Version. An zwei weiteren langen Filmen hat er entscheidend mitgearbeitet, ohne für die Endmontage verantwortlich zu sein; bei einigen wenigen Kurzfilmen wird seine Mitarbeit vermutet, lässt sich aber nicht nachweisen. Für 30 Jahre Arbeit im Film ist das ein relativ kleines, bestimmt nicht homogenes Werk. Im Rahmen der Berlinale 1981 wurden drei Kurzfilme von Peter Pewas (Jahrgang 1904):EINE STUNDE (1940/41), MENSCHEN – STÄDTE – SCHIENEN (1949), DER NACKTE MORGEN (1956) und zwei Langfilme gezeigt – DER VERZAUBERTE TAG (1943/44) und VIELE KAMEN VORBEI (1956); durchaus treffend lief das Programm unter dem Titel „Hommage für Peter Pewas”. „Als der Krieg zu Ende war, hatte ich als junger Regisseur diese große Belastung im Nacken – und die verfolgte mich leider jahrelang –, dass ich keinen Film vorzuweisen hatte. DER VERZAUBERTE TAG war ja von den Nazis verboten worden und schien damit verloren. Ich hatte nur den Ruf, ein besonderer, aber auch ein besonders schwieriger Mann zu sein. Mit dieser Belastung ging ich in die Zukunft hinein, und dann hatte mich die Filmkrise Anfang der fünfziger Jahre am Wickel. Ich musste jede Arbeit annehmen, die sich mir anbot. Da griff ich hier zu und hier zu und verlor damit meine eigentliche Linie. Ich hatte einfach nicht das Vermögen und die Cleverness, in dieser kommerziellen Industrie mich durchzusetzen.“ Die Auswahl in Berlin zeigte, daß Pewas Selbsteinschätzung nicht ganz richtig ist. Sehr wohl zeigte sich eine eigene Linie, wenn auch nicht da, wo Pewas sie gern gesehen hätte. „Meine Bildermacherei – das ist meine Stärke und gleichzeitig meine Schwäche, weil ich von der Form aus jede Sache so auflösen wollte, daß sie interessant wird. Leider vergaß ich oft, den inneren Gehalt zu berücksichtigen. So bin ich auch auf das Drehbuch von VIELE KAMEN VORBEI hereingefallen.” Was Pewas den inneren Gehalt nennt, ist das, was vor den Bildern liegt – das Literarische, das Drehbuch. Eben da hätte er gerne eine eigene Linie gehabt; ein Projekt, das er in diesem Zusammenhang immer wieder erwähnt, war der Kindermörderfilm. „Das Buch sollte mir einmal den Durchbruch bringen. Ich hatte die Absicht, mich selbständig zu machen und suchte nach einem Thema, mit dem man die Öffentlichkeit ansprechen kann. In Berlin lernte ich damals, nach STRASSENBEKANNTSCHAFT, Klaus Kinski kennen; er war ein ernsthafter, zwar verrückter, aber hinreißender Schauspieler. Für ihn entwickelte ich das Kindermörder Thema. Das sollte nicht nur ein Krimi, sondern ein Bild der ganzen Nachkriegszeit werden. Wohl gab es im Stoff spannende Momente, aber uns ging es darum, an einem Menschen exemplarisch die psychologischen Auswirkungen der Kriegserlebnisse vorzuführen. Wir wollten zeigen, wie dieser Mensch durch die Erfahrungen der Kriegs- und Nachkriegsjahre zerstört wurde. Irgendwann sagt er, er wolle ein Kind schützen und aus dieser Absicht kommt er in Verbindung mit seiner Psyche dazu, das Kind so zu drücken, bis es auf einmal tot ist.“

Das Projekt zerschlug sich, wohl auch, weil das Buch die Zeit wider den Strich aufbereitete. Seine Bilder taten das auch, aber das sah man erst dann, wenn der Film fertig war. Die eigene Linie wird nur klar aus den Bildern, aus der Bewegung innerhalb der Bilder und ihrer Beziehung zueinander.
Was er nicht zu Papier bringen konnte, spricht er mittels der Kamera aus. – Pewas Filme erzählen von der Suche nach einem imaginären Zuhause; die Bilder der Wohnungen, der Straßen und Restaurants erzählen von der Abwesenheit dieses Ortes. Die Geschichte der Räume, in denen sich seine Personen bewegen, scheinen mit ihrer ständigen Präsenz deren Zukunft zu determinieren. Zentrale Motive bei Pewas sind Verlassen, Aufbruch, Unterwegs-Sein, die Suche und deren Vergeblichkeit, aber auch die Unmöglichkeit der Rückkehr. In seinem ersten Kurzspielfilm EINE STUNDE bildet ein Restaurant den zentralen Set; die Ereignisse, die sich darin abspielen, sind aber nur sekundärer Natur, Folgeerscheinungen von Begebenheiten, die sich außerhalb abspielen. EINE STUNDE beginnt mit einer langen Kamerafahrt durch das Lokal, so kontinuierlich, daß ich darauf gefaßt war, am anderen Ende des Lokals durch eine Tür mit der Kamera wieder herauszutreten. Dies ist kein Ort zum Verweilen. Ein Mann kommt nach langer Abwesenheit nach Hause, um seine Mutter zu bestehlen; seine Geliebte, die im Lokal auf ihn wartet, hat ihn dazu überredet. Die Mutter überrascht ihren Sohn, der macht seinen Frieden mit ihr und will nun zu Hause bleiben; der reuige Deserteuer aber wird gleich von der Polizei abgeholt. In EINE STUNDE ist schon etwas von dem Fatalismus zu spüren, der den VERZAUBERTEN TAG entscheidend prägt. In beiden Filmen befinden sich die Hauptpersonen in einer ausweglosen Situation. Das Glück, was sie zu Hause nicht finden, suchen sie in der Fremde. Dafür werden sie gleich doppelt bestraft; durch die Enttäuschung ihrer Hoffnung auf Glück, und bei ihrer Rückkehr mit der Strafe für den Zweifel.

Im VERZAUBERTEN TAG spricht der Off-Erzähler gleich am Anfang von einem „schicksalhaften Verhängnis“, das Christines (Winnie Markus) Leben bestimmt hat. Der Kunstmaler Albrecht Götz (Hans Stüwe), mit dem sie ein Abenteuer erlebt hat, nimmt von der auf einer Bahre liegenden Christine einen Brief entgegen. Darin steht: „Das Schicksal hat mich zum Narren gehalten.” Die dermaßen bestrafte Eigenwilligkeit aber wird vorher als der einzige Ausweg dargestellt, dem schlimmen Los auswegloser Zukunft zu entgehen. Die Bilder sprechen im VERZAUBERTEN TAG eine andere Sprache. Keine Lähmung oder Erstarrung drücken sich in ihnen aus, sondern Bewegung und die Hoffnung auf eine Bewegung im Leben. „Es muss etwas anderes geben”, sagt Christine angesichts eines Lebens mit dem spießigen Angestellten Krummholz. Was sie sucht, ist der Traum vom Leben. Und als sie den Kunstmaler das erste Mal im Zugfenster sieht, steigen um ihn herum Dämpfe auf, als sei der Traum mittels Zauberei aus dem Bereich der Wünsche in den der Wirklichkeit eingetreten. Christine arbeitet in einem Bahnhofskiosk; mit der Ankunft und Abfahrt der Züge ist jene Sehnsucht nach „etwas anderem” motivisch verknüft. Das andere ist die Fremde; als sie auch dort kein Glück findet, sondern eine Enttäuschung erlebt, wechseln die Züge und Schienen ihre Bedeutung. Auf einer Bahnbrücke stehend blickt sie zu ihnen hinunter wie in eine Drachenhöhle, die erfüllt ist von giftigen Nebelschwaden. Die Schauplätze stehen bei Pewas ebenso für soziale Verhältnisse wie für die Gemütsverfassungen der Personen. Anhand der Küchenszene im VERZAUBERTEN TAG spricht er von einem „glücklichen“ und einem dunklen Raum. Gleichzeitig prägen die Wohnverhältnisse auch das Handeln der Beobachter, da es ihr Ziel ist, aus ihnen herauszukommen. Keiner bleibt, was er war und für wen man ihn gehalten hat. Christine wohnt bei ihrer Mutter, Anni zur Untermiete; Christines Zukunft ist gesichert, sie hat einen festen Job und einen Verlobten, der auf die Einrichtung einer neuen Wohnung spart. Anni gibt nur vor, einen Verlobten zu haben, erlebt ein Abenteuer mit einem Heiratsschwindler und landet schließlich in den Armen des biederen Bahnhofsvorstehers, an dessen Brust sie seufzt: „Versorgt sein, das wär‘ was!“ Für Christine dagegen ist das Versorgtsein keine Perspektive, sondern würde das Ende ihres Lebens bedeuten. Für das Wagnis des Abenteuers wirft sie das alles hin. Der spießige Kleinbürger schließlich ändert seine Haltung so schnell wie ein Chamäleon die Farbe; vom knickrigen Buchhalter bis zum Affekt-Mörder durchlebt er alle Phasen wildgewordener Mickerigkeit.

Die Bewegung, auf der inhaltlichen Ebene als Umkehrprozeß präsent, definiert die Kamera vor allem als horizontale Fahrten im Raum. Sie umkreist die Gegenstände und Personen, fährt auf sie zu, hält sich an ihnen fest und löst sich wieder, ohne dass ein Schnitt ihre Fahrt unterbrechen würde. In den Dialogen zwischen Christine und ihrem Kunstmaler schwingt die Kamera zwischen den beiden hin und her und setzt so die Spannung ihrer Gefühle in Tanz um. Mit Interieur der Räume beschreibt die Kamera jenseits von atmosphärischer Stimmungsmalerei Handlungen und Charakter der Personen; so zeigt Pewas in der zentralen Liebeszene nur ein Zimmer mit amourösen Bildern, bevor er in den Nebenraum fährt und eine sich öffnende Hand ins Bild kommt. Die vertikale Bewegung ist fast ausschließlich für die Charakterisierung des Buchhalter Krummholz reserviert; aus dem Direktionszimmer kommend ist er – von oben aufgenommen — nichts als ein kleiner Winzling. Beim Durchschreiten der Büroräume, vorbei an den Tischen der Angestellten, fährt die Kamera hinunter, bis sie schließlich in Kniehöhe zu ihm aufschaut: seiner Herrlichkeit, dem Spießbürger, der sich vor Freude knitternd die Hände reibt. Dokumentiert die horizontale Bewegung der Kamera das Einverständnis mit Suche und Rastlosigkeit, so desavouiert die vertikale den, der es sich in seiner Starrheit gemütlich machen will.

Wohnräume: Stationen auf der Flucht In VIELE KAMEN VORBEI sind die Wohnräume nur mehr Stationen, die fluchtartig verlassen werden. Das zu Hause ist zur Unterkunft geworden, tauglich nur zum Schlafen und Essen. Als die Eltern von Sabine Kirchner einmal längere Zeit auf den Kommissar warten, sitzen sie auf einer Bank am Ende eines langen öden Korridors. Durch den Kamerastandpunkt am extremen Ende dieses Ganges wird die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage offenkundig. Das lähmende Warten, dem Sabines Eltern ausgesetzt sind, wird konfrontiert mit dem Unterwegs-Sein aller anderen Personen. Sabine fährt ihrem Freund nach, der Autobahnmörder flieht vor der Polizei, diese wiederum ist ihm auf den Fersen und die Fernfahrer sind sowieso dauernd unterwegs. Die Reisenden aber haben kein Ziel mehr, die Fahrt ist ein Selbstzweck geworden. Die Fernfahrer kehren nach ihrer Ankunft gleich wieder um, darin ähnlich dem Zug in MENSCHEN – STÄDTE – SCHIENEN, der die Strecke München Bremerhaven zweimal täglich absolivert. Die Hoffnung, die Christine mit dem Erlebnis der Fremde verknüpft, existiert hier nicht mehr. Unheilvoll und drohend ist die Freude vielmehr geworden, die einem, wenn man nicht immer weiter flieht, das Leben nehmen wird. Die dermaßen perspektivlos gewordene Bewegung artikuliert die Kamera dadurch, dass sie nicht mehr selbst fährt, sondern vom Lastwagen aus die Fahrt nur noch registriert. Die an dem Lastwagen vorbeiziehenden Wolken und Bäume türmen sich schwarz und schwer auf, der Glanz der Sonne legt sich als Patina auf die Schwärze der Natur . Das Leben spielt sich im Dunkeln ab. „Jetzt weißt Du, wie das ist – Leben“, kommentiert der Sprecher den letzten Mordversuch an Sabine. Indem der gelähmten Psyche Leben nur über den Weg einer tödlichen Bedrohung erklärt werden kann, ist dies wohl eine der authentischen Aussagen über das Lebensgefühl der fünfziger Jahre.

