Archiv der Kategorie: Drehbuch

Leopold Jessner – Intendant des Staatlichen Schauspielhauses, Berlin

Leopold Jessner (1878 – 1945)

Ich halte nichts von den sogenannten expressionistischen Experimenten, mit denen uns der Film so gerne imponieren und reizen will und finde, dass Versuche und Spielereien dieser Art als dem, was wir als tiefsten, innersten Ausdruck einer künstlerischen Weltanschauung und als konzentrierten Ausdruck einer in uns lebenden Kunstwelt fühlen und empfinden im allergünstigsten Fall nichts als das Geräusper und Gespuck auf die Leinwand kommen kann. Ich glaube also demnach, dass die sogenannten expressionistischen Filme das Schicksal aller Modetorheiten und liebhaberischen Übertreibungen haben werden. Dagegen kann man meiner Meinung nach dem Filme keine besseren Dienste leisten, als wenn man ihn ständig in seinen Photographien zu verbessern und zu verfeinern strebt. Auf dieser Linie scheinen mir noch die allergrößten Möglichkeiten zu liegen. Man sollte sich offen und ehrlich zu dem bekennen, was der Film zu bieten vermag, ohne zu versuchen, ihm ein – schamhaft posierendes Mäntelchen umzuhängen, dafür aber Phantasie, Intelligenz und Geschmack in den Dienst der Sache stellen und auf diese natürlich und dem Wesen des Films entsprechende Weise die dringend erwünschte Veredelung dieses augenblicklich populärsten und weitreichendsten aller Unterhaltungsmittel herbeiführen helfen.
Die von Ihnen angeregte Reform in der Behandlung der Film-Manuskripte ist wohl an sich dringend erwünscht, wenn ich auch freundlich glaube, dass nur in den allerseltensten Fällen eine mehrfache Inszenierung desselben Manuskriptes zu erreichen sein wird. Das Charakteristische dieser Industrie ist doch ihr ungeheurer Stoffmangel und die Sucht des Publikums, immer wieder neue Kombinationen zu sehen, selbst, wenn es sich immer wieder um dasselbe Grund-Thema handelt. Ein gutes Theaterstück kann man immer wieder neu genießen, einen Filmtext kaum. Das Auge wird müde, da die sprechende Seele fehlt.“

Nationalzeitung – 8 Uhr Abendblatt. 15. 7. 1920

Georg Engel – Schriftsteller

Georg Engel (1866 – 1931)

Es ist mir ganz klar, dass zu den vielen Unveränderlichkeiten und erstorbenen Petrefakten innerhalb der Kunstbeurteilung, die trotz Revolution und Weltenwende dumm, leer und anspruchsvoll stehen geblieben sind, an erster Stelle der Gemeinplatz von der Kunstlosigkeit des Films gehört. Man will eben noch nicht sehen, dass der Film seine eigene Ausdrucksform besitzt, die sich eben nur durch das Bildhafte, durch Licht, Schatten und Bewegung äußern kann. Er gibt infolgedessen nicht den Gedanken und vermag ihn keineswegs zu erschöpfen, sondern er umschreibt ihn – durch die Bildsprache, genau so, wie frühe Völker ihre Schrift sich in Bildern ausleben ließen. Es wird daher dem Film in seiner höchsten Gestaltung immer etwas Naives und Rudimentäres anhaften, das aber, wie alles Geschehen, dem einfachen Volksempfinden leichter eingeht als die begriffliche Beweisführung. Man sollte deshalb nicht gar so niedrig von dem „Geschehen“ denken, schreibt doch ein nicht ganz unwürdiger Denker und Dichter der Deutschen:
„Mir hilft der Gruß, auf einmal seh ich Rat,
Und schreibe getrost: im Anfang war die Tat.“
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Karl Heinz Martin. Regisseur der Reinhardt-Bühnen

