Im August 1926 verliess der Dirigent Ernö Rapeée nach einem einjährigen Engagement im Ufa Palast am Zoo Berlin. Fritz Feld verriet er in der BZ am Mittag vom 27. Juli 1926 seinen Wunsch für die Zukunft: „Ein Kino von 10 000 Menschen. Ein Orchester von 250 Musikern. Ein Chor von 150 Stimmen und 400 Scheinwerfer. Das Programm umfasst Film, Oper, Symphonie, Operette, Varieté, Ballett, Kabarett. Es soll nicht länger als zwei Stunden dauern. Von morgens 10 Uhr bis nachts um 12 wird durchgespielt. Eine doppelte Arbeitsschicht, zwei Orchester, zwei Chöre usw. selbstverständlich. Das sind meine Träume. Zunächst wird so etwas nur in Amerika möglich sein; aber was in Amerika heute ist, wird in Deutschland in drei Jahren sein.“
Archiv der Kategorie: Filmmusik
Victor Holländer: Noch einmal Musik und Film (1920)
Den sehr geschätzten Aufsatz des Herrn Hans Landsberg möchte ich mir gestatten, in einigen Punkten zu ergänzen, resp. zu widerlegen.
Es ist nicht zu leugnen, dass eine Originalmusik zu neuen, künstlerischen Filmwerken eine weite Aufsicht für schaffende Musiker bietet; ich kann mich aber nicht damit einverstanden erklären, dass die Musik jeden wichtigen Einschnitt, jede Bewegung illustrieren muss. – Der Verfasser, der ja die nächsten Filme der Ufa zu komponieren beabsichtigt, wird in der Praxis sein blaues Wunder erleben.
Ich habe dies bei der Komposition der Musik des Sumurun-Films am eigenen Leibe verspürt und bin zu dem Schlusse gelangt, dass die Musik zunächst nur die allgemeine Stimmung des Films untermalen kann; sie kann Stimmungswechsel wiedergeben, darf sich aber keineswegs in Details verlieren. Ich möchte nur auf ein paar Kleinigkeiten aufmerksam machen, die dem Komponisten verhängnisvoll werden können.
Er ist zum Beispiel bei der Aufnahme eines Tanzes zugegen und mißt die Länge des Tanzes auf das Genaueste; nun aber denkt der Komponist, und der Tausendkünstler Lubitsch lenkt; er schneidet nachträglich den Film; plötzlich ein anderes Bild, währenddessen die Musik den Tanz spielt; nach einer Weile zeigt die Leinewand wieder den Tanz, aber die dazu passende Musik ist vorüber. Tableau! – Oder der Vorführer kurbelt schneller oder langsamer als die Musik gedacht ist; da muss halt der Dirigent die Musik wie einen Kuchenteig in die Länge ziehen – oder galoppmäßig beschleunigen, je nach der Laune des Kurblers. – Auf die Sekunde lässt sich keineswegs die Musik einstellen. – Ganz besonders markante Stellen z.B. ein Fall, ein Schlag, ein Klingelzeichen usw. lässt sich nur dann korrekt musikalisch wiedergeben, wenn der Schlagwerker des Orchesters den Film genau verfolgt und selbstständig eingreift.
Alles in allem gibt es für den Komponisten Möglichkeiten und Anregungen in Fülle, es ist nun seine Sache, die wichtigsten Momente und Stimmungen in der Musik festzuhalten und dem Gefüge einen geistigen Zusammenhang zu geben.
8-Uhr-Abendblatt, 22. Oktober 19201920)
Klaus Pringsheim: Musikalische Filmzukunft (1924)
Mit der üblichen Kinomusik geht es nun wirklich nicht mehr. Das Problem „Künstlerische Filmmusik“ – als Teilproblem der Filmkunst – ist erkannt, ist anerkannt; die Einsicht, dass Musik Teil des Filmwerks, nicht Zutat der Vorführung, Sache der Produktion, nicht erst des reproduzierenden Theaters zu sein hat, beginnt zu dämmern; das musikalische Gewissen der Produktion ist erwacht.
Noch ist Filmmusik unentdecktes Neuland; aber der Wille, es zu entdecken, regt sich, der artistische Reiz unerschlossener Probleme übt seine Wirkung. Unnütz, heute die Ästhetik der kommenden Filmmusik ergründen zu wollen; nur aus Beispielen, Versuchen, Irrtümern werden Regeln, wie es zu machen und wie es anders zu machen, sich gewinnen, werden Gesetzmäßigkeiten des filmmusikalischen Geschehens sich abstrahieren lassen. Wir sind heute dabei, Erfahrungen zu sammeln. Und wir erfahren, das weit problematischer als das Problem der Komposition die praktische Frage der Ausführung und der Verbreitung ist; die Schwierigkeiten, die kompositorische Aufgabe zu lösen, sind, um die Wahrheit zu sagen, eine Bagatelle, gemessen an den Schwierigkeiten, die dem Komponisten gemacht werden.