Für die Filmindustrie war Pewas zu sehr Künstler und zu wenig Routinier, ein Unangepasster mit eigenen Ideen, die immer just das Gegenteil von dem ausdrückten, was erwartet wurde. Mit dem VERZAUBERTEN TAG verlegte sich Pewas in einer Zeit kraftstrotzender Großmäuligkeit und herrisch-schulterklopfender Kameraderie auf das kunstvolle Arrangement eines Blumenbouquets; in VIELE KAMEN VORBEI traktiert er den Wohlstand der fünfziger Jahre mit dem Bild ihrer seelischen Verkümmerung. Das war von Seiten Pewas sicher nicht vorsichtig artikulierte Opposition, sondern entsprach einfach seiner Natur: „Ich habe damals diese ganzen Dinge aufgenommen, vom Gefühl her verarbeitet und entsprechend arrangiert. So entstand DER VERZAUBERTE TAG. Ich habe die Dinge so genommen; wie ich sie fühlte.” Glaubt man dieser Äußerung von Pewas, dann hat er doch, bei aller Unbill, die ihm widerfahren ist, auch eine Menge Glück gehabt.

Film Korrespondenz Nr. 3, 10. März 1981

 

 

 

Auf Wiedersehen, Freund Oscar Martay

Oscar Martay kehrte 1953 offiziell wieder nach Berlin zurück und heiratete 1955 Renate Barken, die sich fortan Ingeborg Martay nannte. Ab 1957 arbeitete er als Produktionsleiter in der Firma seiner Frau, der Zenit-Film Ingeborg Martay. Er starb am 31. Oktober 1995 und ist auf dem Waldfriedhof Zehlendorf beerdigt.
Die Zeiten, da man in Berlin von „Der Besatzungsmacht“ sprach, scheinen fast in grauer Ferne zu liegen. Denn in dieser vorgeschobenen Bastion der Westlichen Welt, in der Insel Berlin, gab es nur den einen gegenseitigen Wunsch: Sich helfen und ergänzen. – Nun verlässt uns wieder einer unserer Freunde, ein Stück Berlin, der gern eingesteht, dass er sich nach seiner fünfjährigen Berlinarbeit selbst als Berliner fühlt, ein Mann, der trotz seiner Jugendlichkeit von der Verantwortung wusste, die einem Filmdelegierten der westlichen Welt hinter dem Eisernen Vorhang oblag. Neben der umfangreichen Alltagsarbeit waren es drel große Werke, die Martays Initiative oder zumindest Mitinitiative zu verdanken waren: Die Schaffung der “Grenztheater“, deren Vorhandensein der Bevölkerung des Ostens ihre seelische Not lindern half. 3,5 Millionen Ostbesucher haben in den achtzehn Monaten des Bestehens der Berliner „Grenztheater“ bisher Filme westlicher Welt gesehen. Zum Preise von DM-West 0,25, das ist etwas über eine DM-Ost. Der Erfolg: Die notleidenden Westberliner Kinos, die durch das beträchtliche Kursgefälle in ihrer Existenz bedroht waren, konnten sich über Wasser halten; und eine noch schönere Wirkung: Die Ostbewohner wurden in die westlichen Theater gezogen – die östlichen Kinos dagegen blieben leerer und leerer. Das zweite große Werk ist die Mitarbeit und Mitorganisation der „Berliner Filmfestspiele“, bei deren Vorbereltung und Durchführung 1951 Martay Tag und Nacht zu finden war. Martay nannte uns viele Namen der Helfer, denen er danken möchte: So die Verleiher Urban, Büttner und Bünger, die in selbstloser Weise die ersten Kopien für die „Grenztheater“-Vorstellungen zur Verfügung stellten; so die Theaterbesitzer Foss und Frau Knubben, die als Pioniere der „Grenztheater“-Idee anzusehen sind; so Kurt Tuntsch und K. J. Fritzsche, die erstmals eine Waldbühnenvorstellung für Ostbesucher mit dem Dritten Mann ermöglichten; so Dr. Alfred Bauer, der sich ohne Schonung seiner eigenen Gesundheit für die Idee der Filmfestspiele eingesetzt hatte. Und drittens ist es Martay wesentlich mitzuverdanken, daß die notleidende Berliner Filmindustrie einen beträchtlichen Teil der Synchronaufträge der amerikanischen Firmen erhielt.

Was war Ihr schönstes Erlebnis während der Berliner Zeit? fragen wir. Der ungeheure Erfolg der ersten Grenzvorstellungen während der kommunistischen Ostberliner „Weltjugendfestspiele“ 1951, antwortet Martay prompt. – Nun wird er zu seiner amerikanischen Dienststelle, die Carl Winston leitet, nach Frankfurt am Main fahren. “Aber“, setzt er hinzu, „ich werde so oft wie möglich in Berlin sein.“ Das versteht sich, denn Martays Bindung an Berlin besitzt noch eine zweite Knüpfung: Er ist mit der charmanten jungen Berliner Schauspielerin Renate Barken verlobt.

Filmblätter, Berlin, Nr. 13, 28.3. 1952

 

 

Cornell Borchers für The Big Lift (1949)

Cornell Borchers und Montgomery Clift in The Big Lift

„Wie es Berlin während der Blockade erging, soll unser Film A quarter City (Die gevierteilte Stadt) zeigen“, sagte George Seaton, der Regisseur dieses 20th-Century-Fox-Films bei einem Presseempfang am 20. Juli in Berlin. Der Film soll auch, wie Mr. Seaton weiter erklärte, den Amerikanern Antworten auf viele Fragen geben, die die Luftbrücke und die Luftversorgung Berlins mit Lebensmitteln betreffen. Das Drehbuch sei jetzt noch nicht einmal ganz fertig, noch immer werde daran gearbeitet: aus diesem Grunde erklärt sich auch die Umbesetzung der weiblichen Hauptrolle. „Hildegard Knef passte nicht mehr in die Rolle“, sagte Mr. Seaton weiter. Bei Probeaufnahmen erwies sich Cornell Borchers als geeigneter, sie wird nun diese Rolle eines deutschen Mädchens in A quarter City übernehmen. „Cornell Borchers‘ darstellerisches Vermögen sagte uns so zu, dass wir mit ihr einen Sieben-Jahres-Vertrag abschlossen.“ Wie „DER neue FILM“ bereits melden konnte, ist Hildegard Knef inzwischen nach Hollywood zurückgekehrt. Finanziell entstehen ihr, wie unserem Korrespondenten mitgeteilt wurde, keinerlei Nachteile, da der Vertrag mit der 20th-Century-Fox bestehen bleibt.
Die Aufnahmen zu diesem Film beginnen am 1. August im Tempelhofer Filmstudio. Außer den beiden amerikanischen Darstellern Montgomery Cliff und Paul Douglas werden ausschließlich nur deutsche Schauspieler und Schauspielerinnen mitwirken. Mr. Seaton, dessen Oscar-preisgekrönter Film ,Wunder von Manhattan [Miracle on 34th Street. USA 1947¨] im Anschluß an den Presseempfang im Berliner MPEA-Haus gezeigt wurde, bestätigte ferner die Übernahme einer weiteren Hauptrolle durch Bruni Löbel, die zur Zeit in dem CCC.-Film ,,Glückliche Ehe“ [gemeint ist Man spielt nicht mit der Liebe. R:Hans Deppe] arbeitet.

Der neue Film, Nr. 21, 30.07.1949,

Walter Ruttmann: Mein neuer Film (1926)

Der Film soll rentieren. Das heißt: Er soll nicht nur einer Gemeinde auserlesener, sondern vielen, sehr vielen, am liebsten allen gefallen. Diese Forderung hat durchaus nicht nur geschäftliche, sondern vor allen Dingen kulturelle Bedeutung. Denn nach Jahrhunderten, in denen künstlerische Interessen immer mehr zu Vereinsangelegenheiten verkümmerten, ist plötzlich durch den Film wieder ein Instrument auf die Welt gekommen, das zu Allen spricht und überall Resonanz findet. Gerade aus diesem Grunde wird natürlich bezweifelt, dass der Film Kunst sei. Denn man hat sich daran gewöhnt zu glauben, dass „Kunst“ ein Ding ist, das nur für wenige, besonders dazu geschulte existiere. Aber es ist Kunst. Natürlich nicht in all seinen Erzeugnissen; aber er kann es sein und wird es vor allen Dingen sein – nicht zuletzt deshalb, weil er sich an alle wendet.
Es wirkt vermutlich überraschend, dass gerade ich diese Popularität und Allgemeinverständlichkeit des Films propagiere, der ich mit meinen stofflosen „absoluten“ Filmen Dinge schuf, die zwar alle in Erregung versetzen, aber vorläufig nur von einem Teil des Publikums ganz einfach genossen werden, und die dadurch scheinbar außerhalb der normalen Entwicklung des Films stehen. Scheinbar! Denn gerade diese ganz konsequente Betonung der rhythmischen und dynamischen Gesetzmäßigkeiten des Films, wie sie einst in meinen „absoluten“ Lichtspielen geschah, beginnt nun bereits, als selbstverständliches Erfordernis in die allgemeine filmische Gestaltung einzugehen. Regisseure versichern mir heute, dass sie den filmischen Kontrapunkt , den ich aufstellte, gründlich verdaut und dauernd in ihrer Weise verwendet haben.
Als ich vor vielen Jahren in der Erkenntnis, dass der Film die Kunst unserer Zeit ist, meine ganze Arbeit auf den Film konzentrierte, bestand im Rahmen der Industrie noch keine Möglichkeit, ohne unerträgliche Kompromisse reine Filmsprache zu sprechen. Ich ging also meinen Weg für mich allein. Denn es war mir wichtiger, eine einfache Melodie richtig zu spielen, als gigantische Symphonien zu pfuschen. Heute aber wird mir die Bestätigung, dass mein Weg richtig war. Die Europäische Fox-Produktion stellt mich vor die Aufgabe, an einem großen, rein „stofflichen“ Film die Lebensfähigkeit meiner Film-Anschauungen zu beweisen. Mit Freuden gehe ich an diese Arbeit, die mir endlich die Möglichkeit schafft, zu allen zu sprechen.
Im Gegensatz zu meinen bisherigen Filmen, in denen ich reine ornamentale Formen in Bewegung setzte, werden hier die jedem bekannten Dinge unserer Umwelt zu dramatischem Ablauf tzusammengeballt und ergeben in ihrem Querschnitt – ohne Bindung an eine theatermäßige Handlung – die Symphonie der Großstadt.

In: BZ am Mittag, 9. Juli 1926. Nr. 185, Film-BZ Nr. 53
Dank an Jean-Paul Goergen

Robert Herlth: Ausgestaltung und Ausstattung (1960)

Anmerkungen zur Problematik der Filmarchitektur (1960)

Filmarchitektur vor vierzig Jahren, das war etwas ganz anderes als Filmarchitektur heute. Daran ist nicht nur das künstlerische Stilgefühl schuld, das sich mit der Zeit wandelt, auch die Entwicklung des technischen Apparates trug dazu bei, neben ihr leider manche laienhafte Vorstellung, die unter Autoren und anderen am Zustandekommen des Films Beteiligten mitunter herrscht. So kommt es, dass die kulturgeschichtlichen Stilformen durch die Ausdrucksformen des Films mitunter recht gewaltsam verändert werden.

Wie sah es denn vor vierzig und fünfzig Jahren aus? In den Säuglingsjahren des Kintopps hatte man zum Beispiel dem Theater die Kulissentechnik abgesehen. Nahezu alles Dekor pinselte man auf Leinwand und hängt es großflächig im Atelier auf. So arbeitete man auch noch während des ersten Weltkrieges, aber nicht etwa, weil den Leuten nichts Besseres einfiel, sondern weil die primitiven, noch zu ebener Erde stehenden Kohlenfadenlampen sonst gespenstisch irritierende Schatten auf die räumlich hintereinander stehenden Kulissen geworfen hätten. Deshalb waren Filmarchitekten seinerzeit auch nicht von Haus aus Architekten, sondern Kunstmaler, Expressionisten. Sie machten in diesen künstlerisch bewegten Nachkriegsjahren expressionistische Dekors zu einem wesentlichen Element der filmischen Bildsprache. Der Höhepunkt dieser Entwicklung lag 1920 in dem Film Das Kabinett des Dr. Caligari, dessen mystisch-skurrile Handlung durch abstrakt gemalte Kulissen, schiefe Wände und verrissene Perspektiven charakterisiert wurde.