Die Verspätung meiner Antwort liegt daran, dass die Frage mich erst auf Umwegen erreichte. So erhielt ich freilich auch die Gelegenheit, zugleich schon auf die Gedanken der ersten Ihnen zuteil gewordenen Antworten eingehen zu können.
Ihr Vorschlag beruht auf der richtigen, auch mir geläufigen Einsicht, dass der Film, dass Werte und Möglichkeiten des Filmes im Manuskript und beim Manuskript beginnen; er scheint mir aber dann durch die übliche Verwechslung des Theaters mit der Filmkunst irre geleitet zu werden. Der Aufbau des Filmmanuskriptes auch als literarischer Gattung – als solche sehe ich es durchaus an – ist von dem des Dramas so verschieden, wie ihre Ausführung auf der Bühne und vor dem Aufnahmeapparat verschieden sind und so verschieden muss ihre Behandlung sein. Ich will von den wirtschaftlich-industriellen Bedingungen, die beim Film heute eine größere Rolle als beim Theater spielen, ganz absehen, obwohl schon an ihnen die Ausführung Ihres Vorschlages scheitern muss. Aber allein eine technische Bedingung verbietet sie – die, welche schon Rudolf Kayser anführte, dass nämlich das Drama an einem Theater bleibt, der Film aber in jede Straße kommt.
Die Hindernisse beginnen aber noch tiefer. Da das Filmspiel, das vom Theaterspiel recht verschieden ist, die primitiv leiblichen künstlerischen Instinkte – die nicht wertloser sind als die differenzierten – freimacht, auch die „komödiantischen“ des Schauspielers, wird der Film in ganz anderer Weise als das Drama, bei dem freilich auch Schiller diese Rücksicht nahm – dem einzelnen Schauspieler „auf den Leib“ und für den einzelnen Regisseur geschrieben sein. Die Rolle Asta Nielsens wird Henny Porten weder spielen wollen noch spielen können, und Asta Nielsen werden gerade ihre wertvollen künstlerischen Fähigkeiten eine Rolle verbieten, die der Henny Porten liegt. Was Sie vorschlagen, ist reizvoll für Fachleute und mehr eine interessante Probe als ein Experiment, und Experimente zwar, aber nicht Studien darf man dem Publikum vorsetzen.
Experimente zwar reizen gerade mich, und für mein Gefühl und meine Erwartungen wird gerade im Film, der gewisser als alles das Reich der unbegrenzten Möglichkeiten ist, zu wenig experimentiert. Nicht auf dem technischen Gebiete freilich, wie Herr Leopold Jeßner meint. Die Photographie, die Tricktechnik und alles sind außerordentlich weit und entwickeln sich selbstsicher rapid weiter, dazu habe ich, nach dem, was ich sehe und tue, alles Vertrauen. Aber nützt die Regie diese unbegrenzten Möglichkeiten aus? Sie erschöpft sich in längst konventionellen, nur formal gebändigten Massenszenen und immer banalen Großaufnahmen. Spielt sie genug und ernst genug diese Architektur aus Menschenleibern? Ist der Filmregisseur mit dem Apparat, der hier sein Auge sein muss, hinter der Ekstase der Schauspieler her?
Und das Manuskript. Wie arm mit Stoffen gefüllt ist dieses Reich der unbegrenzten technischen, bildnerischen und fabulierischen Möglichkeiten! Eifersuchtskonflikte, Ballszenen und gestohlene Briefe. Fällt den Dichtern nichts anderes ein, und wollen sie immer weiter höchstens die Reize auch nicht mehr unbekannter Milieus wirken lassen?
Nein, sie sollen, gerade wie der Regisseur, aus den Bedingungen des Films phantasieren. Die sind schon ernsthaft untersucht, ich darf an Aufsätze zum Beispiel der Neuen Schaubühne, etwa an meines Mitarbeiters Rudolf Leonhard „Bemerkungen zur Aesthetik und Soziologie des Films“ erinnern [Dreden, Heft 1, Jg. 2, Januar 1920]. Lassen Sie mich ein Paradoxon daraus zitieren: „Der Film ist eine selbständige literarische Gattung – innerhalb der bildenden Kunst“. Er ist eine Dichtung, die aus einer Bilderfolge besteht. In dieser und in diese soll der Filmdichter phantasieren und experimentieren. Mit „Expressionismus“ gerade so viel und gerade so wenig wie das Theater und wie die Literatur selbst. Verlangt ein Film den Stil, den man mit einem missbrauchten Schlagwort „expressionistisch“ nennt, so soll er ihn beim Dichter haben und wird ihn beim Regisseur finden. Es ist einer der Wege zu seiner Reise. Die aber, die jetzt zu beginnen scheint, wird seine frischeste Jugend sein. Die jungen Autoren, deren Exkludiertheit Herr Cassirer und deren Exklusivität ich beklage, suche ich gerade. Wo sind die jungen Dichter, die mir neue Filme schreiben, aber nun auch wirklich neue, nicht nur Variationen der alten, und wer lässt sie mit mir zusammen experimentieren? Nicht nur auf dem grotesken und romantischen Gebiete; vom kindlichen Sentimentalismus zynischer Exzentrik will ich, wenn sie Gefühle und Schicksale in Bilderfolgen ausdrücken können und mit mir künstlerisch aus dem Objektiv denken wollen, mit ihnen durch das Reich der unbegrenzten Möglichkeiten hin – darstellen. Denn gedruckt dürfte der Film erst nach der Herstellung werden. Erst retrospektiv darf er, ein selbständiges Literaturwerk auf dem Bilderstreifen, in die allgemeine Literatur zwischen den Buchdeckeln eingehen. Die Filme, die Herr Cassirer vorschlägt und vorbereitet, scheinen mir Buchfilme zu sein, die sich zum Film wie das Buchdrama zum Theater verhalten (und so wenig wie „Buchdrama“ ein Einwand gegen ein Drama ist, soll dies ein Einwand gegen sie bedeuten). Es braucht gar nicht das Experiment des szenischen Wettbewerbes mehrerer Filmfabriken; eine genügt, wenn sie ihrem jungen Dichter und ihrem jeweiligen Regisseur freie Hand lässt, und wenn der Dichter, zu optischer Richtung seiner Phantasie, zu „Bildhaftigkeit in einem ganz neuen, beweglichen und bewegten, erst durch den Film ermöglichten Sinne entschlossen, sich dem warten Regisseur gesellt.
Und auch an Sie, Herr Redakteur, habe ich eine Bitte: Befreien Sie den „Filmteil“. Lassen Sie die Filmkritik aus dem lokalen Teil in die Nachbarschaft der anderen Künste übersiedeln. Auch wir brauchen einander.