Alles künstlerisch Neue, Gottseidank, hat die Tendenz, sich durchzusetzen, muss die Kraft haben, sich nicht sabotieren zu lassen. Solche Tendenz, das Neue zu sabotieren, besteht allemal – es ist der passive Widerstand der Trägheit, Bequemlichkeit, Gewohnheit, verstockten Ungeistigkeit. Wer vertritt, wer übt, wenn es um Filmmusik geht, diesen Widerstand? Selbstverständlich nicht der Produzent, der Geld und Mühe aufgewandt hat, die Musik schreiben und (für die Uraufführung) einstudieren zu lassen. Selbstverständlich das Theater, dem das weitere Schicksal des Films überantwortet ist. Welchen Grund, fragt sich dessen Direktor, denn er ist, was den Ernst und die Reinheit seiner künstlerischen Ziele betrifft, ein gehobener (Ins Großunternehmertümliche gehobener) Schaubudenbesitzer – welchen Grund hätten wir, dem Publikum, dass sich bei der bisher üblichen Sorte Musik wohl fühlt, höhere musik-künstlerische Bedürfnisse beizubringen?
Gewiss, das Publikum hätte schließlich nichts dagegen, all den abgestandenen Unfug sich abgewöhnen zulassen, die ewigen Butterfly-Potpourris, die kitschig missbrauchte H-Moll-Sinfonie, das wahllos, stillos, gewissenlos zusammengestellte Zeug, den Schund, den Ersatz, dies einförmige Kunterbunt widerkünstlerischer Unzulänglichkeit. Nur eben: man gewöhnt es ihm nicht ab. Das Filmtheater ist keine kunst-moralische Anstalt. So denkt, wenn er denkt, der Direktor. Welchen Grund also hätte sein Kapellmeister, sein Orchester, besondere, ungewohnte Anstrengung aufzubieten? (Obgleich es nicht immer die schlechtesten Musiker sind, die sich heute aus der Verelendung ihres Standes in den sicheren Unterstand des Filmtheaters geflüchtet haben.)
Darum keinen Vorwurf gegen den Filmtheatermann, sein Standpunkt ist logisch und ehrlich, er heuchelt nicht Prätentionen, die ihm das Geschäft verwirren würden; er ist kein Mäzen, er ist ein Kaufmann, der mit Filmreproduktionen handelt, und kennt nur ein Argument: Gangbarkeit der Ware. (Darum auch nur: Musik, wie sie dem kaufenden Publikum eben recht.)
Künstlerische Verpflichtung bleibt in den Bezirk der Fabrikation gebannt. Wie also, soll in Zukunft der Fabrikant sich ausbedingen: diesen Film nicht ohne diese Musik-? Vielleicht ließe, von Fall zu Fall, ein Theater mit sich reden, würde, um der Films wegen (selbstverständlich nicht: um der Musik willen), die Musik in Kauf nehmen. Aber wann hat der Produzent Gelegenheit, mit Theater zu reden? Zwischen Produktion und Reproduktion schiebt sich, vermittelnd, trennend, der Verleiher; der sorgt dafür, dass von allen künstlerischer Ambition, die der Fabrikant seinem Erzeugnis vielleicht mit auf den Weg gegeben, nichts übrig bleibt. vielleicht
Der Verleiher – mit seinen Zielen verglichen sind die des Filmtheaters heilig-ernsteste Kunst – die Welt ist ihm Absatzgebiet seines Artikels, und er hat sie in Rayons erteilt; das ist alles, was er von der Welt wissen will. Musik? Gott soll schützen (Gott schütze alle Musik vor Filmverleihern).
So geht es nicht, und so geht es nicht. Aber irgendwie, trotz allem, wird es gehen müssen. Das Neue – heute kann es nur, mit einem lächerlich unzureichenden Schlagwort, „künstlerische Filmmusik“ genannt werden – das Neue wird sich durchsetzen, wird sich nicht von sekundären Widerständen unterdrücken lassen. Eines Tages wird irgendeine Filmmusik, Gott weiß, welcher Richard Strauß sie schreiben wird, „Erfolg“ haben, die Leute reden mehr von der Musik als vom Film, die Theater drängen sich, sie zu spielen, und am Ende ist sie gar ein Objekt für Verleiher geworden, dann werden, über Nacht, Filmpublikum und Filmindustrie ihr musikalisches Gewissen entdeckt haben. In der Tat: wird dies geschehen? Noch lockt Filmmusik den Musiker fast nur als artistisches Abenteuer. Fraglich ist, ob der Film je die werkende Kraft besitzen wird, die Musik der Zeit in seinen Bereich zu zwingen. Er wird die entscheidende Anstrengung nicht scheuen dürfen; oder die Filmmusik, die noch immer nur Verheißung, kommende Kunst, ein Stück Zukunft ist, geht an ihrer Ohnmacht zu Grunde: An ihrer Ohnmacht, die Musik auszulösen, ohne die, nichts für ungut, sie bestenfalls eine halbe Sache bleibt.