1923 änderte sich das schlagartig. Der Produzent Erich Pommer gab uns Zeit und Geld genug, während der Dreharbeiten zu dem Murnau-Film Der letzte Mann ein volles Jahr lang zu experimentieren. So erfanden wir tausenderlei, unter anderem den Kamerakran und die Beleuchterbrücke, die, hoch in den Lüften schwebend, von der Atelierdecke herab hing und die Lichtfluten in Kulissenschluchten strahlen ließ. Nun konnten wir der Szenerie durch eine Vielfalt von Möbeln und Requisiten plastische Tiefen verleihen. Trotzdem wurde bei Murnau alles Dekor bis zum Einfachsten stilisiert. Im Gegensatz zu den heutigen Ausstattungsorgien duldete er kein Requisit, dem nicht eine dramaturgische Funktion zukam. Im Tartuffewwaren die Rokoko-Dekorationen für ihn keinesfalls Staffage, sondern optisches Symbol für das Lebensgefühl des Menschen jener Zeit. Im Faustfilm mit Emil Jannings begannen wir 1926 erstmalig, nicht nur mit dem Pinsel, sondern auch mit dem Licht der Scheinwerfer zu malen. Um die richtige Atmosphäre zu zaubern, wurde jede Kameraeinstellung zwei Stunden lang ausgeleuchtet – eine Kunst, die heute fast in Vergessenheit geraten ist.

Mit den monströsen Ausstattungsschinken begann schon wenig später die Verwilderung der Filmarchitektur, Bei Quo Vadis (Italien 1924/25; R: Gabriellino d’Annunzio, Georg Jacoby) kann man von Stil gar nicht mehr reden. Für die Zehn Gebote (The ten commandements. USA 1925; R: Cecil B. deMille) ließ Cecil de Mille seine „ägyptischen“ Bauwerke im Barockstil errichten. So könnte man noch Tausende von schlechten Beispielen anführen. Diese Stilsünden mögen jedoch weniger auf die Unwissenheit der maßgebenden Leute zurückzuführen sein, als vielmehr darauf, daß diese nicht die filmischen Möglichkeiten erkennen, die in der Anwendung einer kulturgeschichtlich echten, aber im Filmkassenerfolg noch nicht erprobten Architektur liegen,

Früher konnte sich der Architekt monatelang auf einen Film vorbereiten. Heute setzt man ihn erst drei Wochen vor Drehbeginn von der neuen Aufgabe in Kenntnis. Über die Problematik der Bauten und Dekors wird kaum noch gesprochen. Lediglich einige Spitzenregisseure wie Helmut Käutner, Kurt Hoffmann, Rolf Thiele oder Harald Braun, mit dem ich monatelang über die Ausgestaltung der Buddenbrooks diskutiert habe, machen eine Ausnahme,

Andererseits soll man die Stilformen der Vergangenheit auch nicht zu sklavisch, imitieren. Wir mussten zum Beispiel die Hälfte allen Dekors aus dem Buddenbrook-Haus wieder herausräumen, da die erdrückende Fülle der Gemälde, Tischchen, Konsolen und Kästchen sonst als penetrante Karikatur gewirkt hätte. Im Film kann ja der paradoxe Fall eintreten, dass kulturgeschichtlich echtes Dekor auf den Betrachter von heute durchaus unecht wirken kann. Es kommt eben darauf an, nicht nur ein paar Möbel zu arrangieren, sondern das Raumgefühl überzeugend zu gestalten. Bei den Buddenbrooks hatte ich seit langem wieder genug Zeit, das Raumgefühl im Sinne von Thomas Mann auf etwa 500 Skizzen langsam zu entwickeln, bevor die Handwerker an die Ausführung gingen.
Im allgemeinen aber hinkt die Filmarchitektur heute um mehrere Jahrzehnte hinter der Stilentwicklung der darstellenden Künste her, Man gibt dem Filmarchitekten auch keine großen Aufgaben mehr wie seinerzeit beim Letzten Mann. Alles stagniert und ist maßlos langweilig geworden. Vielleicht liegt es an der Monotonie der Filmthemen oder daran, dass niemand mehr wagt, dem Publikum etwas Wirklich Revolutionäres anzubieten. Es müsste aber doch möglich sein, im Film den Anschluß an die Stilrichtung der modernen Photographie zu erreichen und weiterzugeben – auf der Linie etwa die durch die Filme Ein Amerikaner in Paris ( An American in Paris; USA1951; R: Vinecente Minelli) und Moulin Rouge (USA 1952; R: John Huston) vorgezeichnet wurde.
In: Filmforum, Nr. 4, April 1960

Über Fritz Lang I (Emil Hasler)

Es wird ja viel Schlechtes über Lang gesagt. Wer aber jemals mit ihm gearbeitet hat, der wusste haargenau, was Lang konnte. Er hat doch noch bis in das Negativ hinein gearbeitet, also in das Negativ beispielsweise einen Blitz hineingekratzt.
Seine Drehbücher hatten das Format einer doppelten Schreibmaschinenseite. Das sah dann so aus: Alles, was schwarz angezeichnet war, wurde mit Direktton aufgenommen; blau bedeutete Playback, rot Synchronatelier. Der hat sich ja eine tierische Arbeit vorher gemacht. Das Drehbuch war eigentlich schon ein fertiger Film. Bei M musste ich ihm neben die Haupteinstellungen auch noch die Grundrisse einzeichnen. Das war eine fiese Arbeit. Eigentlich konnte Lang ja sehr gut zeichnen, nur mit den Perspektiven kam er nicht zurecht. Das mussten wir ihm dann ins Buch zeichnen.
Emil Hasler

Betrifft: Hammer-Tonfilm-Verleih

Fritz Kaelber, Vorsitzender der Abteilung inländischer Filmvertrieb im Gesamtverband der Filmherstellung und Filmverwertung, Vorstandsmitglied der Terra, Mitglied der NSDAP seit 1933. Ab Oktober 1942 war Kaelber Generaldirektor und Vorsitzender des Vorstands der Ufa.
Hans Hammer, Direktor des Verleihs Hammer-Tonfilm. Hans Hammer war beigeordneter Vorstand der Abteilung „Inländischer Filmvertrieb“. Seine Firma Hammer-Tonfilm wurde erst 1935 gegründet und bereits im Oktober 1936 liquidiert.
Der Brief stammt aus der Sammlung Theo Osterwind in der Deutschen Kinemathek, Personenarchiv, Rep.Nr. 200227. Für das Bild von Fritz Kaelber und das Logo des Hammer-Tonfilm-Verleihs danke ich Bill Gillespie.

An den
Gesamtverband der Filmherstellung und Filmverwertung e.V.
Abt. Inländischer Filmvertrieb
Friedrichstrasse 235
Berlin SW. 68.

5. Sept. 1935.

Fritz Kaelber

Von den Leitern meiner Leipziger Filiale, den Herren Hänsel und Lehmann, wurde mir vor einigen Tagen berichtet, dass im mitteldeutschen Bezirk die Vertreter der Firma Hammer den Theaterbesitzern folgendes erzählen:

a) Die Firma Hammer hätte mit der Universal-New York einen Vertrag dahin abgeschlossen, dass zwei in Hollywood herzustellende Marta Eggerth-Filme und ein Willi Forst-Film durch sie in Deutschland eingeführt und hier vertrieben würden. Des weiteren hatte die Firma Hammer von der Paramount den in Amerika herzustellenden Jan Kiepura-Film für Deutschland erworben.

b) Der wiederholt von der deutschen Zensurbehörde verbotene Fritz Lang-Film Das Testament des Dr. Mabuse, der von der Deutschen Universal vor drei Jahren in Deutschland hergestellt wurde, käme jetzt im Zuge des Universal-Hammer-Vertrages doch noch auf den deutschen Markt. Es würde dazu extra ein Vorspann hergestellt, in dem ungefähr gesagt würde: „So wie dieser Film es zeigt, würde es in Deutschland ausgesehen haben, wenn unser Führer Adolf Hitler nicht an die Macht gekommen wäre.“

Das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP

Auf von Theaterbesitzern gehegte Zweifel in die Richtigkeit dieser Mitteilungen haben die Vertreter der Firma Hammer geantwortet, dass ihr Chef, Herr Hans Hammer, ja ein persönlicher Freund des Führers sei und dass die Tatsache, dass er ganz alter Parteigenosse mit dem goldenen Ehrenzeichen sei, ihm doch vieles ermögliche, was anderen Verleihern unmöglich wäre.
Ich melde diese mir gewordenen Mitteilungen und gestatte mir, meine eigene Stellungnahme hierzu niederzulegen.
Zu a) muss ich zunächst es Herrn Hammer selbst überlassen zu wissen, ob er als Mitglied unserer Bewegung und Träger des goldenen Ehrenabzeichens einen Liefervertrag mit dem übel berüchtigten Filmjuden Carl Laemmle für eine Kombination hält, die er mit seinem nationalsozialistischen Gewissen verantworten kann.
Ich weiß nur soviel, dass ich in meiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied der Rota alle Hebel in Bewegung gesetzt habe, um einen Vertrag, den mein Vorgänger mit der Universal abgeschlossen hatte und der die Rota auf eine Reihe von Jahren zur Abnahme von Filmen der Universal für Deutschland verpflichtete, so schnell wie möglich zur Aufhebung kommen zu lassen. Das ist dem Rota-Vorstand auch gelungen, denn wir hatten nicht die Absicht, Ware des Herrn Laemmle nach Deutschland einzuführen, selbst dann nicht, wenn ihm der Erlös nur auf Sperrkonto gutgeschrieben werden könnte.
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Edmund Edel: Wie Berlin Kinostadt wurde (1926)

Edmund Edel

Irgendwer erzählte von diesen springenden Bildern, die Lebendes auf eine Leinewand projizierten. Man hatte so ähnliches auf Jahrmärkten, Vogelwiesen gesehen. Spaßeshalber. Wie man sich den Genuss der Dame ohne Unterleib oder des feuerfressenden Indianers leistete. Bis eines Tages oder vielmehr eines Abends (eines späten, sehr späten Abends, dieweil man im Cafe Größenwahn erst zu sehr vorgerückter Stunde sich zu geistigem Zusammensein traf)… bis also jemand von einem Kino erzählte, drinnen in der Stadt. Im Norden oder im Osten. Jedenfalls wurde Neugier erregt. Die Neuerer (wir alle waren Neuerer, Kämpfer, Draufgänger) enthusiasmierten sich, da der eine oder andere von seiner Entdeckungsfahrt erzählte: eine kleine Bude, schmal wie ein Handtuch, die Menschen dichtgepökelt, hinten eine Leinewand. Schließlich eine Art vergrößerte Laterna Magica, wie wir sie aus fröhlich-seliger Kinderzeit im Gedächtnis hatten. Aber wirkliche Menschen huschten an uns vorüber, gebärdeten sich in lustigen und tragischen Posen, spielten wie auf dem Theater Das war das Neue, Imponierende. Etwas, das auf Zukunft weisen konnte.

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Lya de Putti in New York (1926)

Lya de Putti

Dieser Ankunft voraus gingen allerlei Sensationsnachrichten in der hiesigen Presse. Es hieß, die temperamentvolle Lya habe Berlin plötzlich fluchtartig, bei Nacht und Nebel verlassen, sie habe sehr viel unbezahlte Rechnungen und eine trauernde Steuerbehörde zurückgelassen, um die besseren Gefilde von Paris zu erreichen. Einige Tage darauf hieß es, auch in Paris sei die Künstlerin spurlos verschwunden, angeblich weil sie die Reklame-Empfänge usw. nicht vertragen habe. Das reinste Kreuzworträtsel – kein Mensch hatte eine Ahnung, wie es zu lösen sei. Dann endlich die Nachricht: sie hat sich in Cherbourg auf dem Transatlantic Liner „Minnewaska“ eingeschifft und wird am Dienstag, den 23. Februar, hier eintreffen.