Nationalzeitung – 8 Uhr Abendblatt, 8. August 1920

Paul Cassirer – Kunsthändler, Verleger

Paul Cassierer (1879 – 1926)

So interessant Ihr Vorschlag ist, die Filmmanuskripte mehreren Filmfabriken zur Aufnahme zu übergeben, so dass, wie im Theater, der Film von den verschiedenen Filmschauspielern dargestellt wird, so glaube ich leider nicht an die Verwirklichung dieser Idee; denn die Filmfabrik verhält sich zum Filmmanuskript nicht so wie das Theater zum Dramenmanuskript. Der Weg des Dramenmanuskriptes ist im allgemeinen folgender: Die Herstellung des Buches durch den Verleger, die Aufführung durch ein oder mehrere Theater. Der Weg des Filmmanuskriptes dagegen ist ein anderer. Das Filmmanuskript geht direkt zum Filmfabrikanten; der Filmfabrikant führt den Film „aus“, das Filmtheater führt den Film „auf“. Was beim Theater ein Organ ist, zerfällt beim Film in zwei Stationen. Nun sind die Unkosten nicht, wie beim Theater, am größten bei der Aufführung (die Aufführungskosten sind verhältnismäßig sehr klein), sondern bei der Fabrikation, d.h. bei der Ausführung. Eine mehrfache Ausführung durch verschiedene Regisseure und durch verschiedene Filmdarsteller würde die Unkosten in einer ganz anderen Weise vergrößern als es etwa beim dramatischen Werke wäre.
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Walter Hasenclever

Walter Hasenclever (1890 – 1940)

Sie fordern mich auf, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob der Film durch Einschaltung neuer Faktoren an Niveau gewinnen könne. Wenn Ihr ausgezeichneter Vorschlag, den Buchverleger mit der Vermittlung zwischen Autor und Filmunternehmen zu betrauen, praktisch durchgeführt werden soll, so müßte zunächst dafür gesorgt werden, dass eine Filmgenossenschaft geschaffen wird, die ähnlich wie die Bühnengenossenschaft und der Bühnenverein auf gesetzlicher Basis die Haltung der Filmunternehmungen zu beaufsichtigen und das Verhältnis zwischen Filmschauspieler, Filmregisseur und Filmdirektor zu regeln hätte. Besonders das Verhältnis der Filmschauspielerin zu den oberen Instanzen müsste einer eingehenden Revision unterzogen werden. Solange es Generaldirektoren gibt, die dafür, dass sie an vier Telephonen gleichzeitig telephonieren und die Bilanz der Gesellschaft verschleiern, mit einigen hunderttausend Mark im Jahre nicht zu schlecht bezahlt sind, bezweifle ich, dass in den Kreisen der Filmtrusts eine Neigung besteht, Ihren Plänen näherzutreten. Die Autoren, denen es wie immer, so auch hier, an Mut und Initiative fehlt, werden sich weiterhin von den Kommis der Branche belehren lassen, was ein guter und was ein schlechter Film ist. Es wird soweit kommen, dass begüterte Pferdehändler, die im Nebenberuf Filmdirektoren sind, in den Fachzeitschriften ein Preisausschreiben für Filme erlassen, die ihre Mätressen spielen. Sie – die Autoren – zahlen zwar dem Schutzverband Deutscher Schriftsteller ihren jährlichen Beitrag, aber auf diesem gefährlichsten und verbrecherischstem aller Tummelplätze, dem Film, überlässt man sie ruhig den Furien.
Nationalzeitung – 8 Uhr Abendblatt, 24. Juli 1920