8 Uhr Abendblatt, Berlin, 9. Januar 1924, Nr. 7
Hans Landsberger: Verfilmte Musik oder musikalischer Film 1920
Über die Beziehungen von Film und Musik ist so vieles in Fach- und Tagespresse in letzter Zeit geschrieben worden, dass es mir nunmehr an der Zeit zu sein scheint, diese Frage öffentlich einmal vom wissenschaftlichen und künstlerischen Standpunkt zu beleuchten. Berechtigterweise hat man – ich möchte sagen instinktiv – schon seit den Anfängen der Kinematographie dazu gegriffen, zu den Filmvorführungen eine Musik spielen zu lassen. Wenn nämlich die optische Wahrnehmungsfähigkeit des Beschauers vom rein Bildhaften des Photographischen dazu übergegangen ist, sich auf die Bewegung einzustellen, ist es nur natürlich, dass sich im menschlichen Gehirn die Assimilation mit dem akustischen Bewegungsmoment, das durch die Musik dargestellt wird, auf das leichteste und angenehmste vollzieht. Diese Zusammenwirkung wird um so enger sein, wenn besonders erregende Momente wie das Dramatische oder Komische auftreten, die dann ihrerseits wieder durch die musikalische Parallele (Musik ist ja der beste Schilderer aller dieser Vorgänge) unterstrichen und gehoben werden. Wenn also feststeht, dass das Wesentliche am Film übereinstimmend mit dem Wesen der Musik die Bewegung ist, so handelt es sich in praxi eigentlich nur noch um die Frage, welcher Art denn die Begleitmusik eines Films zu sein hat, um den bewussten oder unbewussten Forderungen des Zuschauers zu entsprechen. Die Lösung ergibt sich eigentlich von selbst. Ein Musikstück gibt unter einem bestimmten Gesichtspunkt (nämlich seinem Titel) dem menschlichen Auffassungsvermögen freien Raum, sich zu der musikalischen Bewegung seine Gedanken (resp. Worte) selbst zu bilden; auch der Film schaltet – leider noch viel zu wenig! (siehe die vielen Filmtitel zwischen den einzelnen Bildern!) – das gesprochene Wort aus und ersetzt es gleichfalls durch Bewegung. Wer also – wie die Versuche von Film-Oper und –Operette – versucht, das aus der Bewegung glücklich ausgeschaltete oder durch sie abgelöste Wort wieder einzuführen, verstößt gegen einen wesentlichen Grundsatz der Weiterlesen
Victor Hollaender: Noch einmal: Musik und Film (1920)
Den sehr geschätzten Aufsatz des Herrn Hans Landsberg möchte ich mir gestatten, in einigen Punkten zu ergänzen resp. zu widerlegen.
Es ist nicht zu leugnen, dass eine Originalmusik zu neuen, künstlerischen Filmwerken eine weite Aussicht für schaffende Musiker bietet; ich kann mich ber nicht damit einverstanden erklären, dass die Musik jeden wichtigen Einschnitt, jede Bewegung illustrieren muss. – Der Verfasser, der ja die nächsten Filme der Ufa sinfonisch zu komponieren beabsichtigt, wird in der Praxis sein blaues Wunder erleben.
Ich habe dies bei der komposition der Musik des Sumurun– Films am eigenen Leibe verspürt und bin zu dem Schlusse gelangt, dass die Musik zunächst nur die allgemeine Stimmung des Films untermalen kann; sie kann Stimmungswechsel wiedergeben, darf sich aber keineswegs in details verlieren. Ich möchte nur auf ein paar Kleinigkeiten aufmerksam machen, die dem Komponisten verhängnisvoll werden können.
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Hans Landsberger: Verfilmte Musik oder musikalischer Film (1920)
Über die Beziehungen von Film und Musik ist so vieles in Fach- und Tagespresse in letzter Zeit geschrieben worden, dass es mir nunmehr an der Zeit zu sein scheint, diese Frage öffentlich einmal vom wissenschaftlichen und künstlerischen Standpunkt zu beleuchten. Berechtigterweise hat man – ich möchte sagen instinktiv – schon seit den Anfängen der Kinematographie dazu gegriffen, zu den Filmvorführungen eine Musik spielen zu lassen. Wenn nämlich die optische Wahrnehmungsfähigkeit des Beschauers vom rein Bildhaften des Photographischen dazu übergegangen ist, sich auf die Bewegung einzustellen, ist es nur natürlich, dass sich im menschlichen Gehirn die Assimilation mit dem akustischen Bewegungsmoment, das durch die Musik dargestellt wird, auf das leichteste und angenehmste vollzieht. Diese Zusammenwirkung wird um so enger sein, wenn besonders erregende Weiterlesen