Natürlich war nach diesen Sensatiönchen alles was in New York Beine hatte am Pier, um die Künstlerin zu empfangen. Helle Sonne – welche Seltenheit hier im Winter – scheint und es friert Stein und Bein. Die ,, Minnewaska“, ein kleiner Dampfer, kommt herein, bricht, um die Spannung noch zu erhöhen, zwei Landungsbrücken kaputt, die wenigen Passagiere verlassen das Schiff, alles steht und wartet – von Lya keine Spur. Großes Rätselraten. Kein Mensch kommt mehr von Bord, die Brücken leer – da schleicht man sich denn leise weinend an Bord, das nur die Photographen sofort nach Landung betreten durften. Owen Gorin, der natürlich die Ankunft seiner Partnerin in ,,Komödianten“ nicht versäumen wollte, flucht so lange Französisch mit den Beamten. bis wir heil und sicher an Bord sind. Ein Steward erzählt uns eine große Geschichte, dass Lya de Putti von der Einwanderungsbehörde nach Ellis Island, die Insel der Tränen, gebracht werden solle und nicht landen dürfe. Wir bekommen das kalte Grausen. Vor einigen Tagen erst hat man somit einer englischen Countess wegen ,,moralischer Verderbtheit“ verfahren, oh – oh! Es ergeben sich nette Perspektiven – da — großes Hallo – Sie ist da. Aus einem Couloir kommt sie: klein, zierlich, nervös, schüchtern und in ihrem schwarzen, enganliegenden Samtkostüm entzückend anzusehen. Ein großer Herr führt das kleine Persönchen wie einen Sträfling in den Rauchsalon, wo die Immigration-Officers gespannt vor Erwartung sind. Während sie dort überaus höflich in ganz kurzer Zeit abgefertigt wird, erzählt uns jener großer Herr, der von der Firma ist, die Lya de Putti engagiert hat, sie dürfe sich bei der Landung mit niemand unterhalten, da man ihr einen Roman mit dem, hier scheinbar nicht sehr angesehenen Grafen Salm, der hier Frau und Kind hat, angedichtet habe. Mit niemand dürfe sie sprechen, den amerikanischen Journalisten habe er erklärt, sie spreche überhaupt keine lebende Sprache – arme Lya! – denn, man wisse ja, dass die amerikanische Presse europäischen Künstlern so gern etwas am Zeuge flicke. Wir verstehen das und begnügen uns infolgedessen mit einer ganz kurzen Begrüßung – – – und Lya strahlt, als sie, die nur von ihrer Zofe begleitet ist, deutsche Worte hört. Eskortiert bringt man sie zum Auto und – – fort ist sie …

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Auch die „wüste“ Ida war dagegen

Gestern stand Ida Wüst vor der Entnazifizierungskommission

Vorbemerkung: Leider konnte ich keine Rechtsnachfolger von S. S. von Varady ausfindig machen. Der Text erscheint deshalb vorläufig ohne rechtliche Absicherung.
Eine weitere Reportage über dieses Verfahren erschien im SPIEGEL vom 27. 9. 1947 – https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41121975.html
1949 wurde Ida Wüst in einem erneuten Verfahren als entlastet eingestuft.

Ida Wüst

Der Feuerwehrball von Groß-Glienicke wurde diesmal in der Schlüterstraße abgehalten. Ida Wüst versuchte sich zu rehabilitieren. Die holde Ida, inzwischen ein zittrig – trippelndes Muttchen geworden, kam mit der Hautevoléé von Groß-Glienicke, mit dem früheren Bürgermeister und dem heutigen. Ida entpuppte sich al die größte Wohltäterin des Planeten. Von Juden und Verfolgten hatte sie keinen vorgeladen. Aus Takt.
Mir ist beinahe übel geworden. Doch Ida hielt stand. Eine Krankenschwester mit Kölnisch Wasser, ein früherer Journalist mit Rotem-Kreuz-Bonbon als Schulterklopfer und Beschwichtiger und mehrere Stimmungsmacher standen ihr zur Seite. Jeder wankte am Ende der fünfstündigen Verhandlung, nur Wüst war unverwüstlich
Ida, die Wohltäterin von Groß-Glienicke.
Ihre alte Portierfrau erzählte, dass sie eine feine Dame sel. Sogar Juden durften sie über die Hintertreppe besuchen. Dafür zitierte eine andere Dame einen Brief der Wüst: Saujuden, schrieb sie damals, worauf die Wüst in Schreikrämpfe ausbrach und einen Aktschluss lieferte, dass die Wände wackelten.
Es war überhaupt eine Wucht, was Gross-Glienicke an Zeugen aufbot. Der Herr Bruder von Frau Wüst, alter SA. Obergruppenführer, niedlicherweise wegen Rassenschande anderthalb Jahre eingesperrt, bebte vor Aufregung. Er war das schwarze Schaf in der Familie, erklärte er, nicht die Ida. Er war der Nazi, nicht die Ida. Zwei Damen behaupteten dagegen, dass Frau Wüst sogar eine Denunziantin sei. Der Gestapo-Beamte Mikisch hatte von der Wohltäterin Ostereler bekommen und schrieb ihr treu und brav über die Verhaftung der Zeugin und wünschte zum Schluß der gnädigen Frau Ida fröhlichen Lämmchenbraten. Ein korrekter Beamter, sagte sachte die Schwester von Frau Wüst. So eine Schwester habe ich mir immer gewünscht. Die Verhaftete saß inzwischen in Ravensbrück und bekam alles andere als Ostereier.
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Albin Grau: Licht-Regie im Film

Das Drehteam von Nosferatu in einer Drehpuse in JoHannisthal. In der Mitte in weiß Albin Grau. Links neben ihm Enrico Dieckmnn, Geschäftsführer der Prana-Film. © Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, Trogen (CH)

Die Ausstattung des Films ist in weitaus größerem Maße Sache des Malers als der Architekten: Film ist absolute Bildwirkung. Leider ist die Kunst unserer Tage durch den Alpdruck der Vergangenheit so schwer belastet, dass man glaubt, zum Sortieren dieses „Kunstmüllhaufens“, den der Fundus fast aller Aufnahmeateliers repräsentiert, sei eben nur der Architekt berufen. Er ist es auch wirklich, so lange der reine Illusionsfilm mit naturwahrer Dekoration herrscht.
Die Aufgabe ist in kurzem folgende: Die Ausstattung hat den Lebensrhythmus, den Geist der verschiedenen Zeitepochen gemäß der jeweiligen dramatischen Situation im künstlerischen Spiegelbild unserem Geist glaubhaft zu machen. Kunst ist Gabe, nicht Wiedergabe: Herwarth Walden.
Auf den Film angewandt, darf Ausstattungsarchitektur nichts anderes sein wollen, als der vom Malerischen beherrschte Stimmungsrahmen, eine Zusammenschweißung mit dem dramatischen Geschehen, nichts anderes als der große Grundton, auf den die Handlung gestimmt ist: der vom Künstler geschaffene „Spielraum“ klingt harmonisch zusammen mit dem szenischen Vorgang.
Es erhellt ohne weiteres, dass im Licht für die künstlerische Dekoration der eigentliche Lebensnerv liegt. Das Licht wird – obwohl der eigentliche Hauptfaktor – fast immer erst zu Hilfe gerufen, wenn der Bau „steht“. So kommt es meistens, dass die Lichtquellen Raumvorstellungen ergeben, die vom Künstler gar nicht beabsichtigt wurden. Entweder das Licht verflacht oder zerreißt den Raum, oder es stellt sich heraus, dass die vorhandenen Lichtquellen nicht ausreichen, ihn durchzuleuchten. Die Beleuchtung muss von vornherein beim Skizzieren der Dekoration, und zwar in erster Linie in Betracht gezogen werden. Das Licht ist nicht da, um die Dekoration anzuleuchten, sondern um das Bild in seinen Komponenten – Szenerie und Handlung – formgestaltend ins Leben zu rufen. Weiterlesen

Der Selbstmord der Filmschauspielerin Eva May – Tragödie einer jungen Frau

Eva May ( 29. Mai 1902 -10. September 1924)

Wien, 11. September
Eva May ist erst am vergangenen Sonnabend aus Berlin hier eingetroffen. Sie hatte sich dort gerade von ihren Eltern getrennt, die nach Schweden reisten, wo Joe May die Aufnahmen für seinen Film „Kolportage“ [das wurde dann Der Farmer aus Texas] vorbereitet. Eva May, die schon mehrmals verheiratet war, hatte sich neuerdings mit ihrem Vetter Fritz Mandl, dem Generaldirektor der Württembergischen Patronenfabrik, verlobt. Eva May war in letzter Zeit des Öfteren mit dem Vetter in Baden bei Wien und in Marienbad zusammengetroffen, und war nur nach Berlin gefahren, um ihre Eltern auf kurze Zeit wiederzusehen. Auch jetzt war sie wieder nach Baden gefahren und wohnte dort, wie auch ihr Verlobter, in dem sehr eleganten „Hotel Herzoghof“. Angeblich wurde an der Selbstmörderin keinerlei Verstimmung beobachtet. Sie verbrachte den Sonntag und auch den Montag in bestem Einvernehmen mit ihrem Bräutigam, stand am Dienstag morgen ziemlich früh auf und war bereits um ½ 8 Uhr angekleidet in ihrem Zimmer. Herr Fritz Mandl machte seiner Braut einen Morgenbesuch und fand sie in anscheinend guter Stimmung vor.
Als er ihr einen Augenblick den Rücken kehrte, hörte er einen kurzen Knall.
Als er sich erschrocken umwandte, sah er gerade noch, wie Eva May vornüber sank. Die Unglückliche hatte, ohne dass der Bräutigam auch nur das Geringste bemerkte, einen Revolver ergriffen und sich ein Geschoß durchs Herz gejagt. Sie war auf der Stelle tot. Die Leiche wurde dem Leichenschauhaus von Baden zugeführt. Die Eltern wurden sogleich telegraphisch benachrichtigt und befinden sich bereits auf der Fahrt nach Wien.

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Christoph Winterberg

Christoph Winterberg

Im Mai 2018 schrieb Rolf Aurich im Zuge seiner Recherchen zu Dr. Alfred Bauer an Christoph Winterberg, den Inhaber des Antiquariats an der Donau in Neuburg. Winterberg war ein guter Bekannter des Gründungsdirektors der Berlinale gewesen und hatte nach dessen Tod der Kinemathek einen relativ unbedeutenden Teil des Nachlasses übergeben. Besaß Winterberg vielleicht noch weitere Stücke aus dem Nachlass, konnte er aus seinen Gesprächen mit Bauer etwas zu dessen Charakterbild beitragen? Auf diese Fragen bekam Aurich keine Antwort, der Brief kam als unzustellbar zurück. Wo war Christoph Winterberg? Vielleicht wusste der australische Sammler Bill Gillespie etwas?
Gillespie hatte bei seinen jährlichen Visiten in Deutschland immer wieder Filmplakate von Winterberg gekauft und teilte mit, dass er zwar im Juli 2017 mit Winterberg verabredet war, der aber nicht gekommen sei und telefonisch auch nicht zu erreichen war. Vielleicht war er ernsthaft krank oder gestorben – dann wäre aber doch etwas aus seiner sagenhaften Film-Sammlung aufgetaucht. Niemand wusste genaues über Winterbergs Sammlung; er selbst hatte in einem seltenen Moment von Offenheit erklärt, sie befände sich in einem Lager von 500 qm. Das sei aber inzwischen so voll, dass es darin keine Gänge gäbe und man nur noch über die Kisten klettern könnte. Zum Bestand äußerte er sich nur vage: 550.000 Standfotos, 60.000 Plakate, unzählige Bücher, 250 Drehbücher und natürlich Ephemera wie Film-Verschlussmarken und Preise seien vorhanden. Die Mengenangaben waren bestimmt nicht verlässlich; wie sollte man die Zahl der Fotos und Plakate ermitteln, wenn sie so gut wie unzugänglich waren? Und sollte das alles verschwunden, vielleicht auf der Müllkippe gelandet sein? Nein, so war es nicht, aber auch nicht weit davon entfernt. Und dafür war vor allem Winterberg selbst verantwortlich.

Wer war Christoph Winterberg?
Winterberg war in einem Maß verschwiegen, das schon an Skurrilität grenzte. Für einen Sammler war das ganz und gar untypisch; fast jeder Sammler redet gern und ausführlich über sein Sammlungsgebiet, über neue Erwerbungen und über andere Sammler. Nicht so Winterberg; niemand wusste etwas über sein Leben, seinen Wohnort, seine persönlichen Verhältnisse. Sein Eifer, möglichst unsichtbar zu werden, führte absurderweise dazu, dass seine Herkunft aufgedeckt wurde. Christoph Winterberg war der Adoptivsohn des Komponisten Hans Winterberg; seine Mutter Luise Maria Pfeifer flüchtete 1945 aus dem Sudetenland und gab bei der Geburt ihres Sohnes Christoph am 18. 10. 1945 in Esslingen am Neckar den Kunstmaler Oswald Pillhatsch als Vater an. Ob Christoph den Nachnamen seiner Mutter oder den seines Vaters trug, ist nicht klar. 1968 heirateten der Komponist Hans Winterberg und Luise Maria Pfeifer; der Komponist adoptierte seinen Stiefsohn Christoph, der immerhin schon volljährig war und nun den Namen Winterberg annahm. Warum änderte er seinen Namen? Hatte ihn seine Mutter darum gebeten, wollte er selbst einen neuen Namen? Und wenn ja, wie lautete der alte Name? Wir wissen es nicht.