Der Weg zum künstlerischen Filmmanuskript

Der Weg zum künstlerischen Film führt über das künstlerische Filmmanuskript. Diese Selbstverständlichkeit bedarf immer und immer wieder der Erwähnung, weil der Wert des künstlerischen Filmmanuskriptes in Fachkreisen anscheinend immer noch nicht anerkannt ist. Ausnahmen bestätigen nur die Tatsache, dass die Filmfabrikanten rein wirtschaftliche Ziele verfolgen, wobei die künstlerische Seite des Films nur zu oft außer Acht gelassen wird. Die Entwicklung des Films fordert dringend das Einschlagen neuer, ernster Wege. Mit hochtrabenden oder nichtssagenden Schlagworten können keine künstlerischen Erfolge erzielt werden; es ist endlich Zeit, zur Tat überzugehen. In hohem Maße wünschenswert wäre es, wenn sich die Filmindustrie schon heute zu dieser künstlerischen Entwicklung bekennen würde. Aufzuhalten ist dieser Prozess nicht mehr, er wird sich durchsetzen, auch gegen den Willen derer, die heute noch für die Art der Produktion verantwortlich sind.
Vielleicht schlägt der folgende Vorschlag dazu bei, der Filmkunst den Weg zu ebnen. Das Verwertungsrecht eines Filmmanuskripts darf von den Autoren nicht mehr den Filmfabriken überlassen werden. Die Buchverlagsanstalten müssen sich der Sache annehmen, und, wie das beim Theater ist, die Vermittlungsstelle zwischen Filmautor und Filmfabrikant bilden. Die Filmfabrikanten erwerben also vom Verlag das Aufnahmerecht eines Filmmanuskriptes gegen Zahlung einer Tantieme. Die hauptsächliche Neuerung würde darin bestehen, dass dasselbe Manuskript, wiederum genau wie beim Theater, an mehrere Filmfabriken zur Aufnahme abgegeben werden könnte. Das würde zu außerordentlich interessanten Versuchen führen. Nehmen wir zum Beispiel an, die X-Filmfabrik erwirbt einen Film von Gerhart Hauptmann und lässt ihn von Lubitsch in Szene setzen. Die künstlerische Ausgestaltung übernimmt Lovis Corinth. Die Hauptrolle spielt Henny Porten. Derselbe Film wird auch von einer anderen Filmfabrik erworben, die ihn von Karlheinz Martin inszenieren lässt unter künstlerischer Mitarbeit von Oskar Kokoschka. In der Hauptrolle Asta Nielsen. Das würde nicht nur das geistig hochstehende Publikum interessieren, sondern auch in wietesten Volkskreisen mit Freuden begrüßt werden. Ernste Künstler würden sich fraglos mit dem Film in weit größerem Umfange beschäftigen als dies bisher geschehen ist; denn es würde für gute Arbeiten ein entsprechend künstlerischer sowie finanzieller Erfolg gewährleistet sein. Fraglos würde auch der Ehrgeiz der Filmregisseure und Filmfabriken angespornt werden, und – vor allem – das Publikum würde künstlerisch erzogen werden.
Bei der Wichtigkeit, die diesem Problem innewohnt, haben wir einige hervorragende Persönlichkeiten gebeten, sich zu dieser Frage zu äußern. Die Antworten werden wir demnächst veröffentlichen.
Erich Kraft in: Nationalzeitung – 8 Uhr Abendblatt, Berlin, 4. Juli 1920