Winterbergs Haus in Rennertshofen, Antoniberg

Hans Winterberg und seine Frau wohnten zunächst in Bad Tölz und zogen später in ein aufgegebenes Schulhaus nach Rennertshofen, Ortsteil Stepperg. Nach dem Tod seines Adoptivvaters und seiner Mutter übernahm Christoph das Haus und richtete dort sein Archiv ein. Im Februar 2002 verkaufte er den musikalischen Nachlass seines Vaters, des Komponisten Hans Winterberg, an das Sudetendeutsche Musikinstitut in Regensburg und schloss dazu einen bemerkenswerten Vertrag. Alle übergebenen Dokumente sollten bis zum 31.12. 2030 für jegliche, auch hausinterne Nutzung gesperrt sein. Ebenso dürfe die Existenz des Nachlasses und seine Herkunft unter keinen Umständen bekannt gemacht werden; Fragen nach Verwandten oder Nachkommen von Hans Winterberg müssten sämtlich negativ beantwortet werden, Winterberg selbst solle in allen Veröffentlichungen des Instituts als sudentendeutscher, aber keinesfalls als jüdischer Komponist bezeichnet werden. Diese letzte Bedingung kann als antisemitisch gedeutet werden, ist aber wie der ganze Vertrag eher Ausdruck von Paranoia und Verfolgungswahn – eben ein echter Winterberg. Eine Komposition kam nicht in den übergebenen Nachlass; auf ihrer Titelseite stand der Ortsname „Rennertshofen“, an dem nun auch Christoph Winterberg wohnte; das durfte natürlich keiner wissen. Dass die Konditionen des Vertrags vom Sudetendeutschen Musikinstitut akzeptiert wurden, ist eine Merkwürdigkeit für sich. Der Vertrag wurde auf Betreiben des Enkels von Hans Winterberg später aufgelöst; die Kompositionen von Hans Winterberg befinden sich bis heute im Original noch in Regensburg, sollen aber in die Sammlung exil-arte in Wien gehen. Langfristig werden dort alle Dokumente des Komponisten Hans Winterberg und seiner Familie konzentriert werden.

Einige Begegnungen mit Christoph Winterberg
Das erste Mal sah ich Christoph Winterberg am Leopold-Kino in München. Das war in den frühen 1970er Jahren, das Kino war noch nicht aufgeteilt in Leopold 1 und 2; Winterberg, daran erinnere ich mich genau, tauschte die Fotos in den Schaukästen aus. Ich nehme an, dass ich ihn öfters bei dieser Tätigkeit beobachtet habe; vielleicht habe ich auch ein paar Worte mit ihm gesprochen. Wenn er geantwortet hat, dann vielleicht „Hmm, kann sein“ oder noch kürzer „Hmm“ oder gar nicht. Ich ging damals viel ins Leopold und in das Filmmuseum im Stadtmuseum; Winterberg habe ich nie in einem dieser Kinos gesehen. Später hörte ich, dass er eine Zeitlang auch bei Transit-Film gearbeitet hat – wann, als was und wie lange? Keine Ahnung. Auf jeden Fall besaß er umfassende Kenntnisse zum deutschen Film; er mag zu den Sammlern gehört haben, die nie ins Kino gehen und alles nur aus der Literatur kennen. Mit der Literatur kannte er sich jedenfalls sehr gut aus.

Etwa Mitte der 1970er Jahre machte Winterberg seinen Filmladen in der Schelling/ Ecke Luisenstraße auf. Christoph stand an einem Tisch in der Mitte eines winzigen Raums; auf dem Tisch stapelten sich Plakate, hinter Christoph standen die Regale mit Büchern. Die wahren Schätze hortete er möglicherweise im Hinterzimmer, vielleicht hatte er sie überhaupt nicht im Geschäft, sondern in seinem Archiv. Wo war das Archiv, woraus bestand es, gab es Listen, konnte man ihn in seinem Archiv vielleicht besuchen? Die Antwort war eindeutig und immer: Nein, nein, nein. Es gab allerdings Ordner mit Kleinbildern von Plakaten der dreißiger bis siebziger Jahre und es gab tatsächlich einen Sammler, der mit Winterberg ein großes Tauschgeschäft gemacht hat. Manfred Christ hatte von dem Grafiker Boris Streimann zahlreiche Filmplakate geerbt oder einfach nur übernommen; das war eine sehr schöne, wenn auch grafisch etwas einseitige Sammlung. Christ tauschte die Streimann-Plakate gegen frühe und sehr seltene deutsche Nachkriegsplakate der Motion Picture Export Association. Diese Sammlung hat Manfred Christ, wenn ich das richtig erinnere, an die Friedrich Wilhelm Murnau Stiftung in Wiesbaden vermacht; und seitdem hat man nie mehr etwas von ihr gesehen. Eine Auswahl der Plakate von Boris Streimann gab Winterberg zur Auktion. Der Erfolg war eher bescheiden.

Dr. Alfred Bauer im Gespräch mit

Christoph Winterberg

Besonders gute Geschäfte wird Winterberg in seinem Laden nicht gemacht haben, aber darum ging es ihm vielleicht auch nicht in erster Linie. Er war Verleger geworden und hatte 1976 Alfred Bauers „Deutscher Spielfilm-Almanach 1929 bis 1950“ (plus erstmaligem Namenindex) als Reprint der ersten Ausgabe von 1950 (filmblätter Verlag) herausgebracht; 1981 folgte Band 2 für die Jahre 1946 bis 1955. Als letztes Buch im Verlag Winterberg erschien 1991 „Das Filmangebot in Deutschland 1895–1911“ von Herbert Birett.

Winterberg wollte seinen Verlag weiter ausbauen und verfolgte das Projekt eines Kataloges der in Deutschland bis 1945 erschienenen Filmplakate. Es gab ein Exposé und ein Treffen zwischen dem Direktor des Deutschen Filmmuseums Frankfurt, einem Mitarbeiter der Deutschen Kinemathek und Winterberg, und das war das Ende dieses Projektes. Das Deutsche Filmmuseum war nicht interessiert und blieb, als ein ähnliches Projekt von anderer Seite Jahre später noch einmal aufgerufen wurde, bei seiner Meinung. Nicht nur Winterberg war frustriert.
Ich hatte merkwürdigerweise über lange Zeit ein gutes Verhältnis zu Christoph. Ich zeigte und schenkte ihm einige Film-Verschlussmarken; dafür bekam ich das Buch „Kein Geistlicher hat ihn begleitet“, das Helmut Käutner 1956 unter dem Pseudonym Kong Li veröffentlicht hatte. Das war für ihn ein gutes Geschäft; er begann mir zu vertrauen, ließ mich sogar wissen, dass er einen Porzellanbambi in seiner Sammlung habe. Wir verloren uns aus den Augen, als ich nach Berlin zog. In der Wendezeit fuhr er in die DDR und organisierte u.a. einen ganzen LKW voller Plakate der DEFA. Wahrscheinlich stellte er sich vor, dass die Plakate im Lauf der Zeit gesuchte Sammlerstücke werden würden.
Um die Jahrtausendwende wollte er wie so viele Sammler in fortgeschrittenem Alter sich selbst und seine Sammlung versorgt wissen. In völliger Verkennung der finanziellen Möglichkeiten der Kinemathek machte er folgenden Vorschlag: Die Kinemathek möge ihm auf Lebenszeit eine Leibrente zahlen und eine Lagerhalle für seine Sammlung anmieten. Dann würde er mit allem, was er besaß, nach Berlin ziehen und die Kinemathek als Erben einsetzen. Er weigerte sich standhaft, eine Liste seiner Sammlungsstücke zu übergeben. Wenn es aber zu einer Einigung käme, dann könnte man ihn nach einzelnen Titeln, nach Fotos oder Plakaten fragen, und er würde diese dann temporär zur Verfügung stellen. Weiter konnte er einer Institution wirklich nicht entgegenkommen.
Das Abkommen kam nicht zustande. Jahrelang versuchte Christoph dann mit anderen Institutionen, unter anderem auch der Akademie der Künste, ins Geschäft zu kommen. Er hatte klare Vorstellungen über den Wert seiner Sammlung, aber er konnte sich nicht überwinden, seine Sammlung zu zeigen. Da es keine Bestandslisten gab, hätte er die Adresse in Rennertshofen preisgeben müssen. Und das wollte er auf keinen Fall.
Christoph Winterberg war ein Mensch voller Ängste, ein Hypochonder erster Güte. In einem Lokal suchte er sich eine Ecke, die möglichst nicht einsehbar war; als Getränk bestellte er sich Apfelsaft, war sich aber nie ganz sicher, ob der nicht vergiftet sei. Bei einem seiner letzten Treffen in einem Lokal mit dem australischen Sammler Bill Gillespie verließ er den Tisch, um auf die Toilette zu gehen. Bill holte sein Handy heraus, um etwas nachzusehen. Bei seiner Rückkehr herrschte Christoph seinen Gast an, er solle das Handy herausgeben und das Foto, das er von ihm gemacht habe, löschen. Gillespie hatte kein Foto gemacht.
Winterberg war in dauernder Angst vor Anschlägen, vor Verunglimpfungen und öffentlichen Beleidigungen. Allein die Erwähnung seines Namens war schon verdächtig; sofort konstruierte er ein gegen ihn gerichtetes Komplott. Nähe ließ er nicht zu, gleichwohl suchte er Kontakt. Eine Zeitlang rief er mich jeden Samstag oder Sonntag zu Hause an; er wollte nichts Besonderes, nichts Konkretes – nur reden, reden.
Jahre später nahm er eine Lappalie zum Vorwand, um sich mit mir zu zerstreiten. Er hatte groteske Vorstellungen, wie ich meinen Fehler wieder gutmachen sollte. Aber noch besser: Es gab einen neuen „besten Feind.“

Das Ende des Christoph Winterberg
Ich weiß nicht genau, wann er sich aus der Szene der Filmsammler zurückzog. Man trank dort gerne ein gutes Bier miteinander, man schwätzte, handelte und machte auch Witze übereinander. Das alles war nichts für Christoph, der in der Szene „Caligari“ genannt wurde. „Caligari“ war nicht witzig, „Caligari“ nahm ernst und übel. Christoph löste sein Geschäft in der Luisenstraße auf und eröffnete ein Buchantiquariat in Neuburg an der Donau, unweit von Rennertshofen. Eine Zeit lang kam er damit über die Runden und verkaufte auch noch an Filmsammler. Bill Gillespie erzählt, dass Christoph jedes Gespräch mit einer Schimpftirade auf die Filminstitutionen begann. Er sah sich als freischaffenden Filmarchivar, dem die Institutionen dankbar sein sollten. Hatte er sich nicht all die Jahre für den Film aufgeopfert? Natürlich blieb auch die Drohung nicht aus, dass er seine Sammlung vernichten werde – das war letztlich eine Geste der Hilflosigkeit und Ohnmacht. Und jedes Gespräch, jede Verhandlung mit ihm stand unter dem Vorbehalt, dass ihm zunächst und als Grundbedingung eine wie auch immer geartete Entschädigung für erlittenes Unrecht zustünde. Als ich ihn das letzte Mal 2012 bei der Eröffnung der Ausstellung „Licht und Schatten“ in den Räumen der Hypo-Vereinsbank in München sah und mit einem Handschlag begrüßen wollte, wandte er sich an den neben ihm stehenden Herbert Birett: „Meinst Du, dass ich dem Sudendorf die Hand geben soll?“ Birett war überrascht und redete ihm zu: „Ja, das kannst Du doch.“ „Na, wenn Du meinst“ und reichte mir maliziös lächelnd seine Hand.

Lagerraum Antoniberg

Er war allmählich im Paradies aller Quengler und Besserwisser angekommen. Die Geschäfte wurden weniger, ein grosser Verkauf noch für ca. 100.000 Euro – natürlich viel zu wenig – und dann hörten sie ganz auf. Christoph zog sich in sein Haus zurück, in sein kleines, großes Reich aus Bananenkisten. Er hatte auch Spielfilme gesammelt, fast alle in 35 mm. Damit nur niemand herausbekam, welche Filme er besaß, hatte er an den Dosen die Seitenbeschriftung entfernt. Damit übertraf er wirklich jeden Sammler an Merkwürdigkeit. Sein Neffe hatte ihn ausfindig gemacht, ihn zu Hause besucht, das Erbe von Hans Winterberg geregelt und sich über die Unmenge an Bananenkisten gewundert. Christoph erklärte ihm, das sei ein veritabler Schatz und eine Million Euro wert. Aber en detail verkaufen wollte er nicht mehr.

Sterbeurkunde Christoph Winterberg

Ein Polizist hatte mit ihm Bekanntschaft geschlossen und besuchte ihn seit Ende der achtziger Jahre. Christoph musste mit dem Geld sehr haushalten, Strom, Wasser und Heizung funktionierten nur unregelmäßig. Er war abgemagert und wohl auch krank und bewohnte in seinem Haus nur noch einen Raum. Am 20. Februar 2018 fand der Bekannte seinen Leichnam; auf dem Körper lagen zwei Bananenkisten, die sich ineinander verkeilt hatten. Hatte ihn seine Sammlung erschlagen und war er zu schwach, die Kiste von dem Körper zu entfernen? Das Todesdatum konnte nicht genau festgestellt werden; es lag zwischen dem 9. und dem 20. Februar 2018.
Es fand sich ein Testament, in dem der Polizist als Generalerbe eingesetzt war. Der Generalerbe tat, was er und wahrscheinlich jeder andere für das Beste hielt. Er verkaufte einen großen Teil der Bananenkisten sowie die Filmkopien an einen Film-Devotionalien-Händler. Die Filmkopien wurden gleich weiterverkauft, die Bücher bekam ein Internet-Antiquar. Und gab es denn nun einen Restnachlass Alfred Bauer, vielleicht mit einem Tagebuch aus seiner Zeit in der Reichsfilmintendanz? Vielleicht, ja, kann sein – vielleicht ist er auch vernichtet, in den Müll geworfen, schmort noch in unausgepackten Kisten. „Hmm, wer weiß?!“

Winterbergs Körper, so war es im Testament bestimmt, wurde verbrannt, die Asche in der Ostsee verstreut.

Es halfen: Rolf Aurich, Frank Becker, Bill Gillespie, Helmut Hamm, Henrik Krasemann Peter Kreitmeir, Hans-Peter Reichmann, Fritz Tauber, Christian Unucka.

Zu Hans Winterberg: https://forbiddenmusic.org/2015/06/10/the-ominous-case-of-the-hans-winterberg-puzzle/
Website von Peter Kreitmeir: www.kreitmeir.de

Die seltsamen Abenteuer der amerikanischen Filmindustrie mit O. W. Fischer

Al Daff, Chef der Universal, und O. W. Fischer

300 Fans hatten sich am 11. Januar 1957 im Flughafen München-Riem eingefunden, um O. W. Fischer, den beliebtesten und teuersten Filmschauspieler der Bundesrepublik, zu verabschieden. Fischer flog zu Dreharbeiten nach Hollywood. Aber er käme ja, so seine Worte, nach drei Monaten schon wieder zurück. So war der Plan, aber es kam alles ganz anders. Nach einem Dutzend Drehtagen an dem Film My man Godfrey unter Regisseur Henry Koster kündigte die Universal den Vertrag mit Fischer und erhob Schadensersatzklage wegen Verweigerung der Arbeit. Schon Mitte März war der Star wieder in Deutschland.

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Hardy Krüger obsiegte – Lichtblick in der Schnulzendüsternis

Der Filmschauspieler Hardy Krüger hat sich mit der Begründung, dass er eine so alberne Rolle nicht spiele, geweigert, im zweiten Teil des Films Liane [Liane . die weiße Sklavin. R: Hermann Leitner]mitzuwirken. Er verzichtete damit auf die ihm angebotene Gage von 60 000 Mark, wonach die Arca-Film Adrian Hoven nur unter der Bedingung für die Rolle gewann, dass die Produktion ihm 80 000 Mark dafür anbot und auch zahlte. Wie der Film ausgefallen ist, weiß man jetzt: eine Superschnulze. Nun verklagte die Arca-Film Krüger mit dem Ziel, die Mehrkosten von 20 000 Mark zu übernehmen. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, weil Krüger das Drehbuch laut Vertrag ablehnen konnte und infolgedessen zum Rücktritt vom Vertrag berechtig war.

Der Fall ist ein Beispiel dafür, dass einige Filmproduzenten offensichtlich dazu übergehen wollen, ihren schlechten Geschmack nun auch noch mit gerichtlichen Mitteln durchzusetzen. Soweit sind wir also, dass Schauspieler, die eine Tätigkeit vor ihrem Gewissen nicht mehr verantworten können, gerichtlich zur Schnulzenproduktion gezwungen werden sollen! Der betreffende Produzent wird ins Feld führen, dass ihm die Handlungsgrundlage entzogen wird, wenn Verträge „aus Gewissensgründen“ nicht mehr erfüllt zu werden brauchen. Abgesehen davon, dass hier der Fall anders lag und Krüger auch aus rechtlichen Gründen von diesem Vertrag zurücktreten konnte, sollten sich Filmproduzenten endlich dazu entschließen, ihr Verhalten gegenüber dem Unterhaltungsfilm zu überprüfen. Dass sie Geschäfte machen, verübelt ihnen niemand, – aber wie sie diese Geschäfte machen, bedarf der Revision.

Kj in: Film-Telegramm, Nr. 50, 10. Dezember 1957

Zwischen Hollywood und Hamlet. Unterhaltung mit Helmut Käutner

Von Karl-Heinz Krüger

Helmut Käutner

Sein Haar ist noch kürzer geworden, und im Gespräch benutzt er nun auch Vokabeln aus Hollywoods Experten-Slang. Darüber hinaus aber hat die kalifornische Filmmetropole den Helmut Käutner – jedenfalls rein äußerlich – nicht verändert. Er hat die Arbeiten an seinen ersten beiden amerikanischen Filmen Wonderful Years [gemeint ist The Restless Years] und Ride A Tiger [gemeint ist Stranger in my Arms] bei Universal beendet und traf in Berlin ein, wo er während der Vorarbeiten zu Schinderhannes und Der Rest ist Schweigen seinen Umzug aus der kleinstädtischen Enge des Breitenbachplatz in sein neues Haus im Grunewald vorbereitet. Bevor er Anfang Mai als Jury-Mitglied nach Cannes reist, will er das Haus bereits bezogen haben. – Zwischen Besprechungen mit Architekt und Autor beantwortete er uns in einem Interview verschiedene aktuelle Fragen.

„Sie haben Ihren Vertrag mit Universal gelöst?“

„Der Vertrag wurde in gegenseitigem Einverständnis gelöst. Ich hatte um diese Lösung gebeten, weil Stoffe und Stilrichtung der Universal nicht meinen Plänen entsprechen. Aber ich bin dankbar, dass ich mich in zwei typischen amerikanischen Filmen fit machen konnte für Hollywood. Ich beherrsche jetzt das amerikanische Handwerk. Ich kann mich einfügen. Ich kann den Amerikanern zwei amerikanische Filme zeigen, und sie werden mir glauben, dass ich kein verrückter Europäer bin, der auf Teufel komm raus experimentieren will. Man hat drüben tolle Manschetten vor europäischen Regisseuren, weil man sie als extravagante und schwierige Individualisten fürchtet. Außerdem hat der Fischer-Skandal eine ganze Menge Schaden angerichtet – aber den machte [Curd] Jürgens gottseidank durch seinen tadellosen Eindruck als Person fast wieder wett.“

“Spürten Sie als Regisseur in Ihren Arbeitsbedingungen einen wesentlichen Unterschied zwischen Deutschland und Amerika?!“

“Na, enorm! Die ganz großen unabhängigen Kanonen wie Kazan, Zinnemann, Stevens und Wilder, die ja auch fast alle selbst produzieren, müssen wir hier mal ausklammern. Die haben natürlich absolute Autorität… Aber der gute solide Durchschnittsregisseur hat viel weniger Entscheidungsfreiheit als bei uns.
Der geistige Schöpfer des Films ist der Producer (der sich natürlich gar nicht ums Geld und die anderen wirtschaftlichen Dinge kümmert). Der Producer sucht den Stoff. Er holt den Autor. Den Regisseur. Er macht die Besetzung. Einer von allen ist eben der Regisseur. Der ist im Atelier die vollziehende Gewalt.
Da hat er Macht. Sobald er aber abgedreht hat, läuft auch sein Vertrag aus. Sein Verhältnis zu seinem Film ist längst nicht so persönlich wie das bei uns der Fall ist. Sie können ihn nicht für den Schnitt, nicht für Musik und nicht für den Gesamtablauf und schon gar nicht für das Drehbuch verantwortlich machen. Da entscheidet in jedem Falle der Producer…
Ich holte mir schon sehr merkwürdige Blicke, als ich mich um den ersten Schnitt und die Musik kümmern wollte. Das war ganz ungewöhnlich für die Leute. Sie waren gewohnt, dass der Regisseur seine Arbeit abliefert wie alle anderen. Und aus diesen Einzelteilen wird der Film später aufgearbeitet. Dabei ist der absolute Star übrigens das fix und fertige Buch. Die Kämpfe darum werden vorher unter Professionals ausgetragen. Ein Rumfummeln gibt es später nicht. Schon gar nicht durch Schauspieler! Das ist natürlich sehr angenehm.“

„Wie werden Sie in Ihrer Freien Filmproduktion arbeiten?“

Helmut Käutner, Wolfgang Staudte, Harald Braun

„Es stimmt keineswegs, dass wir die Gesellschaft gegründet haben, um auf anderer Leute Kosten zu experimentieren. Vielmehr wollen wir versuchen, das Bestmögliche an Freiheit in unseren Filmen zu erreichen. Die Gesellschaft wurde nicht mit dem Ziel gegründet, viel Geld zu verdienen. Wir haben unsere Gagen und vielleicht eine Gewinnbeteiligung. Sollten überschüssige Gewinne entstehen, verbleiben sie in der Firma, um nächste Filme und vielleicht auch mal ein Experiment zu ermöglichen. Und im übrigen handelt es sich dabei ja auch um unser eigenes Geld, denn entgangener Gewinn ist schließlich ebenfalls schon Verlust.
Experimente werden auch nicht darin bestehen, dass wir mit artistischen Einstellungen spielen – dazu sind wir zu erwachsen. Das Experiment wird vielmehr sein: neue Geschichten zu finden oder alte Geschichten tatsächlich neu zu erzählen. Staudte, Braun und ich werden im Rahmen der Freien Produktion jährlich je einen Film herstellen. Darüberhinaus sind wir völlig frei. Sicher werden wir die Filme jeweils gemeinsam vorbereiten. Wir werden den jeweiligen Stoff in Gesprächen filtern, und Sie werden mir zugeben, dass das bei so verschiedenen Regisseuren, wie wir es doch nun mal sind, sehr interessant und fruchtbar sein kann…
Es wird Sie vielleicht interessieren, dass die technische Ausrüstung in Hamburg den amerikanischen Studios in keiner Weise unterlegen und dass manche tontechnische Anlage sogar besser ist. Koppel hat eben die neueste Mitchell-Rückpro aus Amerika besorgt, die fast dreimal so groß wie die alte ist. Daraus ergeben sich fantastische Möglichkeiten…“

„Zunächst drehen Sie hier Schinderhannes?“

„Hurdalek hat das Buch gerade fertig, und im Juni fangen wir an. Wir drehen ihn natürlich nicht nur als Räuberstory, obwohl wir eine ganze Menge Western-Effekte hineinpacken werden. Wir versuchen eine Ausweitung zum Zeitbild. Fazit: ein glückhafter Zustand ist nicht durch extreme Aktionen zu erreichen, sondern nur durch die Ehe von Tradition und Fortschritt. Die Story beginnt, als die französische Revolution gerade zu Ende gegangen ist, als alle Werte wild durcheinander purzeln und die linksrheinische Seite von den neuen französischen Ideen durchsetzt ist. Rechts steht die Reaktion. Und mehr aus Abenteuerlust als aus politischer Überzeugung gründet der Bursche da im Hunsriick seinen Freistaat. Der floriert durch Räuberei und Totschlag. Aber seine Leute verbürgerlichen, und nun reiben sich Ordnung und Räuberei, und alles geht in die Brüche…“

„Und dann kommt Hamlet?“

„Seid nur bitte vorsichtig mit diesem Hamlet! Der Film heißt Der Rest ist Schweigen, ich erzähle den Konflikt eines modernen gebrochenen und gespaltenen Menschen, und da an diesem Menschen sich seit 500 Jahren nichts geändert hat, nehme ich eben die noch immer hochmoderne Figur des Hamlet. Aber da ist nichts von ‚Hamlet im Frack‘, keine Spielerei für Gebildete, nicht das Augenzwinkern für Belesene: seht mal, was wir cleveren Jungs da gebastelt haben… Der Rest ist Schweigen wird ein harter, kalter, moderner Film, und das Königreich Dänemark ist die internationale Schwerindustrie.
Warum darf ich eigentlich nicht geistreich sein? Andere dürfen. Sobald ich es versuche, heißt es sofort: der macht schon wieder Kabarett. Kabarett ist doch etwas ganz anderes, und mein einziger Film, in dem ich je Kabarett machte, war Der Apfel ist ab.
Natürlich mache ich den Hamlet-Stoff schwarz-weiß und vielleicht im Stile vom Dritten Mann. Als hieb- und stichfeste Familientragödie, ohne – Verzeihung – direkte Aussage, aber natürlich mit sozialer und politischer Kritik. Ich habe vor drei Jahren damit angefangen und habe das Rohdrehbuch jetzt fertig: Ein Schwerindustrieller schickt seinen Sohn zu Beginn der Nazizeit nach Amerika. Während des Krieges steigt der Vater zum großen Wirtschaftsführer auf. Nach der Familienaffäre und dem Tod des Vaters kommt der Junge als Alleinerbe zurück und findet unter dem Schein der untadeligen Familie den menschlichen Dreck. Am Versuch der Rache geht er zugrunde.
Ich verspreche Ihnen, dass Sie außer dem Konflikt kaum noch was von Shakespeare finden werden. Der vergiftete Degen wird zur Lüge – es gibt schließlich nicht nur körperlich Tote, sondern auch Erledigte. Und Hamlet kommt als Bohemien aus Greenwich Village und landet hier mit einem Stratoclipper blind im Schneesturm und fährt im schwarzen Mercedes… Statt in Rückblenden wird er die verhängnisvolle Entwicklung seines Vaters während der Nazizeit in Wochenschau-Ausschnitten erleben… Und vielleicht sieht der Junge in Düsseldorf ein Ballettgastspiel mit Blachers „Hamlet‘.
Um es kurz zu machen: alles ist passiert, wenn der Vorhang aufgeht. Nun wird nur noch abgewickelt. Das Schicksal steht schon im Zimmer. Nun werden nur noch langsam die einzelnen Türen aufgemacht. Vielleicht drehe ich in zwei Versionen, und für die Besetzung schwebt mir eine große internationale Überraschung vor.“

„Den ‚kleinen Pg.’ haben Sie also vorläufig zurückgestellt?“

„Weder Rühmann noch ich wollen jetzt ran. Ich verspüre in dieser Zeit der Umschichtung keine Lust, mich mit diesem innenpolitischen deutschen Problem auseinanderzusetzen, da ich nicht weiß, zu wem ich spreche und ob ich überhaupt noch oder schon wieder verstanden werde.“

„Haben Sie Pläne mit Marlene Dietrich?“

„Ja, ich habe einen. Marlene ist übrigens ein Pfundskerl, und ich habe mich schrecklich über die widerlichen Anwürfe hier geärgert. Marlene ist eine reizende und patente Großmutter, die noch sehr gut aussieht. Im übrigen haßt sie die Nazis. Und das ist mir außerordentlich sympathisch!“

„Sie wissen von dem Wirbel um Ihr Variety‘-Interview?“
[Gemeint ist ein Interview, das am 6.11. 1957 in der Zeitschrift Variety unter dem Titel „German more arty on lean Diet“ erschien – siehe https://archive.org/details/variety208-1957-11/page/n11/mode/2up

„Ich habe gehört davon und ich kann nur sagen, dass ich missverstanden und dass meine Erklärung verstümmelt wiedergegeben wurde. Ich habe die Geschichte des Films im Nachkriegsdeutschland erzählt und auch gesagt, dass wir gottlob über das Schlimmste hinweg sind, dass auch gute Filme hier sehr wohl besser gehen als schlechte. Das ist die Wahrheit. Und es gibt ja wohl nur eine Wahrheit.

In: Filmpress, Hamburg, Nr. 8, 20. Februar 1958

 

Die Sphinx – Zum Tod von Brigitte Helm

Brigitte Helm in L’Argent (1928) von Marcel L’Herbier

Sie hatte nicht den Glamour der Dietrich, nicht das Göttliche der Garbo und war dennoch eine der großen unsterblichen Ikonen des Kinos: sie war die Jungfrau und die hypersexualisierte Maschinen-Maria in Fritz Langs monströsem Metropolis, dem großen Klassiker des deutschen Stummfilms. Brigitte Helms Karriere beginnt wie ein Illustrierten-Roman. Die Mutter schickt dem Regisseur Fritz Lang 1924 ein Bild ihrer Tochter, der berühmte Regisseur macht mit ihr eine Probeaufnahme und die gänzlich Unbekannte bekommt die weibliche Hauptrolle in dem teuersten Film der deutschen Filmgeschichte. Metropolis ruinierte beinahe die Ufa und machte Brigitte Helm über Nacht berühmt. Die Ufa gab ihr einen Vertrag; zehn Jahre und 29 Filme lang spielte sie im deutschen, französischen und englischen Film. Genau so plötzlich wie sie im Film aufgetaucht war, verschwand sie wieder. 1935 zog sie sich vom Film zurück, spielte nicht auf der Bühne, trat nie im Fernsehen auf, lehnte alle Einladungen ab und gab nicht ein einziges Interview. Wer, um alles in der Welt, war Brigitte Helm, und was war passiert?

Am 17. März 1906 wird Brigitte Helm (ihr richtiger Name war Schittenhelm) in Berlin geboren. Schauspielerfahrungen sammelt sie bei Theateraufführungen ihrer Schule, aber an eine Schauspiel- Ausbildung denkt sie nicht. Nach dem Abitur will sie Astronomin werden, sie ist offensichtlich neugierig auf alles Moderne. Und dann spielt sie in Metropolis. Ihre Mimik und Gestik sind noch ganz vom Expressionismus geprägt; sie reißt als Jungfrau Maria die Augen auf, ringt die Hände vor der Brust und spitzt den Mund zum keuschen Kuss. Als Maschinen-Maria aber ist sie nur noch sexueller Körper und Objekt der Begierde, die personifizierte Sünde, Hexe der Lust und erotisches Wahnbild der Nacht. Die Ufa wollte sie auf die Rolle des männermordenden Vamp festlegen; zweimal , 1927 und 1930, musste sie Alraune spielen, jene sagenhafte Frau, die aus dem Samen eines Mörders und dem Schoß einer Dirne geboren wird und die Männer in den Tod treibt. 1929 schon hatte sie versucht, alle Vamp-Rollen abzulehnen; sie klagte gegen die Ufa und verlor. Der Prozess hatte sie ein Vermögen gekostet, jetzt spielte sie hauptsächlich, um ihre Schulden abzuzahlen.

 

 

 

Die Herrin von Atlantis (1932)

Neben zahlreichen belanglosen und abgrundschlechten Filmen gab ihr vor allem G.W. Pabst die Gelegenheit zu großen schauspielerischen Leistungen.. In Die Liebe der Jeanne Ney (1927) stellt sie eine hilflose Blinde dar, die von einem Schurken verführt wird;. in Abwege (1928) ist sie eine verwöhnte, mondäne Frau,, die aus lauter Langeweile fast ihr Leben zerstört. Brigitte Helm wird in den Filmen der frühen dreißiger Jahren zur Verkörperung der sachlichen, wohlhabenden und modernen Frau; mit ihrer schlanken, hohen Gestalt und dem herben, klassischen Profil scheint sie unnahbar; sie ist ein Leitbild für die modebewusste Frau, die niemals geht, sondern immer wie auf einem Laufsteg schreitet, und unter deren eiskaltem Äußeren leicht kriminelle Energien flackern.. In G.W.. Pabst Die Herrin von Atlantis (1932) ist sie eine undurchschaubare, statische Göttin, bei deren Anblick die Männer wahnsinnig werden. Ihre Macht ist untergründig, unbegreifbar, magisch. Dies war ihre letzte, wirklich große Rolle, eine sagenhafte, rätselhafte Sphinx des deutschen Films.

Einer Filmkritikerin erzählte sie auf dem Höhepunkt ihres Ruhms, ihre ganze Filmkarriere sei ihr egal, sie wäre viel lieber Hausfrau, würde kochen, Kinder großziehen und den Mann versorgen. Nach schlechten Pressekritiken und Verkehrsunfällen, für die sie zu einer kurzen Gefängnisstrafe verurteilt wurde,, zog sie sich ins Privatleben zurück. Sie heiratete den Industriellen Hugo Kuenheim und hatte aus dieser Ehe vier Söhne.
In den sechziger Jahren begannen die Filmhistoriker nach ihr zu forschen. Kevin Brownlow drang bis zu ihrem Haus in Ascona vor, doch sie ließ ihn nicht hinein. Die deutsche Journalistin Katja Aschke empfing sie Ende der achtziger Jahre nur unter der Bedingung, dass ausschließlich über Mode und den nach England emigrierten Modeschöpfer Werner Mahrenholz gesprochen wurde. Ihr Sohn erklärte einem Filmhistoriker auf seine Bitte, mit Brigitte Helm über ihre Filme zu sprechen, kategorisch: „Wenn ich das arrangiere, wird sie mich enterben.“ Mit dem Film war sie fertig, endgültig.
Brigitte Helm starb am 11. Juni 1996 in Ascona.

 

 

 

Veit Harlan Provokation in Hamburg 1948 – Drei Briefe

Am dritten Verhandlungstag gegen Veit Harlan im März 1949 wurden im Esplanade in Hamburg die Filme Jud Süß und Der ewige Jude vorgeführt; links neben Harlan sein Verteidiger Dr. Otto Zippel

Veit Harlan wurde im Dezember 1947 vom Zentralausschuß für die Ausschaltung von Nationalsozialisten in die Gruppe V der Entlasteten eingestuft. Im April 1948 wollte Harlan mit seiner Frau Kristina Söderbaum an der Zonalen Erstaufführung des DEFA-Films Ehe im Schatten (1947; Regie: Kurt Maetzig) im Hamburger Waterloo-Theater teilnehmen. Beide wurden noch vor Beginn des Films aufgefordert, das Theater zu verlassen.
Die folgenden Briefe wurden veröffentlicht in: film-echo, Hamburg, Nr. 5, Mai 1948

Veit Harlan an H.B. Heisig, Waterloo Theater, Hamburg.
19.4.48

Um die Möglichkeit auszuschalten, dass falsche Versionen über meine Anwesenheit in Ihrem Theater verbreitet werden. teile ich Ihnen Folgendes mit: Weiterlesen

Gero Gandert (13.6.1929-29.8.2019)

„Wenn man etwas erreichen will, dann hilft nur hämmernde Penetranz.“ Das, so Gero Gandert, sei das wichtigste, vielleicht sogar das einzige gewesen, was er von dem Publizistikprofessor Emil Dovifat gelernt habe. Dovifats Überzeugung hatte Gandert buchstäblich zum Motto seines Berufslebens gemacht. Sein Beruf, ja seine Berufung waren Film und Filmgeschichte.
Seit Anfang der 1950er-Jahre arbeitete Gandert als Filmjournalist. 1958 wurde er für seine Berichte über die Filme des Ostblocks denunziert und in der DDR zu Zuchthaus verurteilt. Der Fall machte Schlagzeilen; viele Kritikerkollegen setzten sich für ihn ein. Der Tag Weiterlesen

Fritz Lang über Nibelungen und Metropolis (1925)

Fritz Lang

Nach zehntägigem Aufenthalt in Paris ist Fritz Lang zurückgekehrt. Ein erster Besuch bei ihm. Eine halbe Stunde in seinem Salon, unter den japanischen No-Masken und den indischen Seidenteppichen, gesammelt von dem leidenschaftlichen Liebhaber asiatischer Kunst.
Fritz Lang deutet auf die Pariser Zeitungen, die den blauen Rundtisch bedecken. Es sind die großen Formate der „Comoedia“, der „Temps“, der anderen. Voll von Photographien aus Siegfrieds Tod, von Berichten und Interviews. Man hat den deutschen Film mit mehr als Respekt aufgenommen. Der Eindruck ist tief und nachhaltig. „Das große kinematographische Ereignis“, sagt im „Temps“ Emile Buillermog.

„Ich habe über ein Jahr in Paris gelebt,“ so erzählt Lang, „in einem Maleratelier auf Montparnasse, bis der Krieg ausbrach. Ich habe es vor zwei Jahren wiedergesehen, bei der Premiere des Müden Tods. Französisch hieß er Les Trois Lumiéres. Schon damals war zu meiner Freude der künstlerische Erfolg sehr stark. La Mort de Siegfried wird im Marivaux gespielt, am Boulevard des Italiens, neben dem Credit Lyonnais. Der Besitzer ist Aubert, dem die meisten Kinotheater in Paris gehören. Delac und Vandal haben den Vertrieb.“
„Was sind wohl jetzt die hervorragendsten französischen Filme?“
„Interessant ist Crainquebille (1922) von Feyder. Sie wissen, nach dem kleinen Roman von [Anatole] France, der Fall des Gemüsehändlers. Da gab es Bilder mit einer phantastischen Optik, zum Beispiel mit der vergrößerten Figur des Schutzmanns, die drohend vor dem gehetzten Alten aufsteigt. Interessant ist auch ein, wenn man das Wort gebrauchen soll, expressionistischer Film L’Inhumaine (1924; R: Marcel L’Herbier), in dem es sich um eine Frau handelt, die von einer Giftschlange gebissen wird, ein Film mit Räumen in dem gespenstischen Dunkel des Dr. Caligari. Dann der historische Film Le Miracle des Loups (1924; R: Raymond Bernard).“ Weiterlesen

Wolf Neumeister: Dichter und Autoren

Am 5. Dezember 1950 fand auf Einladung der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft in Wiesbaden ein Gespräch zwischen dem deutschen PEN-Club und Vertretern des deutschen Films statt. Günther Weisenborn kritisierte, dass der Autor in den Filmverträgen auf alle Rechte verzichten müsse. „Für Geld muss der Autor schweigen. Das ist Vergewaltigung.“ Laut Kästner sei die entscheidende Frage, ob man überhaupt den Schriftsteller wolle. „Der Film bevorzugt Drehbuchautoren. Menschen, die in ihrem Leben noch nie einen Roman oder ein Gedicht geschrieben haben. Diese machen ein Geheimnis aus ihrer Arbeit, obwohl es keines ist.“
(Alle Zitate: Der neue Film, 11.12. 1950, Nr. 50).
Wolf Neumeister reagiert in seinem Beitrag auf dieses Gespräch.

Die Autoren des deutschen Filmes nahmen mit Bedauern die Taktlosigkeiten zur Kenntnis, mit denen Günther Weisenborn jüngst auf der Tagung des PEN-Clubs in Wiesbaden sie in ihrer Gesamtheit bedachte. Und sie registrierten die Anmaßung, mit der Erich Kästner – selbst gelegentlicher Filmautor – nur für sich in Anspruch nimmt, ein Dichter zu sein, während er sämtliche anderen in die deklassierende Rubrik der “Autoren“ einreiht, auch wenn ihr Werk, außer Filmen, ausgezeichnete Romane und Bühnenstücke aufzuweisen hat. — Nicht dass wir durch die Stellungnahme der Mitglieder des PEN-Clubs mitten ins Herz getroffen wären, aber die Äußerungen der beiden erwähnten Herren lassen das Gefühl für berufliche Fairness in einem mehr als üblichen Maße vermissen, und das wollen wir festhalten. Wir stellen nun schlicht die Frage: Welche epischen oder dramatischen Werke haben die auf jener Tagung des PEN-Clubs versammelten Dichter seit dem Zusammenbruch Deutschlands publiziert, die die Welt – oder auch nur ganz bescheiden unser deutsches Volk – bewegt hätten? So bewegt, dass sie in dem Maße über den Durchschnitt hinausgeragt hätten, wie es diese Dichter mit Emphase von den Werken des deutschen Film es verlangen!
Wir stellen ferner fest, dass Günther Weisenborn, der sich so bitter über die Ausschaltung des Dichters aus dem Filmschaffen beklagt, nach seiner eigenen Aussage in den letzten Jahren der Produktion keinen Stoff zur Verfilmung angeboten hat, und dass ein anderes, nicht unbekanntes Mitglied dieser Versammlung, nach seinem eigenen Geständnis seit sechszehn Jahren keinen deutschen Film mehr gesehen hat.
Wir Filmautoren glauben nach diesen Feststellungen auf jede weitere Polemik verzichten und uns wieder unserer Arbeit zuwenden zu können.

In: Der neue Film, Nr. 1, 1. Januar 1951

Der künstlerische und der szenische Leiter. Eine Unterhaltung mit Jacoby-Boy (1920)

Der Graphiker Martin Jacoby-Boy (1883 – 1971) ) war von 1919 bis 1921 Chefarchitekt der May-Filmgesellschaft. Neben den Bauten von Die Herrin der Welt (1919) bis zum Indischen Grabmal (1921) entwarf und baute er auch das Freigelände „Filmstadt Woltersdorf“. Nach dem Ausscheiden aus der Firma von Joe May war er Architekt bei der Europäischen Film-Allianz (E.F.A.), ging danach als technischer Leiter der Atelierbetriebe Weissensee wieder zu Joe May. Ende 1923 verabschiedete er sich von der Filmarbeit.

Martin Jacoby-Boy

Der italienischen Film-Zeitschrift „Cines“ entnehmen wir folgenden Artikel:
Jacoby-Boy ist, was wir auf Italienisch den szenischen Leiter nennen. Er ist beim May-Film, und zwar mit einer Befugnis ausgestattet, die bei uns einem künstlerischen Direktor zukäme. Er ist kurz gesagt der wahre „metteur en scène“. Ihm sind alle Innen-und Außenaufbauten anvertraut. Seine Schöpfung ist das jeweilige Milieu, das nach seinen Zeichnungen erbaut wird, die Dispositionen für die Beleuchtung, für alles, was den Ort der Handlung betrifft, – für die Kostüme und für die Bilder. Seine Aufgabe endigt mit dem Augenblicke, in denen der Operateur zu kurbeln beginnt und die Darsteller anfangen, sich zu bewegen.
Es war uns möglich, im Hotel Regina eine Unterhaltung mit Jacobi-Boy zu haben. Er erzählte uns, dass er nach Italien gekommen sei – in Begleitung seiner schönen und liebenswürdigen Gattin -, um nach den ungeheuren Anstrengungen für die Ausrüstung der Herrin der Welt Erholung und Kräftigung zu suchen. Seine Erholung besteht aber im Studium unserer Baudenkmäler und im Besuchen unsere Kulturzentren.
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Lupu Pick: Dichter und Regisseur (1923)

Editorische Vorbemerkung:
Sperrungen im Original sind kursiv gesetzt. Auch die Filmtitel sind kursiv, im Original aber nicht gesperrt.

Der Dichter Norbert Jacques erhob hier einen Ruf nach der gemeinsamen Arbeit mit dem Fimregisseur. Spielleiter Lupu Pick antwortet ihm:

Lupu Pick

Nicht auf technische „Vervollkommnung“ kommt es an. Es ist – in diesem Zusammenhang – völlig unwichtig, ob noch die Farbenkinematographie – der stereoskopische Film – das perfekte Tonbild ohne Nebengeräusch – oder der Film ohne Perforationslöcher erfunden werden oder nicht. (Ich persönlich möchte beinahe wünschen, dass alles dieses vorläufig überhaupt nicht erfunden werde.)
Erfunden sollte werden, dass der Dichter jetzt endlich beginnen müsse, sich des Films zu bedienen; wie der Maler schließlich einmal begonnen hat, sich der doch auch erfundenen Farbmittel zu bedienen; wie der Musiker, der in der Welt vorhanden gewesenen Möglichkeit, auf das Ohr verschieden wirkende Geräusche zu erzeugen, sich einmal zu bedienen begann, und wie schließlich Moses seine Gesetzestafeln nicht hätte dichten können, wenn er sich nicht der damals offenbar vorhandenen Möglichkeit bedient hätte, durch An- oder vielmehr Untereinanderreihung von Schriftzeichen Gedanken und Sehnsüchte kundzutun.
Es ist doch damit nicht geholfen, zu klagen: Es gibt keine Filmdichter.
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Norbert Jacques: Regisseur und Dichter (1923)

Norbert Jacques

Noch ist der Film für den Menschen von Bildung und Geschmack ziemlich allgemein nicht mehr als eine Angelegenheit der Augen. Darüber täuschen die literarisch angemalten kommerziellen Machenschaften etwa in Berlin nicht. Wir sind noch erst mehr gepackt von dem noch Neuen seiner Technik als von seinem Inhalt, der Requisiten alten Guts in neues Gewand verhüllt vor uns aufstellt. Sie sind jetzt uns noch erträglich, weil die Wiedergabe neuartig ist, und die Empfänger der Seele, die Augen, sich noch nicht am Reiz ihrer ungewohnten Rolle abgenutzt haben.
Noch ist der Film zu sehr in Abhängigkeit vom Wert, mit dem er seinem Wesen nach nichts zu tun hat, und das für ihn keine andere Aufgabe zu erfüllen hat als für die Musik: Namengebung.
Auf dem Weg zu seiner eigensten Eigenart muss er sich immer mehr frei zu machen versuchen von dieser Eselsbrücke. Sonst wird er nie er selbst und Kunst werden können.
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Joe May: Der Regisseur als Organisator (1919)

Joe May

Etwas über Filmregie zu sagen, ist eine diffizile Sache, denn entweder tadelt man damit andere Regisseure oder es kommt darauf hinaus, dass man sich selbst lobt (was dasselbe ist). Denn jeder hält, wenn nicht schon seine Art, so doch seinen Weg für den einzig richtigen.

Thesen über Filmregie aufzustellen, halte ich für kaum möglich. Für mich ist Filmregie eine instinkthafte Sache. Man muss es in den Fingerspitzen haben. Jedes einem auch noch so grundlegend erscheinende Prinzip kann im nächsten Moment über den Haufen geworfen werden müssen, wenn man fühlt, dass es nötig ist. Das Gefühl ist alles.

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F.W. Murnau

Murnau in Bewegung

Es wäre Übertreibung, wollte man Murnau ohne weiteres zu unseren größten Filmregisseuren rechnen; dem großen Publikum ist sein Name heute noch kaum geläufig und ob er überhaupt jemals der gefeierte Liebling der Menge wird, bleibt abzuwarten. Aber die Fachwelt wurde von vorneherein auf ihn aufmerksam und nicht minder jener Teil des Publikums, der im Film Werte sucht. Es war ein Erlebnis, als er vor Jahr und Tag im „Gang durch die Nacht“ zeigte wie beseelt die Natur mit ihren fein nuancierten Stimmungen ist. Aufsehen erzeugte auch sein phantastischer „Nosferatu“-Film durch die

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Dr. Arthur Robison zum 103. Geburtstag

Dreharbeiten zu "Looping the Loop". Dr. Arthur Robison 3. von links. Rechts neben der Kamera mit Hut: Karl Hoffmann

Dreharbeiten zu „Looping the Loop“.
Dr. Arthur Robison 3. von links. Rechts neben der
Kamera mit Hut: Karl Hoffmann

Die Biografie von Arthur Robison, geboren am 25. Juni 1888 in Chicago, ist alles andere als gradlinig. Seine Eltern, ursprünglich aus dem Hunsrück stammend, remigrieren 1895 nach München. Dort studiert und promoviert Robison zum Doktor der Medizin. 1913 tritt er in Amerika an einem deutsch-amerikanischen Theater als Schauspieler auf. 1915 und 1916 finden wir ihn wieder in Berlin; für die Lu Synd-Serie schreibt er Drehbücher und führt Regie. „Lehr- und Wanderjahre auf deutschen Bühnen“ nennt Robison die nächsten sechs Jahre. 1922/23 schreibt und inszeniert er in kurzer Zeit drei Filme hintereinander: Die Finsternis und ihr Eigentum (Drehbuch), Zwischen Abend und Morgen und Schatten (jeweils Buch und Regie). Bis auf den letzten Film ist das gesamte Frühwerk verschollen.
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Gedenkblatt für Will Tremper

Das Großmaul

Es gibt unzählige Anekdoten über Will Tremper; die meisten davon hat er wahrscheinlich selbst produziert und auch selbst in Umlauf gebracht. Bei seinen Geburtstagen ließ er halbnackte Mädchen aus übergroßen Tortendeckeln springen, er hatte die Taschen voller Geld und war stets pleite, er war ein Kind des Wirtschaftwunders, ein genialer Journalist, ein Tausendsassa, wie ihn die Zeiten nur sehr selten hervorbringen.
Begonnen hatte Tremper als Pianist, wurde dann Pressefotograf, Ghostwriter und Journalist beim „Tagesspiegel“. Seinen größten journalistischen Erfolg hatte er in den 1950er Jahren beim „Stern“ mit der Serie „Deutschland, Deine Sternchen“. Die Auflage der Weiterlesen

Jean Oser 18. Januar 1908 – 20. Februar 2002

Jean Oser

Wie wird man Cutter? Wenn es einen zum Film drängt, dann will man doch Schauspieler werden, Produzent, Kameramann oder Regisseur. Aber Cutter? Also noch mal: Wie wird man Cutter?
„Ich hatte 1926 in Berlin den Panzerkreuzer Potemkin gesehen, und da hatte es mich gepackt. Ich musste zum Film. Mein Vater war Varietédirektor, er hatte Beziehungen, kannte viele Leute und wollte, dass ich bei dem Kameramann Curt Courant in die Lehre gehen sollte. Aber die Kamera hat mich nie so interessiert. Stattdessen begann ich eine Lehre bei der Maxim-Film in der Blücherstraße 32. Und weil ich als Lehrjunge kein Geld bekam, musste ich auch keine Botengänge machen, sondern konnte bei allem zusehen.“
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Arthur Maria Rabenalt: Interview

Herr Rabenalt, Sie waren nach dem 2. Weltkrieg in Ost-Berlin Intendant des Metropol-Theaters und haben dann sehr schnell für die Defa und die Berolina-Film in West-Berlin Filmregie geführt. Haben Sie gar keine Schwierigkeiten mit den alliierten Militärbehörden gehabt?

Sie meinen, wegen der Nazifilme? Nein, überhaupt nicht. Ich hatte seit 1941 nur Zirkusfilme und kammerspielartige Unterhaltungsfilme gemacht. Dar einzige Nazifilm, den man von mir kannte, war ...reitet für Deutschland (1941), und der wurde bewundert. Die ersten Filme von mir, die nach dem Krieg wieder verliehen wurden, waren Zirkus Renz (1943) und Regimentsmusik (gedreht 1944 unter dem Titel Die Schuld der Gabriele Rottweil kam der Film erst 1950 in die Kinos). Die Kontroverse um …reitet für Deutschland kam erst viel später.

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